Die Ukraine und Moldau sind offiziell EU-Beitrittkandidaten. Der EU-Gipfel entschied am Donnerstag in Brüssel, dass beide osteuropäische Länder damit die erste Stufe des EU-Beitrittprozesses erklimmen. EU-Ratspräsident Charles Michel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprachen danach übereinstimmend von einer «historischen Entscheidung».

Auch Georgien soll einen Kandidatenstatus erhalten, wenn es bestimmte Voraussetzungen erfüllt. «Es gibt kein besseres Signal der Hoffnung für die Bevölkerungen in der Ukraine, Moldau und Georgien in diesen schwierigen Zeiten», sagte von der Leyen mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine.

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«Die Zukunft der Ukraine ist in der EU»

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüsste die Entscheidung der EU umgehend. Es handele sich um einen einzigartigen und historischen Moment in den bilateralen Beziehungen. «Die Zukunft der Ukraine ist in der EU», twitterte Selenskyj. Er wurde am Abend zu den Beratungen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs per Video zugeschaltet.

In Brüssel hiess es, dass ohne den russischen Angriff auf das Land am 24. Februar in solcher Schritt undenkbar gewesen wäre. Auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatte von einem nötigen Signal der Solidarität gesprochen. «Auf gute Zusammenarbeit in der europäischen Familie», twitterte er am Abend.

Olaf Scholz: Einstimmigkeit abschaffen

Der Kandidatenstatus sagt nichts über die Länge der Beitrittsverhandlungen und deren Ende aus. Für jeden Schritt wie etwa die Aufnahme von Verhandlungen oder die Öffnungen von Beitritts-Kapiteln und dann den Beitritt bedarf es erneut einstimmiger Entscheidungen der EU-Mitglieder.

Deshalb wird derzeit mit einem Prozess von weit mehr als zehn Jahren für die Ukraine bis zu einem möglichen Beitritt gerechnet. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama warnte die Ukrainer deshalb in Brüssel auch vor Illusionen.

Scholz wies darauf hin, dass die Aussicht auf weitere Beitritte den Druck für eine Reform der EU-27 erhöhe. Er forderte unmittelbar vor dem Gipfel, dass die Einstimmigkeit bei Abstimmungen etwa über die Aussenpolitik zugunsten von Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit abgeschafft wird. Schon bei 27 EU-Mitgliedern ist die Blockade-Möglichkeit bei anstehenden Entscheidungen durch Einzelstaaten ansonsten zu gross.

Streit um den Status von Bosnien-Herzegowina

Die EU-Entscheidung hatte sich zunächst stundenlang verzögert. Grund dafür waren laut mehreren EU-Diplomaten aber nicht Zweifel daran, dass das von Russland angegriffene osteuropäische Land den Status erhalten sollte. Vielmehr hätten einige Teilnehmer in der Debatte der EU-Staats- und Regierungschefs die Frage gestellt, ob dann nicht auch etwa das Westbalkan-Land Bosnien-Herzegowina einen Kandidatenstatus erhalten sollte. Dies hatte etwa Ungarn vor dem Gipfel gefordert.

Der Grund ist eine etwas andere Systematik, die für beide Länder gelten würde. Die EU-Kommission hat etwa für Bosnien-Herzegowina Anforderungen formuliert, deren Erfüllung dann zum Kandidatenstatus führen würde. Im Falle der Ukraine wird der Status aber vor der Erfüllung der Auflagen erteilt.

Etliche EU-Regierungen, darunter die deutsche, hatten mehrfach davor gewarnt, dass die Solidarität mit der Ukraine nicht dazu führen dürfe, die sechs Westbalkan-Staaten Serbien, Montenegro, Albanien, Nordmazedonien, Kosovo und eben Bosnien-Herzegowina vor den Kopf zu stossen. Diese warten seit Jahren darauf, dass sie näher an eine Aufnahme in die EU heranrücken können.

Bulgarien blockiert Nordmazedonien und Albanien

Während mit Serbien bereits über Beitrittskapitel verhandelt wird, haben Kosovo und Bosnien-Herzegowina nicht einmal einen Kandidatenstatus. Bei Nordmazedonien und Albanien blockiert derzeit Bulgarien die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen.

Trotz einer Empfehlung der EU-Kommission blockieren einige EU-Staaten im Falle Kosovos sogar eine Visa-Liberalisierung. «Je mehr die EU kein einheitliches und klares Zeichen für den westlichen Balkan setzt, desto mehr werden andere bösartige Faktoren diesen Raum und dieses Vakuum nutzen», warnte die Präsidentin des Kosovo, Vjosa Osmani-Sadriu in Brüssel.

Die EU-27 einigten sich nun auf eine Formulierung, die Bosnien-Herzegowina eine Art Automatismus zum Kandidatenstatus in Aussicht stellt, wenn das Land die Anforderungen erfüllt.

Die Entscheidung folgte einem eher kontroversen EU-Westbalkan-Gipfel am Vormittag in Brüssel. Der albanische Ministerpräsident Rama attackierte dabei Bulgarien. «Es ist eine Schande, dass ein Nato-Land zwei andere Nato-Länder als Geisel hält», sagte er zur bulgarischen Blockade. Die anderen 26 EU-Staaten hätten eine «furchterregende Show der Impotenz» gezeigt.

Mark Rutte: Durchbruch in der nächsten Woche

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zeigte sich aber optimistisch, dass die bulgarische Blockade bald beendet wird. «Es gibt eine 50-60-prozentige Chance, dass es kommende Woche einen Durchbruch geben kann», sagte er am Rande des EU-Gipfels in Brüssel.

Der bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkow bat mit Hinweis auf die innenpolitischen Turbulenzen um Verständnis, verwies aber auch darauf, dass das bulgarische Parlament «sehr bald» eine Entscheidung zu Nordmazedonien treffen werde. Solange müsse er die gegenwärtige Position vertreten, betonte Petkow, dem das Parlament in Sofia am Mittwoch das Misstrauen ausgesprochen hatte. «Die Verzögerung wird nicht lange dauern», sagte er.

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(reuters/gku)