Der Bundesrat hat sich für verhältnismässige Massnahmen entschieden, um die zweite Coronavirus-Welle zu bremsen. Zwar schränkt er die Versammlungsfreiheit massiv ein, er schliesst Nachtklubs, er begrenzt Veranstaltungen auf 50 Leute. Er befiehlt den Restaurants, maximal Vierertische anzubieten und er lässt sie um 23 Uhr schliessen.
Aber er verfügt keinen Vollstopp des öffentlichen Angebots und er verzichtet auf sinnentleerte Show-Befehle wie eine breite Maskenpflicht im Freien.
Endzeit-Bilder
Gesundheitsminister Alain Berset sprach von «chirurgischen Massnahmen» zur Eindämmung des Coronavirus.
Man muss der Regierung zugestehen, dass sie den Alarmismus, den gewisse Medien und Wissenschaftler in den letzten Wochen verbreiteten, nicht unbesehen aufgenommen hat. Erweckt worden waren ja Endzeit-Bilder, wo Ärzte brutal über Tod und Leben entscheiden müssen und wo die Lage in den Spitälern ähnlich wäre wie an einigen Märztagen in Bergamo.
«Es ist billig, Bund und Kantone zu kritisieren, sie hätten in den letzten Wochen nicht entschlossen genug durchgegriffen.»
Damals, im Früjahr, verfügte der Bundesrat sofort den Lockdown. Jetzt hat er dies bewusst nicht getan. Alain Berset sagte, warum: Weil wir heute besser dastehen. Weil wir mehr über das Virus wissen. Weil die Lage transparenter ist. Weil wir mehr Vorräte haben und auf grössere Spitalkapazitäten zurückgreifen können.
Doch das Entscheidende fehlte: Auch diesmal präsentierte der Bundesrat nicht einmal den Ansatz einer Strategie, wie die Coronakrise vollends bewältigt werden könnte.
Er nannte das taktische Ziel, die Infektionsrate auf die Hälfte zu drücken, also von 1.6 auf 0.8. (Das heisst, dass im Schnitt eine Person weniger als eine Person infiziert.) Wann dies erreicht werden soll, blieb offen.
«End-Game»? Kein Thema.
Es ist dies ein Navigieren auf kurze Sicht. Gerade für die Wirtschaft steckt hier das grosse Problem: Wie soll es denn – beispielsweise – im März oder April oder Mai weitergehen? Welche Gesellschaft wird und kann das sein? Welche Regeln können wie lange gelten? Kein Thema.
Weder Bundesrat noch Taskforce äussern sich zum «End-Game». Sie diskutieren nicht, was sein soll, wenn alle bisherigen Massnahmen von Slow- bis Lockdown scheitern sollten. Oder wenn sich die Jo-Jo-Situation noch über viele Monate erstreckt.
Sie bieten keine Exitstrategie, sondern bloss eine vage Hoffnung. Nämlich dass halbwegs zeitnah eine Impfung verfügbar sein wird.
«Je sicherer jemand ist über Covid-19, desto weniger sollte man ihm trauen»
«British Medical Journal»
Ein schwaches Licht im Dunkeln. Wirkung der Impfung, Zeitpunkt, Durchsetzung, Logistik, Akzeptanz, Langfrist-Immunisierung – alles unklar. Mit solch einem diffusem Hauptziel kann man weder Politik noch Wirtschaft angehen. Es bräuchte einen nachhaltigen Plan B. Und einen Plan C.
Denn die bunten Eindämmungsregeln – von Sperrstunden bis Homeoffice-Empfehlungen – sind nur Behelfsmassnahmen. Gewiss, oberflächlich ist alles ganz klar: Masken, Distanz, Versammlungs-Obergrenzen – dann sinken die Zahlen schon. Irgendwann. Zumindest fürs Erste.
Deshalb ist es auf der anderen Seite auch einfach, Bund und Kantone zu kritisieren, sie hätten in den letzten Wochen nicht entschlossen genug durchgegriffen.
Es ist einfach – und billig. Wer nämlich einen weiteren Blick hat, erkennt, dass damit überhaupt nichts gelöst ist: Von Schottland bis Sizilien, von Irland bis Polen explodieren die Fallzahlen ihn ähnlichem Stil – ganz gleich, welche Regierung welche Anordnung wie früh oder wie spät erteilt hat.
Längst haben sich alle Erklärungen, weshalb die «2. Welle» gerade hier und gerade jetzt ansteigt, als unzureichend erwiesen.
Zwei Alarme sind genug
Eine der führenden Medizin-Zeitschriften der Welt, das «British Medical Journal», veröffentlichte vor wenigen Tagen einen Leitartikel zu dieser Unsicherheit. Er stellt klar, dass selbst die grössten Experten immer noch vor grossen Rätseln stehen. «Je sicherer jemand über Covid-19 ist, desto weniger sollte man ihm trauen», so ein Fazit.
Das heisst heruntergebrochen auf die Schweiz: Es soll keiner sagen, dass er die Tauglichkeit und das Timing all der bundesrätlichen «Massnahmen» auch nur annähernd beurteilen kann.
Geht es um die Strategie, so bleibt der Sonderfall Schweden. Dort immerhin scheinen die «Fallzahlen» noch mässig. Aber selbst wenn sie wie im übrigen Europa steigen sollten, so hat die Regierung in Stockholm zumindest einen geraden Kurs. So dass Bevölkerung und Unternehmen ahnen können, wie es weitergeht – und was sie beispielsweise im Frühjahr 2021 und danach erwartet.
Je unklarer der Sinn all der Covid-Massnahmen, umso wichtiger wird es, das Problem aus einer etwas ferneren Zukunft heraus zu analysieren. Und den Blick entschiedener über die Infektionskurven hinaus zu richten.
Die Frage lautet: Was müssen wir nun tun, um nicht im März, April oder Mai ein drittes Mal in diese Alarmsituation zu geraten?
1 Kommentar
Schweden hat als einziges land erkannt, dass das virus sehr lange da sein wird, trotz impfung,und deshalb, hat das land eine langfristige strategie ausgearbeitet. Es lohnt sich, die interviews mit Dr. Anders Tegnell anzusehen, man lernt wirklich viel. Übrigens, jetzt warnt sogar die WHO vor Lockdowns, da die negativen effekte einfach zu gross sind.