Ach, die Ungleichheit. Seit Jahren erscheint sie in den Medien als Kernproblem unserer Zeit, stets untermalt mit eindrücklichen Daten zum Graben zwischen den oberen 1 und den unteren 99 Prozent. 

Und ebenso stetig widersprechen Wissenschaftler. Sie nennen das Problem einen Hype und legen Zahlen vor, wonach dieser Graben gar nicht grösser wird und wonach es früher sogar ärger war (siehe etwa hier, hierhier und hier).  

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Bislang jedenfalls war die politische Brisanz der Ungleichheit eher bescheiden: Mit dem Thema gewinnt oder verliert man in Europa keine Wahlen. 

Frage: Was ist eigentlich Ungleichheit?

Warum? Eine Antwort – und vielleicht sogar einen Ausweg aus dem Debatten-Karussell – bietet das Cesifo-Institut in München. Paul Hufe, Andreas Peichl sowie Ravi Kanbur von der Cornell University kamen zu dem Schluss, dass die materielle Ungleichheit im Grunde ein deplatzierter Massstab sei: Es geht uns nicht um die Differenz zwischen Arm und Reich, so die Einsicht. Sondern wichtig ist dabei die Fairness.

Es geht darum, wie sehr die Menschen eine echte Chance zum Aufstieg haben. Und mehr als um den Reichtum geht es um die Armut an sich – unabhängig davon, ob obendran noch ein paar Buffetts oder Bertarellis die Statistik verbiegen.

Der Fokus auf die Superreichen habe in den letzten Jahren sogar dazu geführt, dass der Aspekt der Fairness zu kurz kam.

Und so führen die drei Forscher aus München und Ithaka einen neuen Begriff ein: «unfaire Ungleichheit». Er kombiniert beides, Chancengleichheit und Armut. Je besser die Aufstiegsmöglichkeiten, je geringer zugleich die Gefahr der Bedürftigkeit, desto weniger ungleich ist nach dieser Fairness-Vorstellung ein Land.

Hufe, Kanbur und Peichl begannen nun, ihren Massstab auf Daten der EU und aus den USA anzulegen. Die Berechnungen für 31 europäische Länder ergaben: Knapp 18 Prozent der Ungleichheit in Europa lässt sich auf mangelnde Chancengleichheit und Armutsrisiko zurückführen.

Was umgekehrt bedeutet: Zu gut vier Fünfteln tragen andere Faktoren zur Kluft zwischen oben und unten bei. Zum Beispiel die Leistung.

Am geringsten ist die «unfair inequality» in den Niederlanden, gefolgt von Finnland und Norwegen. Die Schweiz rangiert auf Platz zehn – nach Tschechien und Malta, vor Zypern und Schweden.
 

Unfaire Ungleichheit: Rangliste der Staaten in Europa

1. Niederlande
2. Finnland
3. Norwegen
4. Frankreich
5. Island
6. Belgien
7. Deutschland
8. Tschechien
9. Malta
10. Schweiz
11. Zypern
12. Schweden
13. Slowakei
14. Österreich
15. Grossbritannien
....
25. Rumänien
26. Italien
27. Litauen

In den Staaten, wo sich am meisten unfaire Ungleichheit festmachen lässt, bewirken Chancen-Gegensätze und Armutsgefahr zwischen 28 und knapp 32 Prozent der messbaren Ungleichheit.

Die Datenlage zwang ferner zu einem Blick über den Teich. Denn in den USA konnte das Forscherteam einer anderen Frage nachgehen: Wie hatte sich die Unfairness-Quote auf lange Sicht entwickelt? 

Ein amerikanisches Problem

Da zeigte sich einerseits: Insgesamt stieg in den USA nicht nur die Ungleichheit von 1969 bis heute – auch die «unfair inequality» wurde ausgeprägter. Beide Kurven waren dabei lange recht stabil, nämlich bis in die 1980er Jahre hinein; danach nahm die Ungleichheit bekanntlich eher zu.

Allerdings: Bei der Chancengleichheit und dem Armutsrisiko verschlechterten sich die Werte nicht gleichzeitg. Bei der Chancengleichheit wurde es erst in einer zweiten Phase, beginnend etwa 1995, kritischer: deutlich geringere Aufstiegschancen, deutlich höheres Armutsrisiko. Doch letztlich erklärt der höhere Unfairness-Wert den Anstieg der Ungleichheit um 52 Prozentpunkte.

Damit ist «unfair inequality» in den USA weitaus stärker verbreitet als in ganz Europa: Die Quote liegt deutlich über den hiesigen Schlusslichtern Italien und Litauen.

Ungleichheit in Europa auf Rekordtief

Die Einkommens-Ungleichheit innerhalb der Europäischen Union sinkt weiter: Der Gini-Koeffizient der 28 EU-Staaten erreichte nun den tiefsten Stand seit dem Zusammenbruch des Sowjet-Kommunismus und dem Fall der Berliner Mauer. 

Dies zeigen Berechnungen des (EU-nahen) Think Tanks Bruegel. Sowohl innerhalb der Länder wie zwischen den Staaten sank der Wert im letzten Jahr: Die Kluft zwischen Arm und Reich verringerte sich.

Dies wurde insbesondere angetrieben durch Angleichungen, die in den «neuen» EU-Staaten im Osten Europas erzielt werden konnten. Aber auch in den westeuropäischen Ländern sank der Gini-Koeffizient zur Berechnung der Ungleichverteilung.  

Bemerkenswert ist dies zumal im Vergleich zu den USA: Dort weist die Kurve der Ungleichheit seit 1989 stetig nach oben – auch letztes Jahr vergrösserte sich der Graben zwischen den Menschen mit tiefen und hohen Einkommen weiter.

Das heisst zusammengefasst: Die Unterschiede zwischen der sozialen Lage in Europa und der sozialen Lage in Amerika werden immer klarer.