Winston Churchill wird in Grossbritannien als Ikone verehrt und weltweit als weitsichtiger Staatsmann geschätzt. Seine Unbeugsamkeit hat Grossbritannien vor Nazi-Deutschland gerettet. Doch Churchill war vor allem in jüngeren Jahren auch für sein Draufgängertum bekannt.

Als sein Leichnam auf einem Boot die Themse hinauf gefahren wird, verneigen sich die Lastenkräne der Londoner Docklands in Demut. Die Szene aus dem Januar 1965 steht symbolisch für die Wertschätzung, die Winston Churchill in seiner britischen Heimat noch immer erfährt.

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Der grosse Staatsmann mit der Zigarre ist auf der Insel auch 50 Jahre nach seinem Tod das Mass aller Dinge für politisches Handeln und dessen Erfolge. Er hat das Land – in den Augen einiger Historiker sogar die Welt – vor dem Nationalsozialismus bewahrt.

Grosse Feier vorbereitet

Der 50. Todestag am 24. Januar wird in Grossbritannien gross gefeiert werden. Das BBC-Fernsehen hat stundenlange Dokumentationen vorbereitet, das Churchill-Centre hält Feierstunden ab. Neuere Churchill-Biografien, etwa von Londons Bürgermeister Boris Johnson verfasst, werden zu Bestsellern in den Buchläden.

Der Zug, der Churchills Sarg von London zu seiner Grabstätte in Oxfordshire transportiert hatte, wurde wieder aufpoliert und ist eine Touristenattraktion. Die Royal Mint prägte eine 20-Pfund-Gedenkmünze.

Historisch nicht unumstritten

Historisch ist die politische Leistung des häufig auch als arrogant und abgehoben beschriebenen Sprosses der britischen Oberschicht längst nicht so unumstritten, wie der in Teilen leicht verklärte Rückblick seiner Landsleute es nahelegt.

Churchill galt lange als politischer Abenteurer, ein überzeugter Militarist, wenig reflektiert in seiner Strategie und geradezu rücksichtslos in seinen Mitteln. «Brillant, aber unsolide», lautete das Urteil des politischen Establishments in Westminster über den jungen Churchill.

Zehntausende verheizt

Als Flottenadmiral verheizte er 1915 in einer der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs Zehntausende Soldaten aus Grossbritannien und den Kolonien in einem später als sinnlos bewerteten Feldzug gegen das Osmanische Reich.

Vier Jahre später, inzwischen Kriegsminister, machte er sich für den Einsatz von Chemiewaffen im Irak stark. «Ich bin sehr für den Einsatz von Giftgas gegen unzivilisierte Stämme», sagte Churchill in einer Sitzung in der Downing Street. Er fügte aber auch hinzu: «Der moralische Effekt sollte so gut sein, dass der Verlust von Menschenleben so auf ein Minimum reduziert werden kann.»

Draufgänger bis zum Ende

Die Draufgänger-Mentalität legte Churchill, den sein Nachfolger Harols MacMillian einmal wegen seiner Redekunst und seinem Gespür für den wirksamen Auftritt als «super Showman» bezeichnete, nie ganz ab. Je älter er wurde, desto mehr überwog aber die Weitsicht bei dem international anerkannten Staatsmann und Universalgenie.

1953 würdigte das Nobelpreiskomitee die literarische Leistung des Engländers mit dem Nobelpreis für Literatur. Churchill tat sich auch als Baumeister und Maler hervor.

«Blood, Sweat and Tears»

Doch es war seine harte Haltung, seine «Blut-Schweiss-und-Tränen-Politik» gegen Nazi-Deutschland, was ihn zum Volkstribun auf der Insel und international zu einem der prägenden Staatsmänner des 20. Jahrhunderts werden liess.

Als der bereits 65 Jahre alte Churchill 1940 als Nachfolger des zurückgetretenen Appeasement-Politikers Neville Chamberlain zum Premierminister ernannt wurde, stand eine Frage über allen in den Konferenzräumen in Westminster: Friedensverhandlungen mit Nazi-Deutschland oder die Fortsetzung des Krieges.

Von Briten und Christen

Churchill überredete sein zunächst zögerndes Kabinett und entschied sich für Letzteres. Am 18. Juni 1940 verknüpfte er in einer seiner berühmtesten Reden das Durchhalten der Briten mit dem Bestand der christlichen Zivilisation. Die Menschen folgten ihm.

1945 schliesslich liess Churchill Hitlers Reich kurz vor Ende des Krieges mit einem Bombenteppich belegen – Zehntausende Zivilisten und auch Tausende junger Soldaten der Bomber-Besatzungen starben.

Intuition vor Strategie

Historiker sind sich einig: Der Erfolg Churchills fusste weniger auf einer nachhaltigen politischen Strategie. Churchills bis zur Arroganz reichendes Selbstbewusstsein, das Gespür für die Stimmung im Volk, sein Redetalent und sein Scharfsinn machten ihn vielmehr zum Ausnahmepolitiker.

Nach dem Sieg gegen die Barbarei der Nazis feierte er im Mai mit den Bürgern gemeinsam. «Es ist Euer Sieg» rief er den Menschen von einem Balkon des Gesundheitsministeriums aus zu. «Es ist Ihrer», antwortete die Menge in einer Art kollektiven Umarmung des Staatenlenkers.

«Churchill War Rooms»

Noch heute kann man in den «Churchill War Rooms» nahe der Downing Street in London nachvollziehen, wie das politische Schwergewicht im Krieg agierte. Es ist dieser Durchhaltewillen, dieses Wiederaufstehen nach Niederlagen, diese Entweder-oder-Mentalität, die Churchill punktgenau die Seele der Briten treffen liess und ihn zur bis heute unerreichten Ikone machte.

Der besonnene, langfristig denkende Staatsmann wurde der Zigarren- und Whiskey-Liebhaber, der 64 Jahre im britischen Parlament sass, zweimal Premierminister war und fast jeden klassischen Ministerposten innehatte, erst spät.

(sda/ise)