Wenn der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping am Sonntag und Montag zum Staatsbesuch nach Bern kommt, wird er von Politik und Wirtschaft mit offenen Armen empfangen. Grosse Hoffnungen werden in eine weitere Öffnung des wichtigsten Marktes in Asien gesetzt. Für Peking ist der Freihandelspartner Schweiz Paradebeispiel und Versuchsballon zugleich.
Immer enger sind die schweizerisch-chinesischen Beziehungen in den vergangenen Jahren geworden, so beschreibt es der Bundesrat. Und die Volksrepublik China – in Abgrenzung zur Republik China auf Taiwan, die wirtschaftlich noch wesentlich erfolgreicher war – hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten wirtschaftlich rasant entwickelt. Das Land ist heute für die Schweiz der wichtigste Handelspartner in Asien und – nach der EU und den USA – der drittgrösste weltweit.
Schweiz und Island haben Freihandel mit China
1950 gehörte die Schweiz zu den ersten westlichen Ländern, die die Volksrepublik China anerkannten und ist – seit Juli 2014 – neben Island das einzige europäische Land, das mit Peking ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat.
«Dieses Abkommen soll auch ein Signal an andere Staaten und Märkte wie die USA oder die EU aussenden, um zu betonen, dass China nicht nur fähig ist, mit einem marktwirtschaftlichen Land Freihandel zu treiben, sondern auch nachdrücklich hervorzuheben, dass China den Status einer Marktwirtschaft ‹verdient›», sagt der Publizist und Asienkenner mit Fokus China, Matthias Messmer, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda. In diesem Sinne gelte die Schweiz für China «einerseits als Paradebeispiel, andererseits als Versuchskaninchen». Auf Chinesisch heisse das: «Zwei Vögel mit einem Stein», sagt der Staatswissenschaftler.
Die EU auf den Geschmack bringen
Eigentlich sollte durch den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der Schweiz die EU auf den Geschmack kommen, mit der Volksrepublik China dasselbe zu tun, sagt der Jurist und Sinologe Harro von Senger, Privatdozent an der Universität Zürich und früherer Professor an der Universität Freiburg im Breisgau.
«Einen Backstein hinwerfen, um einen Jadestein zu erlangen» sei das Strategem Nr. 17 im etwa 500 Jahre alten Katalog der 36 Strategeme. Es sei am 30. Mai 2013 in der Pekinger «Licht-Tageszeitung» («Guangming Ribao») in einem Kommentar als Bild für die Übereinkunft über das chinesisch-schweizerische Freihandelsabkommen verwendet worden, sagt von Senger. Mit anderen Worten: Etwas Geringes geben, um dafür etwas Wertvolles zu bekommen.
Die Schweiz als Vorreiterin
Die Volksrepublik China habe sich nach dem Tode Maos 1976 das Ziel einer sozialistischen Modernisierung bis 2049 gesetzt. Bis dann sollen die Lebensumstände so modern werden wie in westlichen Staaten. Hierbei sei die Schweiz für Chinesen in vielem ein Modell. «Sie wollen so wohnen wie wir, über eine Infrastruktur verfügen wie wir und so innovativ sein wie wir, ja sogar technokratische Rechtsinstitutionen wollen sie zu Rate ziehen», sagt von Senger.
In der Volksrepublik China würden mit der Schweiz vorwiegend positive Assoziationen verbunden, sie könne dadurch die Rolle des unvoreingenommenen Mittlers einnehmen. Deutschland und die USA hingegen würden auch mit etlichen negativen Themen assoziiert. Die Schweiz werde vor allem als neutrales, wehrhaftes, stabiles, umweltbewusstes Land gesehen, in welchem sich sehr gut leben lässt und das man gerne besucht.
Ambitiöse Ziele
Zwei 100-Jahresziele hat sich China gesetzt: Bis 2021, zum 100. Gründungstag der Kommunistischen Partei, soll eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand aufgebaut werden. Und bis 2049, dem 100. Gründungstag der Volksrepublik, soll das Bruttoinlandprodukt pro Kopf verzweieinhalbfacht und auf das Niveau eines Schwellenlandes gebracht werden. Die Modernisierung der Industrie, der Landwirtschaft, der Landesverteidigung sowie der Wissenschaft und Technik soll bis dann im Wesentlichen geschafft sein, sagt von Senger.
POhne Zusammenarbeit mit dem Ausland könnten diese beiden 100-Jahresziele aber nicht erreicht werden, verriet Präsident Xi Jinping im Juli 2013 seinem damaligen Amtskollegen Ueli Maurer beim Empfang in Peking. Der Horizont der chinesischen Politik ist laut von Senger weit gespannt – ein Vorteil für die Schweiz. Daraus ergebe sich eine längerfristige Planungssicherheit.
Schweiz mit innovativem Image
Bis 2020 will China in die Gruppe der Länder des innovativen Typs eintreten, dies gemäss dem Nationalen strategischen Rahmen für die innovationsgetriebene Entwicklung vom Mai 2016. Für Peking ist die Schweiz ein Land dieses innovativen Typs. Kein Zufall dürfte deshalb sein, dass sich die chinesische Führung beim Besuch von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann im April desselben Jahres mit Bern auf eine Innovative Strategische Partnerschaft verständigte.
«Die Chancen für die schweizerisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen liegen in der weiteren und vertieften Zusammenarbeit in den Bereichen Innovation und Forschung», meint denn auch Felix Sutter, Präsident der Wirtschaftskammer Schweiz-China (Swiss-Chinese Chamber of Commerce/SCCC) und Partner, Leiter des Asia Business Desk bei PwC Schweiz.
Warnung vor zu grosser Euphorie
Der Asienkenner Matthias Messmer warnt bei aller Euphorie über Chinas rasanten Aufstieg und die häufig propagierte «Erfolgsstory des Freihandelsabkommens» vor Missverständnissen. Wichtig wäre aus seiner Sicht die Frage, wohin die weitere Annäherung gehen soll. Er vermisse in der Schweiz eine klarere Trennung zwischen Wirtschaft und Politik. Gerade im Fall China liege das Gewicht zu stark auf der Wirtschaft.
China verfolge langfristige strategische und geopolitische Interessen, und es wäre für die Schweiz vorteilhaft, diese gründlich zu analysieren und zu studieren, sagt Messmer. Es bestünden unterschiedliche Gerechtigkeits- und Rechtsauffassungen, über die man offen diskutieren müsse.
(sda/mbü)