Zehntausende Menschen haben am Sonntag gegen die Regierung in Skopje demonstriert und Premier Nikola Gruevski zum Rücktritt aufgefordert. Die Demonstranten wollen um jeden Preis Neuwahlen erzwingen. Bereits warnt Russland vor einer weiteren «farbigen Revolution». Im kleinen Balkanstaat drohten ukrainische Verhältnisse, klingt es aus dem Kreml.

Dass tatsächlich ein grosses Gewaltpotenzial besteht, zeigte sich vor einer Woche. Bei einem zweitägigen Polizeieinsatz in der nördlichen Stadt Kumanovo wurden nach Regierungsangaben acht Polizisten und 14 albanische Aufständische aus dem Kosovo getötet. Die Gewalt weckte Erinnerungen an den albanischen Aufstand von 2001 als dutzende Menschen bei Kämpfen zwischen der albanischen UCK-Miliz und Regierungstruppen getötet wurden.

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Wer steckt hinter dem Vorfall in Kumanovo?

Wie und ob die Proteste und die Gewalt zusammenhängen, ist bislang unklar. Denn im Land schwelt seit Monaten ein Skandal um abgehörte Telefonate von Premier Gruevski und seinen wichtigsten Leuten. Die Mitschnitte, die von Oppositionsführer Zoran Zaev nach und nach veröffentlicht werden, sollen beweisen, dass die Regierung tief in korrupte und kriminelle Machenschaften verstrickt ist.

Für viele Beobachter scheint aus diesem Grund der Zeitpunkt der Gewalt in Kumanovo verdächtig. Selbst die Möglichkeit einer Inszenierung der Gewalt durch die Regierung könne nicht einfach als Verschwörungstheorie abgetan werden, meint sogar James Ker-Lindsay, Balkanexperte an der London School of Economics. Viele Regierungsgegner glaubten, dass Gruevski und seine Leute mit dem Angriff vom eigenen Skandal ablenken wollten.

Ethnische Spannungen

Rund 64 Prozent der Bewohner des Landes sind ethnische Mazedonier. Daneben gibt es vor allem im Norden des Landes eine grosse Minderheit von Albanern, die etwa einen Viertel der Einwohner stellen. Zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen kam es in der Vergangenheit immer wieder zu ethnisch motivierten Konflikten. Die Regierung befürchtet, dass sich die mazedonischen Albaner mit Albanien und dem Kosovo zu einem Grossalbanien zusammenschliessen wollen.

In den letzten Wochen wächst deshalb die Sorge vor einem neuen Konflikt vor der Haustür der EU. Denn die Probleme und Konflikte die den Balkan seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens prägen, finden sich in kondensierter Form im Zwei-Millionen-Ländchen Mazedonien.

Abgehörte Telefonate

Trotz der Kämpfe in Kumanovo habe der politische Konflikt bisher noch keine ethnische Dimension angenommen, sagt Ker-Lindsay. An der grossen Demonstration gegen Ministerpräsident Nikola Gruevski waren sowohl mazedonische als auch albanische Flaggen zu sehen. Mazedonier, Albaner, Türken und Roma seien vereint in ihrer Forderung nach einer Übergangsregierung, verlautete aus Oppositionskreisen.

Die Vorwürfe gegen Gruevski wiegen schwer. Unter anderem soll die Regierung 20'000 Menschen bespitzeln, Journalisten und Justizbeamte unter Druck setzen und politische Gegner verfolgen. Die Rede ist zudem von Bestechlichkeit und illegalen Bank- und Baugeschäften. «Es gibt hier keinen Rechtsstaat mehr», sagt Menschenrechtsaktivist Xhabir Deralla der «Süddeutschen».

Korruption ein «erhebliches Problem»

Gruevski weist die Vorwürfe zurück. Oppositionsführer Zaev habe sich mit fremden Mächten zusammengeschlossen, um die Regierung zu stürzen, sagte er bereits im Februar. Die Mitschnitte seien offensichtlich von ausländischen Geheimdiensten manipuliert worden, so Gruevski. Beweise dafür gibt es indes nicht. Fragwürdig ist aber, warum Zaev seine Mitschnitte seit Februar nur häppchenweise veröffentlicht.

Premier Gruevski galt lange als Hoffnungsträger. Seit seiner ersten Wahl zum Ministerpräsidenten 2006 wurde er dreimal klar wiedergewählt. Zu wirtschaftlichem Erfolg hat er sein Land in den neun Jahren indes nicht geführt. Trotz einigen Liberalisierungsbemühungen hinke Mazedonien punkto Attraktivität für ausländische Investoren hinter anderen Balkanstaaten her, steht im «World Fact Book» der CIA. Korruption bleibe ein «erhebliches Problem». Unter Gruevskis Herrschaft wuchs der öffentliche Dienst trotz Privatisierungen von 100'000 auf 180'000 Beamte an, schreibt die «Süddeutsche Zeitung».

Nato-Beitritt von Griechen blockiert

Mit einem Bruttoinlandprodukt Pro-Kopf von rund 13'000 Dollar und einer Arbeitslosigkeit von knapp 30 Prozent gehört Mazedonien zu den ärmeren Ländern in Europa. Kaum hilfreich bei der Entwicklung war dabei sicherlich der jahrelange Konflikt mit Griechenland um den Namen Mazedonien. 2008 blockierten die Griechen deshalb sogar den Nato-Beitritt des Landes.

Die Schweiz anerkannte Mazedonien wie 130 andere Länder auch unter dem verfassungsmässigen Namen «Republik Mazedonien», der von den Griechen abgelehnt wird. Der Handels- und Wirtschaftsaustausch zwischen den beiden Ländern ist laut dem schweizerischen Aussenministerium (Eda) bescheiden. Die Beziehungen sind geprägt von Fragen im Zusammenhang mit der grossen mazedonischen Gemeinschaft in der Schweiz und der Entwicklungszusammenarbeit.

Keine Einigung in Sicht

Dass nun Nikola Gruevski einfach abtritt, ist trotz der Proteste unwahrscheinlich. Ein von Europa und den USA eingefädeltes Treffen mit Oppositionsführer Zaev brachte letzte Woche keine Einigung. Ein Rücktritt wäre «ein feiger Akt», so Gruevski. Die Demonstranten vom Sonntag haben ihrerseits begonnen, ein Zeltlager aufzuschlagen, um den Druck in Skopje aufrecht zu erhalten.

Wie es nun weitergehen soll, bleibt also völlig offen. Dass Russland und der Westen einmal mehr in einem osteuropäischen Land grundlegend unterschiedliche Ziele verfolgen, ist aber sehr beunruhigend. Zumal ein Abgleiten des kleinen Mazedonien ins Chaos durchaus das Potenzial für einen Flächenbrand auf dem Balkan haben könnte.

(mit Material von sda)