«Wo immer die Wege der Menschen sanft sind, gibt es Handel; und wo immer es Handel gibt, sind die Wege der Menschen sanft.» Das hat der französische Adlige und Aufklärungsphilosoph Charles Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, im Jahr 1748 geschrieben.
Zu diesem philosophischen Hohelied über die Segnungen des Handels gesellte sich 1817 ein wirtschaftliches, verfasst vom britischen Ökonomen David Ricardo. Seine Überlegungen gingen als «Theorie der komparativen Kostenvorteile» in die Geschichte ein. Ricardos Erkenntnis: Handel zwischen zwei und mehr Ländern lohnt sich selbst für jenes Land, das in jeder Hinsicht produktiver ist als die anderen.
Das wichtigste Versprechen aus den Überlegungen von Montesquieu und Ricardo lautet: Freihandel wird zu Frieden und Wohlstand führen. In Anlehnung an Montesquieu sollten sich durch Handel verflochtene Länder näherkommen und dürften ihre Beziehungen «sanfter» werden. In Anlehnung an Ricardo sollten wirtschaftlich verflochtene Länder zudem an friedlichen Verhältnissen interessiert sein, weil sie davon wirtschaftlich profitieren.
Immer wieder herbe Enttäuschungen
Ausfluss dieser Denkweise ist die Geschichte der Europäischen Einigung. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs baut sie auf immer engeren Handelsbeziehungen bis hin zum gemeinsamen Wirtschaftsraum und zu einer gemeinsamen Währung. Auch von der Gründung der Welthandelsorganisation WTO hat man sich mehr Wohlstand für alle und mehr Frieden versprochen.
Doch es waren auch Überlegungen im Geiste von Montesquieu und Ricardo, die noch vor kurzem viele glauben liess, Russland werde von einer Invasion in die Ukraine absehen, weil dem Land sonst eine internationale Ächtung und schwerer wirtschaftlicher Schaden droht. Abgehalten hat es die Russen dann trotzdem nicht. Ob weiter verschärfte Sanktionen zu einem Ende des Krieges führen, bleibt ebenfalls offen. Immerhin dürften sie ihr Ziel erreichen, die russische Kriegsmaschinerie weiter zu schwächen.
Auch vor dem Ersten Weltkrieg – in den Jahren der ersten Globalisierung – war die Überzeugung verbreitet, dass angesichts der damaligen starken internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen niemand Interesse an einem Krieg haben könnte. Diese Einschätzung erwies sich ebenfalls als falsch. Das Gleiche gilt für die Überzeugung bei der Aufnahme von China in die WTO im Dezember 2011, dass dies dort zu einer gesellschaftlichen und politischen Öffnung nach innen wie nach aussen führen werde.
Die Erkenntnisse von Montesquieu und Ricardo haben zu Recht grosses Gewicht. Aber sie haben Grenzen. Das gilt vor allem dann, wenn diktatorische Führer sich mehr an den eigenen Machtfantasien orientieren, als den Vorteil des süssen und einträglichen Handels für ihr Land im Auge haben.