Heute besteuern acht Kantone die Gewinne von Konzernen weit tiefer, als es wichtige Wirtschaftsstandorte wie die USA, Frankreich, Deutschland oder Indien tun. Die effektive Steuerbelastung liegt bei 11 bis 14 Prozent, die der Hochsteuerländer ist doppelt bis dreifach so hoch.

Deshalb zogen viele Multis in die Schweiz, allen voran nach Zug, Genf, Neuenburg, Schwyz und in die Waadt. Und Basel-Stadt offeriert seinerseits seiner Pharma eine effektive Steuerbelastung von unter 15 Prozent. Dies geht mithilfe von Steuerrabatten namens Patentbox, Forschungsabzug und einer 10-jährigen Übergangsbesteuerung als Folge der letzten Gewinnsteuerreform.

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Dem Ausland missfiel die steuerliche Regelung

Solche Steuervorteile haben die grossen Länder lange verärgert. Vor sechs Jahren bauten sie international Druck auf und erreichten neue Vorschriften zur weltweit gültigen Mindestbesteuerung von Konzernen. Das neue Minimum liegt bei 15 Prozent effektiver Steuerbelastung.

Multis, die weniger zahlen, etwa in der Schweiz, Ungarn oder Irland, würden im Ausland künftig mit einer Strafsteuer in der Höhe der Differenz zum Minimum belegt werden. Die Regeln stammen vom Wirtschaftsländerverein OECD. Deshalb nennt man die Vorlage OECD-Mindestbesteuerung. 140 Länder haben sich dazu verpflichtet.

Die Schweiz will sich den Ertrag aus dieser erzwungenen Differenzbesteuerung nicht entgehen lassen. Deshalb soll schweizweit die Schwelle auf 15 Prozent steigen. Über diese Erhöhung wird am 18. Juni abgestimmt. Für die neuen Regeln braucht es eine Verfassungsänderung. Die Reform könnte ab 2024 in Kraft treten.

Was sind die Mehreinnahmen?

Nach der Annahme der Vorlage werden grosse Firmen höhere Gewinnsteuern abliefern als bisher. Milliardenkonzerne wie Nestlé, Roche und Glencore gehören dazu, denn ihr Umsatz ist höher als 750 Mio. Euro – die Mindestschwelle, um unter die neuen OECD-Regeln zu fallen. Grossfirmen, die darunter liegen, wie beispielsweise die Solothurner Ypsomed (rund 500 Millionen Franken Umsatz), sind nicht betroffen. Die jährlichen Mehreinnahmen bei Bund und Kantonen werden auf 1 bis 2,5 Milliarden Franken geschätzt.

Die betroffenen Konzerne beschäftigen laut Bund einen Viertel aller schweizerischen Werktätigen. Der Bund schätzt sie auf 200 bis 300 inländische und rund 2000 ausländische, hier ansässige Holdings oder Tochterfirmen, darunter Regionalniederlassungen von US-Firmen.

«Stimmt Ja!»: Das Ja-Komitee schickte im Mai fast nur Politikerinnen an die Front.

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Quelle: Keystone

Hat die Schweiz die Wahl?

Ja, theoretisch könnte sie sich verweigern, aber dann würde sie als OECD-Mitglied unglaubwürdig werden, denn sie hat die Bedingungen der Reform mitverhandelt. Auch könnte eine Nichtteilnahme an der OECD-Norm Konzerne dazu verleiten, ihre Sitze ins steuerkonforme Ausland zu verlegen, denn die OECD-Differenzbesteuerung beschert ihnen etlichen buchhalterischen Zusatzaufwand.

Wird der Steuerwettbewerb eingeschränkt?

Der Innerschweizer Steuerwettbewerb wird massiv eingeschränkt werden. Davon profitieren vor allem Hochsteuerkantone wie Zürich oder Bern, weil ihr Abstand der Steuersätze zu jenen in Zug, Genf oder der Waadt kleiner werden wird.

Der Wegzug ist international keine Option mehr. «Dass Firmen ihren Sitz ins Ausland verlagern, ist zwar möglich. Aber mit der OECD-Steuerreform lohnt es sich für sie steuerlich nicht mehr, solange sie in einem der 140 Länder tätig sind, die sich zur Reform bekannt haben», sagt Steuerexperte Denis Boivin vom Beratungsunternehmen BDO.

Warum sind die Linken dagegen?

Sie opponieren nicht gegen die Steuererhöhung, sondern gegen die Verteilung der Mehreinnahmen. Die Vorlage bestimmt, dass ein Viertel dem Bund zufliesst und drei Viertel an die Kantone. SP und Grüne hatten eine hälftige Aufteilung verlangt, doch sie wurden überstimmt.

Gibt es einen Plan B bei einem Nein?

Bei der Ablehnung der Vorlage müsste der Bundesrat eine neue Umsetzung vorlegen, die die Kritik der Linken berücksichtigt. Doch die Linken haben ein wichtiges Detail vergessen: Die Tiefsteuerkantone können per eigene Gesetzesänderungen ihre Steuertarife so anpassen, dass für den Bund gar nichts übrig bleibt. «Diverse Kantone arbeiten an einer Umsetzung, so dass der zusätzliche Steuerertrag ganz bei ihnen verbleibt mittels einer Steuersatzerhöhung: Beispiele sind Neuenburg und Waadt», sagt Boivin.

Welche Nebenwirkungen könnte die Reform haben?

Die Tiefsteuerkantone können dank der Mehreinnahmen die Einkommenssteuern stark senken. Damit würde der Standortwettbewerb für private Steuern noch mehr angeheizt. In Zug würden die Löhne noch tiefer besteuert werden als bisher und der Abstand zu Zürich wäre noch grösser. Dies hat bereits zu gehässigen Reaktionen unter den kantonalen Finanzdirektoren geführt.

Welches Szenario tritt wahrscheinlich ein?

Aktuell sehen Umfragen ein Ja von Volk und Ständen voraus. Die Antwort kennen wir am 18. Juni.