Wohl selten war die Welt auf so wenige Themen fokussiert wie zuletzt. Seit einer gefühlten Ewigkeit gibt es nur drei Themen in den Nachrichten: Klima, Corona, Trump. Diese unheilige Dreifaltigkeit hat es sogar geschafft, das seit meiner Kindheit dominierende Thema Nahostkonflikt zu verdrängen. Nach Hunderten Terroranschlägen endlich eine Abwechslung?
Klaus W. Wellershoff ist Ökonom und leitet das von ihm gegründete Beratungsunternehmen Wellershoff & Partners. Er war Chefökonom der UBS und unterrichtet Nationalökonomie an der Universität St. Gallen.
Jein. Anders sind die Bilder. Statt ausgebombter Autowracks und aufgeregter Massenbeerdigungen sehen wir jetzt schmelzende Polkappen, überfüllte Intensivstationen und einen wild um sich schlagenden Egomanen. Jeden Tag. Gleich geblieben sind die selbstgerechte Entrüstung und die immer lauter werdende Aufregung der Gesellschaft. Ganz ehrlich: Ich habe genug davon!
Damit sollen die angesprochenen Themen nicht verharmlost werden. Der Nahostkonflikt ist eine Geissel nicht nur für die Region – und er hat unsägliches Leid gestiftet. Die Klimakrise ist real und wird die Welt stark verändern. Corona ist eine schwerwiegende Pandemie, die wir bis heute nicht in den Griff bekommen haben. Und Donald Trump ist eine Bedrohung für Freiheit und Demokratie auf der ganzen Welt.
Was mich stört, ist, dass wir durch unsere über-emotionalisierte Fokussierung die reale Breite der uns gegenüberstehenden Herausforderungen komplett ausblenden.
«Die Abwahl von Donald Trump ist auch eine Chance für eine Neuorientierung.»
Nehmen wir nur ein Thema heraus: Trump. Wie viele Stunden haben wir uns dieses Jahr mit den USA auseinandergesetzt? Nur ein paar Stichworte: Amtsenthebungsverfahren, Handelskriege, Corona-Verleugnung, Wahlen, Wahlausgangsverleugnung. Wahrscheinlich wissen mehr Menschen in der Schweiz, wie die Tochter des US-Präsidenten heisst, als dass sie den Namen des chinesischen Präsidenten kennen. Warum bloss schaut niemand nach China, Indien oder Indonesien?
Dabei ist China auf dem Weg, in Wirtschaft und Politik die neue Führungsmacht auf der Welt zu werden. Vielleicht macht sich jemand die Mühe, einmal zu messen, wie viele Minuten in der Tagesschau oder wie viele Zeilen in unseren Printmedien auf Amerika verwendet werden und wie viele auf China. Wenn man nüchtern die bevorstehenden Umwälzungen in Geopolitik und Weltwirtschaft betrachtet, wie würden Sie gewichten? Eins zu eins? Und wo stehen wir in der Realität?
Die wesentlichen Fragen
Insofern ist die Abwahl von Trump eine Chance für eine Neuorientierung. Joe Biden ist ein Mann der leiseren Töne, der statt bilateraler Konfrontation eher multilaterale Lösungen für die grossen Probleme sucht. Er wird es nicht schaffen und wohl auch nicht wollen, die gleiche mediale Aufregung zu erzeugen wie sein Vorgänger. Hoffentlich erlaubt uns das, mehr Zeit auf die wesentlichen Fragen unserer Zeit zu verwenden.
Wussten Sie, dass aller Voraussicht nach in zwanzig Jahren Indien ein höheres Volkseinkommen als die USA haben wird? Oder dass Indonesiens in realen Dollar gemessener Zuwachs an Volkseinkommen über diesen Zeitraum grösser sein wird als der von ganz Europa? Die Welt wird wirtschaftlich betrachtet facettenreicher und komplizierter. Diese Komplexität müssen wir wieder wahrzunehmen lernen.
Sonst kommen uns Corona und Klima noch teurer zu stehen, und zwar nicht wegen der vielen Erkrankten oder Gestorbenen oder der Folgen der Erderwärmung, sondern weil wir viele der wichtigen Entwicklungen verschlafen haben.