Die Wahlen in Frankreich haben einige faustdicke Überraschungen gebracht. Im Ergebnis nähert sich unser westlicher Nachbar in der Funktionsweise der Schweiz und Deutschland an: In beiden Ländern müssen stets mühsam Kompromisse gefunden werden, um Mehrheiten im Parlament zu organisieren. Was in Bern und Berlin aber seit Jahrzehnten Usus ist, wird für die französische Nachkriegszeit ein Novum werden. 

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Drei Überraschungen hat die Wahl gebracht: Die grösste ist, dass das rechtsextreme Rassemblement National (RN) auf einmal der klare Wahlverlierer ist. Die erste Runde hatte das RN noch klar gewonnen, eine absolute Mehrheit war in Griffweite. Nun schafft das RN mit 143 Sitzen zwar das beste Ergebnis seiner Geschichte, von den drei Machtblöcken im neuen Parlament sind die Truppen von Marine Le Pen aber nur auf Platz drei. Die Strategie, dass bei Stichwahlen möglichst nur ein Kandidat gegen die RN-Vertreter antritt, ist voll aufgegangen.

Die zweite Überraschung ist das sehr gute Abschneiden des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire, das insgesamt mit 180 Sitzen die meisten Mandate alles Bündnisse gewinnt. Die linksextreme La France insoumise (LFI) stellt hierbei mit 71 Sitzen zwar die grösste Teilgruppe, doch die gemässigten Sozialisten konnten deutlich zulegen und haben mit 64 Mandaten nur etwas weniger Sitze als die LFI erringen können. Das könnte für die anstehende Regierungsbildung noch wichtig werden.

Überraschung Nummer drei ist, dass Macrons Wahlbündnis Ensemble nicht untergegangen ist, sondern mit 163 Mandaten den dritten grossen Machtblock im Parlament stellt. Gegen Macrons Truppen dürfte es kaum möglich werden, eine Regierungsmehrheit zu bilden. 

Wie geht es nun weiter? Der Regierungschef wird vom Staatspräsidenten ernannt. Macron dürfte aber erst einmal abwarten, wie sich die drei Machtblöcke nun aufstellen. Das neue Parlament tritt am 18. Juli zum ersten Mal zusammen. Vorher dürfte Macron kaum einen neuen Regierungschef ins Rennen schicken, der mit einem Misstrauensvotum zu Fall gebracht werden kann.

Kommt eine Expertenregierung?

Zwei Szenarien scheinen jetzt möglich: Zum einen könnte Macron eine öffentlich angesehen Person, die aus keinem der drei Machtblöcken kommt, mit den Regierungsgeschäften betrauen. Diese Expertenregierung müsste sich dann für jedes Gesetzesvorhaben eine Mehrheit im Parlament suchen. Was in der Schweiz Alltag ist, wäre für Frankreich ein Novum. Solch eine Regierung würde wohl allenfalls die laufenden Geschäfte managen können, schon die Verabschiedung eines Haushalts im Herbst könnte das Konstrukt zu Fall bringen.

Die zweite Variante wäre eine Art grosse Koalition aus Macrons Bündnis Ensemble, einigen Linken und den Republikanern. Es ist zu erwarten, dass das Linksbündnis Nouveau Front populaire bald auseinanderbrechen wird, denn das einzige, was dieses heterogene Linksbündnis zusammenhält, ist der Wunsch, die Rechtsextremen von den Schaltern der Macht fernzuhalten. Das ist gelungen. 

Auf dem Papier hätte solch eine grosse Koalition eine Mehrheit im Parlament. Allerdings haben die Républicains, aus deren Reihen die früheren Präsidenten wie Nicolas Sarkozy oder Jacques Chirac stammen, schon früher eine Zusammenarbeit mit Macrons Mitte-Bündnis verweigert. Nun müssten sie noch mit den Sozialisten zusammenspannen. 

Vor diesem Hintergrund scheint daher denkbar, dass sich Frankreich die nächsten zwölf Monate mit einem blockierten Parlament herumschlagen muss. Und Präsident Macron dann zum nächstmöglichen Termin im nächsten Jahr erneut Wahlen ansetzt, in der Hoffnung, dass der Urnengang dann eine handlungsfähige Regierungsmehrheit ergibt. Was aber dem RN einmal mehr eine Chance auf die Macht brächte. 

Bleibt zu hoffen, dass die politisch Verantwortlichen dies im Hinterkopf behalten und sich zu etwas durchringen, was in der französischen politischen Kultur bisher unterentwickelt ist: Kompromisse zu finden und von Maximalforderungen abzulassen.