Alle sechs Jahre schlägt die Stunde der Klimaforscher. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) fasst die jüngsten Forschungsresultate zum Klimawandel zusammen. Beim IPCC handelt es sich nicht um eine Umwelt-Lobbygruppe, sondern um ein Panel von über tausend Forschern aus den besten Universitäten der Welt. Diese Forscher sagen so klar und deutlich, wie man es selten aus den universitären Elfenbeintürmen hört: «Ja, der Klimawandel findet statt, und mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent hat der Mensch die Hände im Spiel.» Die CO2-Konzentration ist unbestritten auf einen Wert angestiegen, der zuletzt vor fast einer Million Jahren erreicht wurde. Alle paar Wochen erlebt die Welt ein extremes Wetterphänomen, das eigentlich praktisch nie vorkommen sollte.
Alle sechs Jahre schlägt aber auch die Stunde der Klimaskeptiker. Sie machen sich einen Sport daraus, die Nadel im Heuhaufen zu finden und unter all den Resultaten, welche den Klimawandel als sehr wahrscheinlich erscheinen lassen, das eine Detail zu finden, welches nicht ganz ins Bild passt. Heuer ist es die globale Durchschnittstemperatur: Diese ist nämlich in den vergangenen 15 Jahren entgegen den Erwartungen nicht signifikant angestiegen. Zwar interessieren sich weder die philippinische Familie, deren Hütte soeben weggespült worden ist, noch der Schweizer Hotelier, dessen Zimmer nun ohne Aussicht auf den Gletscher auskommen müssen, für eine Durchschnittstemperatur. Dennoch beherrschen die Skeptiker die Schlagzeilen: «Der Klimawandel ist ja gar nicht bewiesen!»
Der Mensch hat Mühe, mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen
Man ist geneigt zurückzufragen: Ist es eigentlich erwiesen, dass Zigarettenrauch schädlich ist? Ich kenne doch einen alten Mann, der sein ganzes Leben lang geraucht und doch nie einen Doktor gesehen hat. Und wäre es nicht eine interessante Geschäftsidee, jetzt Schwarzgeldkonten aus den USA zu übernehmen? Schliesslich ist es ja nicht erwiesen, dass die amerikanischen Steuerbehörden wirklich gegen meine Bank vorgehen werden. Erwiesen ist es nicht – aber höchst wahrscheinlich. Der Mensch hat Mühe, mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen, besonders wenn diese eine unangenehme Verhaltensänderung notwendig erscheinen lassen.
Aber halt – ist es denn erwiesen, dass der Klimaschutz uns unangenehme Verhaltensänderungen abverlangt? Viel wahrscheinlicher ist das Gegenteil: Mit dem Klimaschutz kann man gutes Geld verdienen. Viele Schweizer Firmen haben sich auf Hightech-Lösungen spezialisiert, welche beispielsweise in Industriebetrieben die Prozesse verbessern und damit auch Energie einsparen. Wenn die Verschwendung von Energie – und damit der Ausstoss von CO2 – weltweit einen Preis hat, dann werden solche Technologien noch konkurrenzfähiger, weil die Effizienz zu Kosteneinsparungen bei den Kunden führt. Wird beispielsweise in China ein Hochhaus nach tiefen Standards erstellt, hat innovative Gebäudetechnik aus der Schweiz kaum eine Konkurrenzchance. Die Situation ändert sich jedoch sofort zugunsten des Gebäudetechnikers, wenn CO2 einen Preis hat und seine Technologie somit bares Geld wert ist.
Der Emissionshandel hat entscheidende Vorteile
Einen Preis auf CO2 erreicht man beispielsweise mit dem Emissionshandel. Der Staat gibt vor, welche Menge CO2 insgesamt eingespart werden soll. Die Industriebetriebe haben die Wahl, entweder CO2 selber zu reduzieren oder Emissionsrechte einem anderen Industriebetrieb abzukaufen. Daraus resultiert ein Marktpreis für CO2. Dieser Preis steigt so lange an, bis es sich für eine genügende Anzahl Unternehmen finanziell lohnt, CO2 zu reduzieren, statt Emissionsrechte einzukaufen. Es lohnt sich für die Unternehmen, in effiziente Technologien zu investieren und diesen damit zum Durchbruch zu verhelfen.
Der Emissionshandel hat gegenüber anderen Massnahmen wie beispielsweise einer CO2- Steuer entscheidende Vorteile. Erstens wird CO2 genau bei den Betrieben eingespart, wo dies am kosteneffizientesten möglich ist. Zweitens ist die absolute Menge an vermiedenem CO2 von vornherein gegeben, während niemand die genaue Lenkungswirkung einer Steuer kennt. Drittens – besonders wichtig für die Wirtschaft – wirkt ein Emissionshandel antizyklisch: In einer Boom-Phase steigt der Energieverbrauch an, und damit steigt auch der CO2-Preis. In der Rezession passiert das Gegenteil.
Der Emissionshandel wäre also ein effizientes und wirtschaftsfreundliches Instrument für den Klimaschutz – doch das Problem ist ein ganz anderes. Spätestens seit der Finanzkrise ist die weltweite politische Ambition weggebrochen, wirklich Verantwortung für das Klima zu übernehmen. Nicht einmal die äusserst schwachen CO2-Ziele des Kyoto-Protokolls wurden verlängert. Als Folge davon ist der CO2-Preis eingebrochen. Derzeit kostet es fast nichts, mit ineffizienten Technologien CO2 in die Luft zu pumpen.
Die Schweiz könnte und sollte punkto Klimaschutz eine noch viel konstruktivere Rolle einnehmen, besonders da ein – möglichst weltweit gültiger – CO2-Preis durchaus im Interesse der Schweizer Wirtschaft sein müsste. Zunächst sollte sich die Schweiz ein aggressiveres Treibhausgas-Reduktions-Ziel von minus 30 Prozent oder gar minus 40 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 setzen. Dieses Ziel jedoch einzig mit Einsparungen in der Schweiz erreichen zu wollen, ist wenig realistisch, da das Sparpotenzial im Inland beschränkt ist. Stattdessen sollten Schweizer Firmen das Recht erhalten, im Ausland effiziente Technologie zu verkaufen und sich das dadurch eingesparte CO2 anrechnen zu lassen. Die japanische Regierung ist bereits vorangegangen und trägt zum Klimaschutz bei durch japanische Technologie. Die Economiesuisse sollte den Klimaschutz verstärkt als Förderer und nicht als Bremser des Wirtschaftswachstums erkennen: Die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) beispielsweise, welche in der Schweiz über 300000 Menschen beschäftigt, reduziert weltweit bereits heute bis zu 10 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr durch den Verkauf von energieeffizienter Technologie – dies ist ein Fünftel der gesamten Schweizer CO₂-Emissionen!
Klimafreundliche Unternehmensind langfristig im Vorteil
Solange die globale Politik keine Verantwortung übernimmt, bleibt dem verantwortungsbewussten Unternehmer jedoch die Möglichkeit, freiwillig aktiv zu werden. Bei vielen Unternehmen gehört es inzwischen zum Standard, den eigenen CO2-Fussabdruck zu messen und zu reduzieren, wo immer möglich. Innovative Betriebe gehen noch einen Schritt weiter und kompensieren verbleibende CO2-Emissionen auch ausserhalb ihres Betriebes.
Es gibt die Pioniere, die auch dann noch Verantwortung übernehmen, wenn die Politik schläft. Dank globaler Kommunikation und Social Media werden die Konsumenten jedoch vermehrt klimafreundliche Unternehmensstrategien erkennen und wertschätzen und somit letztlich auch die Politik dazu bewegen, für einen globalen CO2-Preis zu sorgen, welcher wiederum die Pioniere belohnt.
Denn die gute Nachricht ist: Wir haben es noch immer in der Hand, die Klimaveränderung zu bremsen. Und wir können bei der Lösung des Problems gleich noch Kasse machen.
* Renat Heuberger war Mitgründer der Klimastiftung Myclimate und ist seit 2006 CEO von South Pole Carbon, das an elf Standorten 110 Mitarbeiter beschäftigt (inklusive Tochtergesellschaften). Heuberger wurde 2011 am WEF als «Swiss Social Entrepreneur of the Year» ausgezeichnet.