In gut einer Woche – am 20. Januar – beginnt in Davos das 55. Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF). Doch für einmal sind die Augen der Welt zunächst nicht auf das Treffen der Reichen und Mächtigen im Landwassertal gerichtet, sondern auf die Amtseinführung des mächtigsten Mannes der Welt. Denn an diesem Montag wird in Washington DC Donald Trump (78) als 47. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Eine echte Konkurrenz für das WEF und seinen Präsidenten und CEO Børge Brende (59).
Blick: Stört es Sie, dass Ihnen Donald Trump die Show stiehlt?
Børge Brende: Das globale Interesse an der Amtseinführung von Trump ist gross. Aber in Davos bieten sich viele Gelegenheiten, sich über die neue Politik in den USA auszutauschen und diese besser zu verstehen. Wir werden dieses Jahr in Davos eine Rekordteilnahme aus der Wirtschafts- und Regierungswelt verzeichnen. Zudem werden einige Vertreter der neuen Administration Trump nach Davos kommen. Da gibt es Chancen, die neuen Entscheidungsträger zu treffen.
Wer kommt denn?
Dazu kann ich aus Sicherheits- und Vertraulichkeitsgründen nicht zu viel sagen. Ich verspreche ihnen, es wird die eine oder andere Überraschung geben. Zudem war Trump zweimal während seiner ersten Amtszeit in Davos. Er weiss also um die Bedeutung des Forums. Die neue Regierung in Washington wird einen grossen Fussabdruck in Davos hinterlassen, das kann ich versichern.
Trump bevorzugt den Deal gegenüber politischer Knochenarbeit. Seien wir ehrlich, den meisten Wirtschaftsführern geht es ähnlich, sie kommen nach Davos, um Geschäfte zu machen – und nicht um die Welt zu verbessern.
Sie haben schon recht, in Davos werden viele Verträge abgeschlossen, es geht auch ums Geschäft. Das ist nicht negativ, denn erfolgreiche Geschäftsabschlüsse bedeuten mehr Jobs, mehr Investitionen und mehr Wachstum. Aber die Bedeutung des Forums geht weit über das hinaus. Es ist das wichtigste Treffen zu Beginn des Jahres, um etwas zu bewirken und die Zusammenhänge zu erkennen, das weiss ich aus eigener Erfahrung. Ich war schon als Aussen-, Wirtschafts-, Handels- und Umweltminister in Davos. Hier treffen sich Regierungen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft, um gemeinsam besser zu verstehen, was in diesem Jahr auf die Welt zukommt. Und es gab auch immer wieder Durchbrüche von weltpolitischer Bedeutung. Zum Beispiel in Bezug auf das Ende der Apartheid oder Impfinitiativen.
Wie viel sind diese Geschäftsabschlüsse wert, lässt sich das beziffern? Da geht es sicher um Milliarden.
Gute Frage. Dazu haben wir keine Daten. Wir fokussieren mehr auf andere Abkommen zwischen Staaten und Firmen, die in Davos abgeschlossen werden. Etwa die Vermeidung von Plastikabfällen in den Weltmeeren, Leitplanken für den Umgang mit künstlicher Intelligenz oder Bemühungen zur Bekämpfung von Korruption.
«Zusammenarbeit für das intelligente Zeitalter» lautet das Motto des diesjährigen Treffens. In Anbetracht all der Krise und Kriege – kann man da wirklich von einem intelligenten Zeitalter sprechen?
Das ist ein guter Punkt. Aber worum es hier geht, ist die Bedeutung von Wissen und Technologie in den kommenden Jahren. Wir befinden uns an einem Wendepunkt. Wenn man sich den Welthandel heute ansieht, wachsen der Onlinehandel und die digitalen Dienstleistungen dreimal so schnell wie der Warenhandel. Auch künstliche Intelligenz gehört zum am schnellsten wachsenden Teil der Wirtschaft. Wir bewegen uns in Richtung einer neuen Ära der industriellen Realität, in der Wissen und Intelligenz die Grundlage dafür bilden.
Nur handeln halt die Menschen nicht immer vernünftig.
Bei weitem nicht alles, was auf der Welt geschieht, ist auch intelligent. Ganz im Gegenteil. Zum Beispiel haben wir im vergangenen Jahr die höchste Zahl an Menschen gesehen, die in Kriegssituationen getötet wurden – so viele wie nie in den letzten 30 Jahren. Es gibt 120 Millionen Vertriebene auf unserem Planeten. Das ist wahrscheinlich die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg.
Wo sehen Sie die grössten Risiken in diesem Jahr?
Davos fand schon seit langem nicht mehr vor so einem schwierigen geopolitischen Hintergrund statt. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass all diese Krisen nicht weiter eskalieren. Aber wir sollten auch nicht allzu pessimistisch sein.
Wieso?
Die Weltwirtschaft ist robust, wird in diesem Jahr um drei Prozent wachsen. Das ist zwar nicht so viel wie in den letzten Jahren, aber auch kein Rückgang. Wichtig ist, dass die geopolitischen Krisen nicht ausser Kontrolle geraten und negative Folgen für die Weltwirtschaft nach sich ziehen. Weniger Wachstum würde zu mehr Ungleichheit und weniger Wohlstand führen – das wäre sehr negativ.
Es fehlt an globaler Führung, für Trump gehören die Vertreter internationaler Kooperation zu den Verlierern. Auch das WEF?
Wir müssen uns der Realität stellen. Die Weltordnung, wie wir sie seit dem Ende des Kalten Krieges kennen, hat ausgedient. Es entsteht eine neue Weltordnung, der Wettbewerb zwischen den Staaten verschärft sich …
… mehr Wettbewerb kann ja nicht schaden …
… in der Geschäftswelt, ja. Dort gibt es aber auch viele Regeln, die den Wettbewerb in geordnete Bahnen lenken. In der Geopolitik treffen amerikanische auf chinesische oder Interessen von anderen Staaten aufeinander. Das verschärft sich. Jeder schaut zuerst für sich, in der Aussen-, Sicherheits- oder Wirtschaftspolitik. Es geht immer weniger um den gemeinsamen Nutzen, immer mehr um Eigeninteresse. Doch selbst in so einer Welt des verschärften Wettbewerbs unter den Staaten gibt es immer wieder Handlungsfelder für Kooperation. Das Forum muss und kann sich mit diesen Themen befassen und ein wichtiger Treffpunkt für Lösungen und Durchbrüche sein.
Zum Beispiel?
Cyberkriminalität – da haben selbst Amerikaner und Chinesen ein gemeinsames Interesse, dass diese nicht noch mehr Schaden anrichtet. Oder die Vogelgrippe: Wenn es nicht gelingt, diese in den USA einzudämmen, wird sich das Virus ausbreiten, was weder im Interesse Chinas noch Europas sein kann. Wichtig ist aber auch, dass es dem Forum gelingt, Leute, die nicht unbedingt miteinander reden wollen, an einen Tisch zu setzen, damit wenigstens ein Dialog beginnen und hoffentlich Wirkung zeigen kann.
Gut, aber was hat jetzt der normale Schweizer Bürger von all dem?
Wenn die wichtigsten Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und gemeinsame Lösungen finden, kommt das den Menschen in der Schweiz ebenso zugute wie dem Rest der Welt. Und der Status und das Vertrauen der Schweiz als neutrales Land steigen. Es ist auch von Vorteil, wenn sich so viele Staats- und Regierungschefs und Wirtschaftsführer mit dem Bundesrat einen Austausch haben.
Während des Jahrestreffens eine bezahlbare Unterkunft in Davos zu finden, ist beinahe unmöglich. Was tut das WEF gegen die Abzocke bei den Unterkünften?
Wenn die Welt für eine Woche nach Davos kommt, ist die Nachfrage nach Hotels und Wohnungen sehr hoch. Das ist aber bei anderen internationalen Grossveranstaltungen wie Klimakonferenzen oder der UN-Generalversammlung nicht anders. Wir müssen erhöhte Preise akzeptieren, aber sie sollten nicht überrissen sein. Bei den Hotels klappt das inzwischen ganz gut.
Kurz vor dem WEF trifft sich die globale Kryptoelite in St. Moritz. Eine Konkurrenz?
Auch in Davos wird viel über Kryptowährungen diskutiert werden, über ihre Rolle in der Weltwirtschaft, wie man Missbrauch verhindern kann. Sie sehen, der Wettbewerb spielt auch bei den Grossveranstaltungen, da bin ich sehr entspannt.
Kurz vor Beginn des WEF gibt es einen Gerichtstermin wegen Diskriminierungsvorwürfen gegen das Forum und Gründer Klaus Schwab (86). Wirft das einen Schatten auf die diesjährige Veranstaltung?
Ich kann mich nicht zu einem laufenden Gerichtsverfahren in den USA äussern. Aber wir weisen diese Anschuldigungen aus den USA klar zurück. Grundsätzlich nehmen wir das Thema sehr ernst und haben einen Sonderausschuss unter Leitung von Axa-CEO Thomas Buberl (51) eingesetzt, um die im «Wall Street Journal» erhobenen Vorwürfe zu untersuchen. Das Ziel ist es, das Forum bei diesem Thema weiterzuentwickeln und noch professioneller zu machen.
Gründer Klaus Schwab zieht sich immer mehr zurück, sind Sie nun der starke Mann beim WEF?
Den Ausdruck «starker Mann» mag ich nicht. Wir haben eine klare Aufgabenteilung: Klaus Schwab ist der nicht geschäftsführende Vorsitzende des Verwaltungsrats, ich der Präsident und CEO. Klaus Schwab ist für mich in meiner Rolle immer noch ein sehr wichtiger Berater und eine Inspiration. Langfristig zielen wir sogar darauf ab, die Führungsverantwortung diverser zu verteilen.