Bei seinem Besuch in Washington wirbt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem US-Kongress um die weitere Unterstützung für die Kriegsanstrengungen Kiews. «Es ist eine grosse Ehre für mich, im US-Kongress zu sein und zu Ihnen und allen Amerikanern zu sprechen. Entgegen allen Untergangsszenarien ist die Ukraine nicht gefallen. Die Ukraine ist quicklebendig», sagte Selenskyj am Mittwoch auf Englisch in seiner Rede bei der gemeinsamen Sitzung des US-Senats und des Repräsentantenhauses.
Der ukrainische Präsident wurde beim Betreten des Plenarsaals mit stehenden Ovationen empfangen. Einige Mitglieder des Kongresses schüttelten Selenskyj die Hand, viele trugen die Farben der ukrainischen Flagge, blau und gelb. Für Selenskyj - wie üblich in olivgrünem Pullover und Cargohose - sah das Parlament über die Kleidervorschrift hinweg, nach der Männer normalerweise Jackett und Krawatte tragen müssen.
Ukraine verlangt «keine Almosen»
Der Zeitpunkt von Selenskyjs Besuch war gut gewählt: Genau 300 Tage seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine, am Tag der Bestätigung eines neuen US-Botschafters für Russland und kurz vor der Abstimmung des Kongresses über zusätzliche 44,9 Milliarden Dollar an neuer militärischer und wirtschaftlicher Soforthilfe. Die Republikaner, die am 3. Januar die Kontrolle über das Repräsentantenhaus von den Demokraten übernehmen werden, haben jedoch Bedenken hinsichtlich der weiteren Finanzierung geäussert und könnten ab kommenden Monat Milliarden Dollar an Kriegshilfen blockieren.
«Ihre Gelder sind keine Almosen. Sie sind eine Investition in die globale Sicherheit und Demokratie, mit der wir sehr verantwortungsvoll umgehen», sagte Selenskyj. Die Welt sei zu sehr miteinander verbunden, als dass sich ein Land zurücklehnen und sicher fühlen könne. «Dieser Kampf wird darüber entscheiden, in welcher Welt unsere Kinder und Enkelkinder und deren Kinder und Enkelkinder leben werden.»
Republikaner wollen sparen
Mit der Finanzierung der Ukraine geraten die politischen Prioritäten der Republikaner in Konflikt: Eine starke Verteidigung und die Ablehnung Russlands stehen dem Wunsch gegenüber, die Staatsausgaben einzuschränken. Erschwerend kommt hinzu, dass viele in der Partei der «America-First»-Politik des ehemaligen Präsidenten Donald Trump weiter folgen.
Mitglieder des Repräsentantenhauses und Senatoren beider Parteien sprangen während Selenskyjs Rede wiederholt auf und bejubelten Aussagen wie «Die Ukraine hält ihre Linien und wird niemals kapitulieren». Er verglich den Kampf seines Landes gegen Moskaus Streitkräfte mit den Schlachten des Zweiten Weltkriegs der amerikanischen Revolution.
Zehn-Punkte-Friedensplan für die Ukraine
Bislang gibt keine Anzeichen für Friedensgespräche zur Beendigung des Krieges. Selenskyj erklärte, er habe zuvor mit US-Präsident Joe Biden eine Zehn-Punkte-Friedensformel für die Ukraine diskutiert. «Ich bin froh, dass Präsident Biden heute unsere Friedensinitiative unterstützt hat. Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, kann heute bei der Umsetzung helfen, um sicherzustellen, dass die amerikanische Regierung solide, zweikammerig und überparteilich bleibt», sagte Selenskyj zu den Abgeordneten.
Selenskyj wurde in der gemeinsamen Sitzung des US-Senats und des Repräsentantenhauses als Verfechter der Demokratie empfangen und vermittelte damit eine Botschaft, die weit über militärische Hilfe hinausging. Sein US-Besuch signalisiert, dass die Vereinigten Staaten und ihre Nato-Verbündeten trotz des Widerstandes angesichts der steigenden US-Hilfen von einigen republikanischen Abgeordneten weiterhin fest hinter der Ukraine stehen.
(reuters/gku)