Eine Maschine der Royal Air Force hat gerade grössere Mengen Bargeld von London nach Zypern geflogen. Die rund 3000 Angehörigen der britischen Militärbasis – vor allem Luftwaffe und Marine, aber auch Abhörspezialisten und Computerfachleute – wollen bezahlt werden. Dafür auf die Liquidität der Banken auf der Insel zu zählen, erscheint der Regierung in London gegenwärtig als übergrosses Wagnis. Auf Zypern jedenfalls steht mehr auf dem Spiel als das Schicksal eines Landes von 1,2 Millionen Einwohnern mit einem Durchschnittseinkommen  von 22'000 Euro, das gegenwärtig ein grosses Zittern durch die internationale Finanzwelt schickt.

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Die Präsenz der Briten geht auf das 19. Jahrhundert zurück, als die Insel noch zum Osmanischen Reich gehörte. Die Briten kamen nicht als Kolonialherren, sondern auf Einladung. Die Royal Navy hatte dem Sultan militärisch und politisch den Rücken gestärkt, Marineinfanterie nach Zypern geschickt und Kriegsschiffe ins Schwarze Meer beordert, um den Russen, wie zuvor schon im Krimkrieg (1851-1854), die Zähne zu zeigen. Das geschah am Rande eines Krieges, der erst durch den Berliner Kongress 1878 gebannt wurde. Bismarck spielte in der Krise, um den grossen Krieg um das Erbe der Türkei zu verhindern, den «ehrlichen Makler» und zog sich den Hass der Russen zu.

Alle Krisen überstanden

Zum Dank für ihre militärisch-politische Intervention erhielt die Regierung Disraeli die Insel Zypern als Marinebasis, um den Suezkanal zu sichern. Die Aktienmehrheit und das Protektorat über Ägypten rundeten die Erwerbung ab. Geopolitisch galt es, den alten russischen Drang zu den warmen Meeren abzublocken. Seitdem hat die Marinebasis alles überstanden: zwei Weltkriege, die Unabhängigkeit Zyperns vom British Empire, die Teilung der Insel 1974 und das Ende des Kalten Krieges. Zypern dient heute den Briten und der Nato als unsinkbarer Flugzeugträger, als Ohr und Auge der Luftraumüberwachung in der gesamten Region.
Das britische Spionage-Zentrum GCHQ (Government Communication Headquarters) ist auch engstens verbunden mit den amerikanischen Diensten in und um Washington. Mit anderen Worten: Es mangelt nicht an Gründen, Zypern vor den Fehlern seiner Regierungen und der Gier seiner Banken zu retten.

Zu diesen Gründen gehört zuerst und vor allem die Lage vor der südlichen Haustür der Türkei. Die Regierung in Ankara hat 1974 die hitzköpfige «Enosis» (Einheit) der Inselgriechen mit Griechenland durch militärische Intervention verhindert und seitdem versucht, die überwiegend türkisch besiedelte Nordhälfte politisch und wirtschaftlich lebensfähig zu machen. Das ist bis heute nicht gelungen, bildet aber für die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU noch immer einen entscheidenden Stolperstein. Im türkisch kontrollierten Norden der geteilten Insel hat die zyprische Regierung nichts zu sagen. Uno-Blauhelme, darunter auch mehr als 1000 griechische Soldaten sowie Chilenen, Österreicher, Ungarn, Serben und andere kleine Kontingente sichern ein stabiles Provisorium – technisch ein UN-vermittelter Waffenstillstand.

Zypern als starke Trumpfkarte

Bis heute hat die Türkei die südliche Republik der Inselgriechen nicht anerkannt. Diese haben sich revanchiert, indem sie beim Uno-verhandelten Referendum vor ein paar Jahren die Einheit mit dem Norden ablehnten. Im Norden bewachen 36'000 türkische Soldaten den Status quo gegen den Süden und gegen jede Veränderung. Sie sind gegliedert in zwei Divisionen, sieben Infanteriebataillone, massive Artillerieverbände, aber ohne Luftwaffe, die würde im Ernstfall vom nahen türkischen Festland aus eingreifen.

 

Die türkische Regierung sieht in den Beitritts-Verhandlungen mit der EU ihre einseitige Position auf Zypern als Trumpfkarte, die EU-Unterhändler dagegen registrieren sie als Ausdruck der Kompromisslosigkeit. Jedenfalls besteht hier eine geopolitische Gemengelage, die auch durch lange Dauer nichts von ihrer Gefährlichkeit verloren hat.

Für Israel die Brücke zu Europa

Zypern liegt nicht weit von Tartus, der syrischen Hafenstadt. Dort hatte bereits zu Zeiten des Kalten Krieges die Rote Flotte der Sowjetunion einen Stützpunkt mittlerer Größe errichtet, der den Russen den seit Peter dem Grossen erstrebten Zugang zum warmen Meer sichern sollte. Unter Putin wurde die Basis mit viel Geld reaktiviert und dient nicht nur der Instandsetzung von Kriegsschiffen, die in Atlantik und Mittelmeer stationiert sind, sondern auch, spiegelbildlich zu den Aktivitäten der Briten, als Horchposten und Überwachungszentrum für den gesamten Mittleren Osten.

Tartus erklärt auch, warum es in Syrien so viele Russen gibt, wie auch familiäre Verbindungen. Von hier aus wollten die Sowjets, als 1967 die Spannungen zwischen Israel, Ägypten unter dem starken Mann von Kairo, Gamal Abdel Nasser, und Syrien zum Krieg führten, ihre militärische Intervention organisieren. Es kam nicht dazu. Schnelligkeit und Entschiedenheit des israelischen Sieges im Sechstagekrieg verhinderten ein sowjetisches Eingreifen, das unkontrollierbare Folgen für die Weltlage hätte haben müssen. Denn die amerikanische Sechste Flotte hatte zwar damals das östliche Mittelmeer weitgehend verlassen, um Krieg durch Zufall zu verhindern, hätte aber schwerlich der drohenden militärischen Katastrophe Israels tatenlos zusehen können.

Nahes Feriendomizil für Israelis

Zypern ist auch für Israel von vielerlei Bedeutung: Als nahes Feriendomizil, seitdem Erdogans Türkei die alte Waffenbrüderschaft mit den israelischen Streitkräften aufgekündigt hat und Israelis sich nicht mehr willkommen fühlen in den billigen Badeorten Kleinasiens. Zypern, nach der Legende der Geburtsort der Aphrodite – Chypris wurde sie von den alten Griechen auch genannt – ist für Israelis, Juden und Nicht-Juden auch ein Ort für Heiraten, die, obwohl nicht-rabbinisch, dann in Israel pragmatisch anerkannt werden. Für Israel ist Zypern moralisch und symbolisch eine Brücke zu Europa.

Die Nähe Zyperns hat für Israelis etwas Beruhigendes, allerdings nur solange, wie die Insel stabil bleibt und nicht durch finanzielle Erdbeben oder politische Konflikte oder beides zerrissen wird. Kaum irgendwo wird die Lage der Insel mit ähnlicher Besorgnis gesehen wie in Tel Aviv und Jerusalem. Darf man in der Euro-Zone im Ernst Hunderte von Millionen Euro für Griechenland aussetzen und Zypern in existenzielle Gefahr geraten lassen? Für Israelis, gegenwärtig noch mit dem Besuch Barack Obamas beschäftigt, ist die Finanzkrise zweitrangig: Politische Stabilität der Insel ist alles.

Grosse Erdgasvorkommen entdeckt

Dass in dieser geopolitischen Gewitterecke, wo sich zwischen Türkei, Syrien, Israel und Zypern weltpolitische Einflussachsen kreuzen, vor einigen Jahren große Erdgas- und Erdölvorkommen entdeckt wurden, ist ein gemischter Segen. Die Exploration ist in Gang, vom Büroturm der Universität Haifa, hoch über Stadt und Hafen, kann man die ersten Bohrtürme im Westen sehen. Für Israel bedeutet das Erdgas vor Haifa das Versprechen, dass die strategische Energieversorgung auf Jahrzehnte gesichert ist. Selbst Exporte nach Europa und große Pipeline-Projekte kommen in Sicht, wahlweise auch Flüssigerdgas für Transport über See auf Spezialtankern.

Die Türkei hat in gewohnt auftrumpfender Sprache und unter Berufung auf das neue Uno-Meeresgesetz Ansprüche angemeldet. Doch das Erscheinen israelischer Abfangjäger hat alsbald den Ton wieder gemildert. Man wird sich einigen müssen – in den Seegebieten zwischen Zypern, Haifa, Tartus und der kleinasiatischen Küste wie auch anderswo. Syrien ist gegenwärtig zu sehr mit sich selbst im Bürgerkrieg, als dass Baschar al-Assad oder die Rebellen Zeit und Mittel hätten, Ansprüche geltend zu machen.

Alte und neue Ansprüche

Zypern, so hat sich die Finanzwelt ein halbes Jahr lang über alle Vorbeben beruhigt, sei zu klein, um die Euro-Zone ins Wanken zu bringen. Mittlerweile liest man es anders. Ähnliches gilt für die periphere Lage der Insel im östlichen Mittelmeer. Da soll man sich nicht täuschen. Zypern ist viel näher an Berlin, als die Landkarte zeigt. Der Nahe und Mittlere Osten ist seit mehr als drei Jahrzehnten politische Erdbebenzone, und die Stosswellen aus der islamischen Welt haben seitdem, vom Untergang des Petrostaats Sowjetunion bis zum arabischen Winter des Missvergnügens, die Welt immer wieder dramatisch verändert.

Auf Zypern und um Zypern herum treffen sehr alte und sehr neue Ansprüche und Interessen aufeinander. Sehr alte, denn es geht nicht allein um das Erbe des British Empire, das die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg angetreten haben. Auch der strategische Vektor, wie die Russen eine welthistorische Bewegung nennen, der Zaren und Kommissare und ihre Erben ins Mittelmeer zog, hat seine eigene Kraft. Ohne die Russen geht es schlecht, mit ihnen aber auch nicht besser.

Vitale Interessen berührt

Die Lebensinteressen des Staates Israel sind auf eine Weise berührt, die erst noch im Entstehen ist. Neue aber auch: Denn es geht um Cyber-Macht und die Sicherheit eines unsinkbaren Flugzeugträgers, um finanzielle Rückversicherung und Garantien, um Investitionen und, zuerst und zuletzt, um europäische Währungsstabilität.

Dieser Artikel erschien zuerst auf welt.de.