Die Absenzen in der Hirslanden Klinik Stephanshorn in St. Gallen bei den Mitarbeitenden sind am Steigen, die -Atmosphäre ist im ganzen Haus angespannt. Dieses Stimmungsbild gibt Christina Fenyödi wieder, die dort für das Marketing und die Kommunikation zuständig ist. Grund für die beschwerliche Situation: die Covid-Pandemie.
In der Krise, die sich zum Winterbeginn und um die Festtage herum wieder zuspitzt, füllen sich nicht nur die Spitalzimmer und Intensivstationen mit Erkrankten. Auch Pflegepersonal und Ärztinnen und Ärzte infizieren sich mit dem Virus und müssen daheim in Isolation bleiben oder sich in Quarantäne begeben. «Wir merken, dass unsere Mitarbeitenden den hohen Druck immer stärker spüren und häufiger dünnhäutig reagieren», sagt Fenyödi. Sie macht die Beobachtungen vor allem in ihrer Funktion als Leiterin der Steuerungsgruppe des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) der Klinik.
Andere Spitäler und Kliniken sind mit demselben Problem konfrontiert. Doch in einem Bereich weist die St. Galler Klinik bessere Zahlen aus als vergleichbare Institutionen innerhalb, aber auch ausserhalb der Hirslanden-Gruppe. Die Fluktuationsrate liegt momentan bei 13 Prozent. Und damit um 3 Prozentpunkte tiefer als im ersten Corona-Jahr. In der Klinik hatte sie auch schon einen Höchstwert von 19 Prozent erklommen. «Dass wir momentan vergleichsweise wenig Abgänge haben, ist immerhin ein gutes Zeichen», sagt Fenyödi.
Die Klinikverantwortlichen wissen, dass die Loyalität der Angestellten zum Unternehmen gross ist. Das hat die Mitarbeitendenbefragung ergeben. Grund dafür sehen sie unter anderem auch in einem Programm, dem sich die Klinik angeschlossen hat. Sie ist Trägerin des Qualitätslabels «Friendly Work Space», das von Gesundheitsförderung Schweiz verliehen wird. Mit der Einführung des BGM hat die Klinik 2015 begonnen, im Herbst 2018 wurde ihr das erste Mal das Label «Friendly Work Space» verliehen. 2021 hat sie es wieder erhalten, denn Labelbetriebe dürfen sich alle drei Jahre wieder einem Re-Assessment stellen.
Dabei müssen Unternehmen – gleich aus welchem Wirtschaftsbereich auch immer – sechs Qualitätskriterien im BGM erfüllen, um damit das Wohlergehen der Mitarbeitenden zu erhöhen und ein gesünderes Arbeitsklima zu schaffen. Die St. Galler Klinik hat dabei Resultate aus aufwendigen Umfragen umgesetzt: So wurden ein Ruheraum eingerichtet sowie Stehpulte und für einige Abteilungen Luftbefeuchter für ein besseres Raumklima angeschafft. Und im Personalrestaurant kreierte man ein gesundes Sandwich für Schnellverpflegende. Weiter hat die Klinik eine Anlaufstelle für Mobbing und sexuelle Belästigung sowie eine Mediationsstelle und ein Coachingangebot eingeführt. «Speziell für die Corona-Krise stellen wir den Mitarbeitenden zwei Psychologen als Anlaufstelle zur Verfügung, um Probleme zu besprechen», sagt Fenyödi. Erfasst werden im Weiteren mehrere Indikatoren. So werden die Fluktuationsrate und die Krankheitsausfälle und Abwesenheiten gemessen und ein Austrittsmonitoring erhoben.
Das ist Friendly Work Space
Das Label «Friendly Work Space» setzt den Schweizer Qualitätsstandard für systematisch umgesetztes betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM), das vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und Bundesamt für Gesundheit (BAG) unterstützt wird. Die Zertifizierung stellt die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz aus, die von Kantonen und Versicherern getragen wird und einen gesetzlichen Auftrag hat.
«Systematisches Gesundheitsmanagement lohnt sich für eine Firma aufgrund der präventiven Wirkung und Massnahmen zu einer raschen Wiedereingliederung von Mitarbeitenden auch finanziell. BGM und speziell das Label ‹Friendly Work Space› wirken zudem attraktiv auf Stellensuchende, was ein Vorteil für Unternehmen in der Rekrutierung ist. Und mit Apprentice bietet Gesundheitsförderung Schweiz zudem ein Angebot für Berufsbildende zur Förderung der psychischen Gesundheit von Lernenden», so Thomas Brändli, Projektleiter Kommunikation BGM.
Stresslevel wird laufend analysiert
Zudem hat die Klinik zwei Mal eine Job-Stress-Analysis von Gesundheitsförderung Schweiz durchgeführt. Dabei hat sie die Mitarbeitenden anonym befragt. Diese mussten dafür etwa eine Viertelstunde aufwenden. Die Resultate können mit den Ergebnissen des Job-Stress-Index verglichen werden, einer repräsentativen Befragung von Erwerbstätigen in der Schweiz, die Gesundheitsförderung Schweiz regelmässig publiziert.
Das Monitoring aus dem vergangenen Jahr enthält einige aufsehenerregende Zahlen. So verliert die Schweizer Wirtschaft wegen arbeitsbezogenem Stress jährlich rund 7,6 Milliarden Franken – zwei Jahre zuvor lag dieser Wert bei 6,5 Milliarden Franken. Beinahe ein Drittel der Erwerbstätigen (28,7 Prozent) ist gemäss Index emotional erschöpft. Die Studienverantwortlichen vermuten, dass die immer stärkere Digitalisierung auch in der Schweiz zunehmend belastend wirkt. «Es zeigt sich, dass das Tempo der Arbeit in der Wahrnehmung der Beschäftigten seit 2016 deutlich zugenommen hat.» Alarmierend ist dabei: «Jüngere Mitarbeitende berichten dies mehr als ihre älteren Kolleginnen und Kollegen.» 42 Prozent der 16- bis 24-jährigen Erwerbstätigen erreichten bereits einen kritischen Bereich.
Obwohl auch private Belastungen zum Stress beitragen, gehören die Arbeitsbedingungen zu den wichtigsten Einflussfaktoren beim Job-Stress-Index. Im Fazit rät die Studie, Stressprävention und Gesundheitsförderung besonders zu beachten.
Auch dank des Labels «Friendly Work Space» dürfte die Fluktuationsrate in der Klinik gesunken sein. Bei den Absenzen dagegen konnte Christina Fenyödi einen solchen Trend nicht feststellen, im Gegenteil, dort sind die Zahlen gestiegen. «Die beiden Job-Stress-Analysen, die wir gemacht haben, lassen sich nicht miteinander vergleichen – die Corona-Pandemie hat die Situation zu stark verändert.»Sie glaubt aber, dass das Label das Arbeitsklima in der Klinik positiv beeinflusst hat. «Es ist wichtig zu wissen, dass ein solches Vorhaben Zeit und Geld braucht. Den Mitarbeitenden einfach nur gratis Früchte und Wasser zur Verfügung zu stellen, reicht nicht.» Zudem müsse es von allen mitgetragen werden. Auch vom obersten Kader.