Versicherer gehörten zu den Pionieren in der Anwendung von Informations-Technologie (IT). Kein Wunder, bot sich die virtuelle Natur des Produktes sowie der im Geschäftsmodell angelegte starke Bezug zu Daten doch geradezu an, in der Steuerung und Abwicklung des Geschäfts früh auf IT zu setzen. Was als Vorreiterrolle begann, ist mittlerweile zur Belastung geworden. Fossile Kernsysteme, die zwar funktionieren und über die Jahre ungeheuer viel Geschäftslogik und Daten in sich versammelt haben, werden zum Betriebsrisiko im Unterhalt und zum Bremsklotz für die Weiterentwicklung. Ihre Ablösung scheint überfällig, löst aber berechtigte Sorgen aus. Projekte zur Erneuerung der Kernsystem bedeuten kurzfristig fast nur Risiken und Investitionen, die Erträge kommen, wenn überhaupt, viel später. Auch sehen die Projekte von aussen so aus, als würden sich die Versicherer vor allem mit internen Prozessen beschäftigen, statt das Kundenerlebnis zu verbessern. Schliesslich «erlebt» ein Versicherungskunde kaum je direkt ein Kernsystem bei seinen Interaktionen mit einem Versicherer. Davon schirmen Ihn die Mitarbeitenden ab, bzw. inzwischen aufgesetzte Front-End Systeme, die den Eindruck vermitteln, dahinter befände sich eine durchgehend digitale Welt.

Viel Risiko und lange Rückzahlungsfristen? Das könnte sich ändern.

Ein Grund für das bisher ungünstige Profil solcher Projekte war, dass viele Kernsystem als «Black Boxes» funktionierten. In der Frühzeit der Informatik wurde nicht serviceorientiert gearbeitet, sprich: mit wiederverwertbaren und einzeln ablösbaren Bausteinen. Stattdessen programmierte man in Silos. Dabei wurde die gesamte Businesslogik in ein grosses Programm gegossen, Sparte für Sparte. Sobald ein solches System in Betrieb ging, wurde es gleich zur «Legacy», die immer der realen Entwicklung der Businessprozesse hinterherhinkte. Schnell entstanden Prozessbrüche, die mit schwer überblickbaren Schnittstellen zugekleistert wurden. Das führte dazu, dass eine Änderung in einem System plötzlich Auswirkungen auf andere haben konnte. Die Komplexität und damit die Fehleranfälligkeit stiegen rasch an, ebenso die Kosten für den Unterhalt und die Weiterentwicklung, während die Anpassungsgeschwindigkeit sank. Auch wurden die Systeme als interne Applikationen konzipiert, die von Experten bedient werden. Solche Systeme müssen nur bedingt benutzerfreundlich sein. Sie brauchten auch nicht viel Dokumentation. Die Nutzerinnen wussten ja Bescheid. Ein paar Runden Out- und Insourcing der IT, einige M&A Integrationen sowie etliche Reorganisationen später wurde es schwierig zu sagen, was genau im System passiert. Es funktioniert einfach. Gott sei Dank, denn das gesamte Geschäft hängt daran. Also: noli me tangere - Rühr mich nicht an!

KI bringt Licht in die Blackbox

Die neuerlichen Sprünge in den Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) können sich hier als Game Changer erweisen. Bisher war in einem klassischen Projekt zur Ablösung eines Kernsystems ein guter Teil des Aufwandes für die Nachdokumentation des bestehenden Codes, der Geschäftsabläufe und -regeln sowie der Abbildung der bisherigen auf die neuen Datenstrukturen reserviert. Neu kann KI die Geschäftsanforderungen aus dem bestehenden Code ableiten und damit sicherstellen, dass nichts vergessen geht. Statt manuell Testfälle zu erstellen, erfolgt dies nun automatisch wobei die Testfälle gleich mit KI-generierten Testdaten durchspielt werden können. KI kann auch den alten Code modernisieren und eine IT-Architekturanalyse vornehmen.

Technisch Risiken im Griff, es bleiben aber Herausforderungen

Der geschickte Einsatz von KI reduziert die technischen Risiken dramatisch und damit auch die Sorge, dass sich der Start des erneuerten Systems verzögert durch fehlende oder fehlerhafte Funktionalität, die im alten System noch bestens funktioniert hat. Dennoch wäre es vermessen zu sagen, solche Projekte wären nun ein Kinderspiel. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass der Einsatz von KI die folgenden Herausforderungen bergen kann, die sauber gemanagt werden müssen:

Unter hohem Druck bevorzugt Entwicklungsteams lieber bewährte Methoden, um sicherzustellen, dass Projekte zuverlässig abgeschlossen werden.

  • AI-Modelle können unvollständige oder fehlerhafte Ergebnisse produzieren. Der echte Produktivitätsgewinn entsteht erst, wenn das Team lernt, diese Fehler gezielt zu identifizieren und laufend zu korrigieren.
  • AI-Technologien entwickeln sich rasant weiter. Es gibt auch ständig neue Tools. Use Cases, die vor wenigen Monaten noch nicht funktioniert haben, können mit neueren Modellen plötzlich möglich werden. Das erfordert regelmäßige Evaluation und eine experimentierfreudige, offene Denkweise. Auch ist ein offener Austausch des gesamten Teams essenziell, da die AI-Tools ansonsten nur oberflächlich, zum Beispiel als bloßer Google-Ersatz, genutzt werden, was den Mehrwert stark reduziert.
  • Effektiver AI-Einsatz erfordert nicht nur technische Kompetenz, sondern auch ein Verständnis für die Stärken und Schwächen der Modelle. Teams müssen Zeit und Ressourcen für Schulungen, Experimente und Anpassungen einplanen.
  • Insgesamt zeigt sich wie bei allen IT-Projekten, dass sie oft nicht an technischen Problemen kranken, sondern wegen des ungenügenden organisatorischen Change-Managements. Ein professionelles und erfahrenes Projektmanagement bleibt absolut zentral. 
Innovation im Kern mithilfe von KI

Fazit: Projekte zur Ablösung von Kernsystemen gelten als riskant, teuer, sperrig und als unattraktive Fleissarbeit, für die am besten Heerscharen günstiger Informatiker aus den Offshore-Zentren verliehen wurden. Dank neuer Technologie und Methodik ist daraus eine viel intelligentere Ingenieursarbeit geworden. Der geschickte Einsatz von KI bringt somit echten Nutzen. Er reduziert die erheblichen Risiken, dass die Ablösung des alten Systems scheitert, weil das neue System den Geschäftsanforderungen nicht entspricht. Er erhöht auch die Effizienz in der Umsetzung und senkt damit die Projektdauer und die Kosten. So hat eine Studie von GitHub ergeben, dass Entwickler, die den GitHub Copilot verwendeten, bis zu 55 % schneller Code schreiben konnten.

Damit wird die oft aufgeschobene Erneuerung der Kernsysteme zu einem realistischen Unterfangen und KI nicht zu einer Spielerei an den Rändern des Versicherungsgeschäfts, sondern zu einem Innovationstreiber im Herzen desselben.