Pandemie als globales Problem

Covid-19 und die daraufhin ergriffenen staatlichen Risikomanagementmassnahmen – vor allem der Lockdown – zeigen in praktisch allen Bereichen des sozialen Lebens massive Effekte. Vornehmliches Ziel des Lockdowns ist es, durch Reduktion der Ausbreitungsgeschwindigkeit das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Zudem soll Zeit gewonnen werden, um Präventions- und Behandlungsmethoden zu verbessern. Aktuell werden in der Pandemiebekämpfung neben unterschiedlichen Formen eines Lockdowns vor allem akkuratere Schnelltests und Impfungen als «Mittel der Wahl» angesehen. 

Aktueller Versicherungsschutz in der Pandemie

Viele Gewerbetreibende und Privatpersonen leiden zurzeit unter existenzbedrohenden Umsatzeinbussen. Dies führt unter anderem zur Frage, inwieweit Zahlungen aus Versicherungsverträgen – insbesondere aus der Betriebsunterbruchversicherung – zur Abdeckung dieser Risiken zu leisten sind. In vielen Fällen wurden Entschädigungszahlungen seitens der Versicherungsgesellschaften abgelehnt, da kein physischer Schaden vorlag und / oder in den Verträgen Pandemieausschlüsse vereinbart waren. Um dem Bedürfnis nach Versicherungsschutz für Schäden aus Pandemien gerecht zu werden, stellt sich die Frage, ob neuausgerichtete Versicherungen geeignet sind, einen umfassenden Schutz zu gewähren, oder andere Formen der Finanzierung verwendet werden sollten. Die aktuelle Forschungsarbeit von H. Gründl, D. Guxha, A. Katasheva, und H. Schmeiser mit dem Titel «Insurability of Pandemic Risks» widmet sich dieser Fragestellung.  Im Folgenden sollen einige Ergebnisse kurz dargestellt werden. 

Versicherbarkeit

In der einschlägigen Literatur werden zahlreiche Kriterien diskutiert, die für die Versicherbarkeit von Risiken zentral sind. Zu nennen sind hier u. a. versicherungsmathematische Aspekte – wie die Quantifizierbarkeit des Risikos – oder rechtliche Restriktionen, die sich aus regulatorischen Rahmenbedingungen ergeben. Des Weiteren werden auch Probleme der asymmetrischen Information angeführt, die z. B. zu adverser Selektion führen können und damit einer Versicherbarkeit im Wege stehen. Die genannten Aspekte sind aber häufig nicht trennscharf. Wir wollen uns daher bei der Beurteilung der Versicherbarkeit nur auf die Frage konzentrieren, ob unter möglichst realistischen Bedingungen überhaupt ein privatwirtschaftlich organisierter Markt entstehen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager regelmässig über den Grenzpreisen der Angebotsseite liegt. 

Angebots- und Nachfrageseite: Theorie

Die Bestimmung des Mindestangebotspreises erfolgt in unserem Modell auf Basis des Drei-Momente-CAPM (Capital Asset Pricing Model). Ausgangspunkt bildet der Verzinsungsanspruch auf das eingesetzte Kapital, das Aktionäre für gleichriskante Investitionen am Markt erhalten. Damit ergibt sich ein Aufschlag auf die erwartete Entschädigungszahlung, welcher für die Risikotragung zu bezahlen ist. Umso grösser der Risikoaufschlag ist, umso höher ist die Mindestprämie. Aus zwei Gründen ist der Risikoaufschlag im Kontext von Pandemieschäden besonders hoch: 

1. Zum einen sind die Schäden innerhalb der Portfolios der Versicherer nur bedingt diversifizierbar. Dies gilt sowohl lokal als auch global. D.h.: Wenn Schäden eintreten, treffen sie sehr viele Versicherungsverträge zugleich. 

2. Zum anderen bestehen negative Abhängigkeiten zur Kapitalmarktentwicklung. Dies hat zur Konsequenz, dass immer dann hohe Auszahlungen vom Versicherer zu leisten sind, wenn die Anlageerträge besonders niedrig sind. Insgesamt ergibt sich somit ein hoher Angebotspreis, der nur von Versicherungsnehmern bezahlt wird, die sehr risikoavers sind und insbesondere beim Aufkommen einer Pandemie hohe Einkommensverluste erleiden.

Empirische Befunde

Wir betrachten eine hypothetische private Arbeitslosenversicherung, die eine Versicherungssumme über einen Zeitraum von maximal einem Jahr ausbezahlt. Potentielle Kunden sind Kleinunternehmer, deren Geschäftsmodelle direkt unter einem Pandemie-Lockdown leiden. Die Kalibrierung der Schadenverteilung basiert auf spezifischen ökonomischen Daten während der Covid-19-Pandemie im US-amerikanischen Markt, die ihrerseits hoch korreliert sind mit den veröffentlichten Infektionsraten. 

Vergleiche zum Marktanteil der Hausratsversicherung und der Versicherung für Farmbesitzer und den dabei beobachtbaren Prämien erlauben die Abschätzung der Nachfrage für eine private Arbeitslosenversicherung unter Berücksichtigung der aus Sicht der Versicherer notwendigen Mindestprämie. In der Gesamtsicht lässt sich feststellen, dass in einem rein privaten Versicherungskonzept kaum ein relevanter Markt entsteht. Dies bedeutet, dass die finanziellen Folgen durch eine staatlich angeordnete Geschäftsschliessung im Rahmen einer Pandemie von den meisten Personen nicht versichert werden. Damit bestätigen sich die theoretischen Befunde.

Konsequenzen

Eine rein private Versicherungslösung wird nach unserem Dafürhalten für Pandemierisiken nicht realisierbar sein, da die risikoreduzierende Wirkung durch Diversifikation – also die Kernleistung eines Versicherers – begrenzt ist. Damit ergeben sich im Wesentlichen nur zwei Alternativen: 

1. Die Risiken bleiben weitgehend unversichert und soziale Härten müssen durch – häufig nur bedingt zielgerichtete – steuerfinanzierte Zahlungen aufgefangen werden. 

Oder:

2. Es wird eine Mischung aus Versicherung (z. B. mit obligatorischem und fakultativem Teil) und weiteren Finanzierungen installiert. Solche Konzepte können als «Public-Private Partnership» gestaltet werden – z. B. direkt durch steuerfinanzierte Prämiensubventionen oder durch einen Risikopool, an dessen Exzess-Risiken der Staat beteiligt ist.

Der Bundesrat hat allerdings dieser Tage das Projekt einer solchen nationalen Pandemie-Versicherung als Public-Private Partnership – zumindest vorläufig – gestoppt. Dies ist bedauerlich, da dies zu Alternative 1) führt, die wir für die weniger gute Lösung halten.

Im Fokus: 

«I.VW Policy Brief: Versicherbarkeit von Pandemierisiken»

Dieser I.VW Policy Brief fasst das Arbeitspapier "Versicherbarkeit von Pandemierisiken" von Helmut Gründl (Goethe-Universität Frankfurt), Danjela Guxha (Universität St.Gallen), Anastasia Kartasheva (Universität St.Gallen) und Hato Schmeiser (Universität St.Gallen) zusammen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Spielraum für den privaten Markt für die Deckung von Pandemieverlusten begrenzt ist und Mechanismen des Risikotransfers auf den Finanzmarkt sowie die Rolle des Staates in Betracht gezogen werden sollten, um die Gesellschaft auf die nächste Pandemie vorzubereiten.

Weitere Auskünfte zum aktuellen «I.VW Policy Brief»: www.ivw.unisg.ch/hs

Prof. Dr. Hato Schmeiser, Institut für Versicherungswirtschaft (I.VW-HSG) der Universität St.Gallen