Was in früheren Jahren noch primär Nische und "nice to have" war, ist 2021 im Mainstream angekommen und wird proaktiv eingefordert. 81 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz erwartet, dass Versicherer nachhaltiges Verhalten fördern oder in nachhaltige Aktivitäten investieren, wie das aktuelle Stimmungsbarometer der Management- und Technologieberatung BearingPoint zeigt. Versicherungsunternehmen, die diesen Anforderungen nicht nachkommen, könnten schon bald das Nachsehen haben, denn fast jeder zweite potenzielle Kunde (46%) würde einen Versicherer mit nachhaltigen Produkten einem vergleichbaren Versicherer, ohne solche Produkte bevorzugen.
Welchen Kurs die Assekuranz also einschlagen sollte, liegt auf der Hand. Die Frage bleibt allerdings, wie sich dies konkret ausgestaltet und welche Faktoren hierbei massgeblich sind.
Mit offenen Karten spielen
Mit dem Aufkommen des Begriffs «Greenwashing» wird die Skepsis der Versicherungskunden gegenüber Nachhaltigkeitsaktivitäten von Unternehmen deutlich zum Ausdruck gebracht. Hier müssen Versicherer ansetzen und sich durch nachvollziehbare und überprüfbare Aktivitäten die Glaubwürdigkeit zurückerobern. Unter diesen Voraussetzungen wäre etwa die Hälfte der Kunden sogar bereit, den Preis für Versicherungsprodukte an das eigene nachhaltige Handeln koppeln zu lassen und bei nicht nachhaltiger Lebensweise höhere Preise zu akzeptieren. Anreize für tiefere Prämien könnten beim Kauf eines Elektrofahrzeugs oder eines Passivhauses mit nachhaltiger Energie geschaffen werden. Mit Blick auf die Renditen von Versicherungsprodukten sind 32% der Kunden zudem gewillt, einen Abschlag in Kauf zu nehmen, um nachhaltige Investments zu fördern.
Das gute Gewissen veranlasst viele Konsumenten offenbar, tiefer in die Tasche zu greifen und nicht zwangsläufig zum Preisführer im Markt zu tendieren. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn das Premium Angebot vollständig transparent im Hinblick auf die tatsächliche positive, nachhaltige Wirkung unterbreitet wird. Und genau hier liegt die Schwierigkeit, denn aktuell gibt es noch keinen universellen Standard im Markt, der eine nachhaltige Wirkung bemisst und zertifiziert. Für nachhaltige Produkte müssen zukünftig klare Standards gesetzt und kommuniziert werden. In unserer Studie sprechen sich 33% für die staatliche Regulierung von nachhaltigen Versicherungsprodukten aus und wünschen sich eine Zertifizierung, die solche Produkte klar erkennbar macht.
Die Entwicklung einer solchen Zertifizierung kann auch im privatwirtschaftlichen Rahmen erfolgen, wobei die Signalwirkung gegenüber dem Kunden mit hoher Wahrscheinlichkeit geringer sein dürfte. Der Wandel hin zu verstärktem Fokus auf nachhaltige Finanzprodukte im langfristigen Anlagebereich erfordert sowohl eine grössere Kohärenz als auch eine Erleichterung durch gemeinsame Ansätze - zwei Elemente, zu denen internationale Normen beitragen könnten. Da der Finanzsektor etwa 15% der globalen Wirtschaft ausmacht, bleibt es abzuwarten welche internationalen Standards sich etablieren werden, um diese enormen Kapitalflüsse zu Gunsten einer nachhaltigen Entwicklung zu kanalisieren.
Gutes tun und darüber sprechen
Neben der Transparenz im Sinne der Nachvollziehbarkeit, besteht auch ein Nachholbedarf an Transparenz im Sinne von Marketing und Kommunikation. So bescheinigt ein Drittel aller Kunden, keine Kenntnis darüber zu haben, ob ein Versicherer überhaupt nachhaltige Produkte im Portfolio hat oder nicht. Dass hier eine erhebliche Lücke zwischen Anspruch und Realität im Schweizer Versicherungsmarkt klafft, ist augenscheinlich. Folgerichtig sollten Versicherer ihren Marketingansatz unter die Lupe nehmen, und über die wesentlichen Kanäle die richtigen Inhalte gegenüber den Kunden kommunizieren. Denn wenn den Konsumenten gar nicht bewusst ist, welcher Versicherer welches nachhaltige Produkt im Angebot hat, wird die Konversionsrate hin zum Kauf sehr gering ausfallen.
Eines der grossen Probleme bei der Kommunikation ist schlichtweg, dass viele Versicherer bisher wenige attraktive, nachhaltige Produkte im Angebot haben, mit denen gut geworben werden könnte. Dies klingt zunächst negativ für die Unternehmen, allerdings bieten sich dadurch aktuell enorme Chancen für jene Anbieter, die als Erste im Markt mit wirklich innovativen nachhaltigen Produkten auftrumpfen können. Der First-Mover Advantage ist in diesem Zusammenhang signifikant, denn das Thema "Nachhaltigkeit" hat ein bisher nicht vorhandenes Momentum entwickelt, was es zukünftig zu einem sehr relevanten Umsatztreiber für alle Versicherer werden lassen wird.
Lesen Sie den aktuellen Sustainable Insurance Pulse Check um mehr über die Nachhaltigkeitsambitionen der Versicherer und die damit verbundenen zentralen Herausforderungen zu erfahren.
Autoren: Claudio Stadelmann, Viktor Winkler, Sarah Baker
Kontakt: Claudio Stadelmann, Partner bei BearingPoint, claudio.stadelmann@bearingpoint.com