AHV, Pensionskasse, 3. Säule: In einem Umfeld von Inflation, Reformen und Umverteilung zwischen den Generationen sorgen sich viele Schweizerinnen und Schweizer um ihre Altersrente. Ist es Zeit, die Vorsorge in die eigenen Hände zu nehmen? 

In der Schweiz herrscht Inflation und auf dem Sparkonto gibt es keinen Zins mehr. Lohnt sich Sparen überhaupt noch? 

Fabio A. Marchesin: Sparen auf dem Sparkonto macht definitiv keinen Sinn. Besser sollte man sein Geld in kostengünstige ETF (Exchange Traded Funds) investieren. Ich finde es wichtig, dass jeder einen Notgroschen hat, der zu seinen persönlichen Bedürfnissen passt, und seine Ausgaben im Griff hat. Alles darüber hinaus sollte angelegt werden – in der Säule 3a und ausserhalb. Wir sollten uns auch Gedanken machen, ob Bitcoin eine Alternative sein könnte zum Sparen.

Kerstin Windhövel: Wir müssen uns bewusst sein, dass gerade in der aktuellen Situation viele Menschen gar kein Geld auf die Seite legen können. Wenn man jedoch fürs Alter vorsorgen kann und das Geld nicht vorher braucht, dann macht meiner Meinung nach ein Einkauf in die Pensionskasse Sinn. Ich empfehle auch, in die Säule 3a einzuzahlen – vorausgesetzt man investiert das Geld diversifiziert und zu tiefen Gebühren. 

Wie sparen Sie persönlich?

Kerstin Windhövel: Mein 3a-Geld lege ich breit diversifiziert in mehreren Konti bei verschiedenen Banken an. Ich bin generell ein Fan von ETF – wegen der geringen Kosten. Zudem kaufe ich mich regelmässig in meine Pensionskasse ein. Beides hat steuerliche Vorteile. Glücklicherweise konnten wir vor einigen Jahren unsere Wohnung kaufen. Bei den heutigen Immobilienpreisen ist es jedoch schwierig, sich noch Wohneigentum leisten zu können.

Fabio A. Marchesin: Ich investiere monatlich in der Säule 3a und meinem persönlichen Wertschriftendepot in ETF und zudem wöchentlich in Bitcoin. Den Traum vom Eigenheim habe ich mir bereits erfüllt, viel mehr Cash als den Notgroschen brauche ich zurzeit nicht auf dem Konto. 

«Im Alter lässt es sich ruhiger schlafen, wenn die Fixkosten über eine regelmässige Rente gedeckt sind.»

Kerstin Windhövel

Welches sind Ihre drei Tipps fürs Alterssparen?

Kerstin Windhövel: Wenn man nur wenig Geld zur Seite legen kann, empfehle ich den Pensionskasseneinkauf, denn dadurch lässt sich die Altersrente verbessern, was mit der Säule 3a so nicht möglich ist. Ich bin überzeugt: Im Alter lässt es sich ruhiger schlafen, wenn die Fixkosten über eine regelmässige Rente gedeckt sind. Daher ist es wichtig, sich bereits frühzeitig mit der eigenen Rente zu beschäftigen. Das 3a-Geld würde ich mit möglichst geringen Kosten in ETF investieren. Und falls die Möglichkeit besteht, finde ich es sinnvoll, selbstbewohntes Wohneigentum zu erwerben. 

Fabio A. Marchesin: Das Wichtigste ist, früh zu beginnen – mit finanzieller Bildung. Je eher man mit Investieren anfängt, desto stärker profitiert man vom Zinseszinseffekt. Was auch oft unterschätzt wird: ein Budget zu erstellen und über seine Ausgaben Bescheid zu wissen. Grundsätzlich sollte immer die individuelle Situation berücksichtigt werden. Insbesondere wenn es um die Pensionsplanung geht: Holen Sie sich Unterstützung von einer Fachperson.

Die Altersvorsorge ist in Schieflage, die Renten der älteren Generation werden durch die Jungen finanziert: Machen Sie sich Gedanken über den Generationenkonflikt?

Fabio A. Marchesin: Ich bezweifle, dass meine Generation noch eine AHV-Rente erhalten wird. Deshalb sorge ich selbst fürs Alter vor. Mir ist aber bewusst, dass viele Menschen auf die AHV angewiesen sind. Die Umverteilung der Pensionskassen-Renditen ist so tückisch, weil sie unsichtbar ist. Als Selbstständiger habe ich die Möglichkeit, einen grösseren Betrag in die 3. Säule einzubezahlen, statt mich einer Pensionskasse anzuschliessen. So weiche ich diesem Problem aus.

Kerstin Windhövel: Jedes Rentensystem, das wie die AHV im Umlageverfahren funktioniert, hat per se einen Generationenkonflikt, da hier immer die Jungen für die Alten die Renten zahlen. Will man das nicht, darf man gar keine Umlagesysteme einführen. Im BVG sieht die Situation jedoch ganz anders aus: Beim Vorsorgesparen in der zweiten Säule hat Umverteilung nichts zu suchen. Das Problem heute ist vor allem der versicherungsmathematisch zu hohe Umwandlungssatz von 6,8% im BVG-Obligatorium. Die Politik tut sich sehr schwer, hier eine adäquate Lösung zu finden. Daher sind die Pensionskassen gezwungen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Lösungen mit weniger Umverteilung zu suchen.

«Ich sehe ein Problem in der fehlenden finanziellen Bildung der Bevölkerung: Die Menschen wissen zu wenig über Vorsorge.»

Fabio A. Marchesin

Die AHV21-Reform wurde hauchdünn angenommen. Wie geht es weiter? 

Fabio A. Marchesin: Die AHV-Reform löst das Problem nur für die nächsten Jahre. Die Politik ist gefordert, langfristige Lösungen zu finden. Vielleicht müssten wir das System von Grund auf überarbeiten und die AHV neu denken. Die BVG-Reform hätte Potenzial, wenn wir Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle abschaffen. Grundsätzlich sehe ich das Problem auch in der fehlenden finanziellen Bildung der Bevölkerung: Die Menschen wissen zu wenig über Vorsorge.  

Kerstin Windhövel: Ich schätze die direkte Demokratie und die Volksabstimmungen sehr – doch es ist vorhersehbar, dass unpopuläre Massnahmen, die sich negativ auf das eigene Portemonnaie auswirken, per se wenig Zuspruch finden. Ich gehe davon aus, dass früher oder später das Rentenalter für alle erhöht werden muss. Es gibt grundsätzlich in der ersten Säule nur drei Möglichkeiten mit der steigenden Lebenserwartung umzugehen: länger arbeiten, mehr einzahlen oder tiefere Renten. 

Wie sehen Ihre Lösungsansätze und Visionen zur Altersvorsorge aus?

Kerstin Windhövel: Das Schweizer Drei-Säulen-System finde ich hervorragend – wir müssen es jedoch der heutigen Situation anpassen. In der beruflichen Vorsorge erhalten Frauen heute sehr viel tiefere Renten als Männer, vor allem, weil sie häufig Teilzeit arbeiten. Das ist sehr unbefriedigend. Die Eintrittsschwelle ist daher in meinen Augen ersatzlos zu streichen, ebenso der Koordinationsabzug. Die Staffelung der Altersgutschriften sollte vereinheitlicht werden und das Vorsorgesparen bereits mit 20 Jahren beginnen. Ich bin zudem eine Befürworterin der freien Pensionskassenwahl für Arbeitnehmer. 

Fabio A. Marchesin: Ich würde anstelle der AHV ein neues System einführen. Für jedes Kind, das in der Schweiz geboren wird, werden einmalig 15'000 Franken in einen Aktienfonds einbezahlt. 7500 Franken zahlt der Staat, die Arbeitgeber der Eltern je 3750 Franken. Mit einer durchschnittlichen jährlichen Rendite von 7 Prozent gerechnet, werden bei der Pensionierung mit 65 Jahren rund 1,2 Millionen ausbezahlt. Sogar bei einer Lebenserwartung von 100 Jahren läge die jährliche Rente deutlich höher als mit der aktuellen AHV-Maximalrente. 

Prof. Dr. Kerstin Windhövel (Jg. 1972)

Kerstin Windhövel ist promovierte Volkswirtschaftlerin und Leiterin des Kompetenzzentrums Vorsorge bei der Kalaidos Fachhochschule für Wirtschaft und Geschäftsführerin der wincon gmbh – Pensionskassen- und Vorsorgeberatung. Ihr Motto: «Gib niemals auf!».

Foto: Stefan Bohrer, 7.9.22, Bern: Prof. Dr. Kerstin Windhövel
Quelle: Stefan Bohrer
Fabio A. Marchesin (Jg. 1987)

Als Finanzplaner und Finanz-Blogger «FinanzFabio» möchte Fabio A. Marchesin einem breiten Publikum wichtiges Finanzwissen auf einfache Weise vermitteln. Für ihn bedeutet Reichtum vor allem Freiheit. Sein Motto: «Es ist besser, an einem einzigen Tag im Monat über sein Geld nachzudenken, als einen ganzen Monat lang dafür zu arbeiten.»

Fabio
Quelle: Corinne Schädler, SIX
Sammelstiftung Vita

Mit über 23’500 angeschlossenen Unternehmen und mehr als 142’000 Versicherten ist die Sammelstiftung Vita eine der grössten teilautonomen Sammelstiftungen in der Schweiz. Die Stiftung engagiert sich für eine ausgeglichene und sichere berufliche Vorsorge für alle Generationen. Ihre Vorsorgelösung Vita Classic lässt sich flexibel auf die Bedürfnisse des Unternehmens und seiner Mitarbeitenden zuschneiden.