Herr Ali, Sie stellen Medikamente für Frauengesundheit her. Viele denken da an Verhütungsmittel – doch der Bereich bedeutet weit mehr als das. Kevin Ali:

Ja, es ist ein sehr umfassender Bereich. Zu nennen wären zum Beispiel Fertilität, Brustkrebs, postpartale Blutungen, vorzeitige Wehen, Endometriose, bakterielle Vaginose oder ungewollte Schwangerschaft. Zur Frauengesundheit zählen natürlich auch nicht geschlechtsspezifische Leiden, die aber primär Frauen zugesprochen werden, wie etwa Osteoporose oder Migräne. Unsere Firma fokussiert sich momentan indes auf Behandlungen, die Frauen direkt betreffen. 

Warum wissen viele Leute bei diesem Thema so schlecht Bescheid?

Es besteht diesbezüglich einfach ein sehr grosses Informationsdefizit in der Gesellschaft. Nehmen wir ein Beispiel: Endometriose ist eine stark verbreitete, chronische Krankheit, die zu Entzündungen und Vernarbungen auf der Gebärmutterschleimhaut führt. 10 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter leiden darunter, doch nur jede fünfte Betroffene wird auch diagnostiziert. Viele Frauen haben Symptome und Schmerzen und wissen nicht, weshalb. Dabei kann eine unbehandelte Endometriose schlimme Folgen haben und unter Umständen zu Unfruchtbarkeit führen. 

Was kann die Bedeutung von Frauengesundheit stärken?

Aufklärung tut not. Die Gesellschaft muss für diese Themen sensibilisiert werden, da die Frauengesundheit auch eine übergeordnete Dimension hat. So wirkt sich die Gesundheit von Frauen im Endeffekt auf die Gesundheit eines ganzen Landes aus. Ein Beispiel wären die ungeplanten Schwangerschaften. Zudem braucht es dringend mehr Forschung zur Frauengesundheit. Aktuell fliessen gerade mal 4 Prozent aller Forschungsgelder aus der Pharmabranche in diesen Sektor. Das muss sich ändern. 

Sie sprachen die ungeplanten Schwangerschaften an. Deren Anteil ist weltweit sehr hoch – selbst in Ländern wie den USA, Deutschland oder der Schweiz. Was können Sie als Firma da tun?

Wir haben uns im Rahmen des Projekts «Her Promise Access Initiative» dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2030 weltweit 120 Millionen ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Dies, indem wir als Firma im Zusammenspiel mit verschiedenen Partnern wie etwa dem UNFPA, dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, Zugang zu kostengünstigen Verhütungsmitteln gewährleisten, Aufklärungsarbeit leisten und Informationen zur Familienplanung bereitstellen. Unser Fokus gilt den Ländern mit niedrigen bis mittleren Einkommen.

Woher rührt Ihr Engagement für Benachteiligte?

Unsere Vision ist es, die Gesundheitsversorgung aller Frauen zu verbessern, egal, ob sie in einem reichen oder in einem armen Land leben. Unsere Geschäftstätigkeit ausschliesslich auf Gebiete wie Europa oder Nordamerika zu konzentrieren, wäre unehrlich und würde unsere Integrität infrage stellen. Auch innerhalb der Firma: Das Ziel, eine gesündere Welt für alle Frauen zu schaffen, schweisst unsere Mitarbeitenden extrem zusammen.

Sie haben aber auch hohe unternehmerische Ziele, möchten in Ihrem Geschäftsfeld die klare Weltnummer 1 werden. Wie bewerkstelligen Sie das?

Indem wir sehen, in welchen Bereichen noch die grössten therapeutischen Lücken in der Gesundheit von Frauen bestehen – und diese nach und nach schliessen. So haben wir allein in den ersten anderthalb Jahren unseres Bestehens sieben Deals zur strategischen Erweiterung unseres Portfolios abgeschlossen. Dazu zählen die Übernahmen von Alydia Health und ihrem Produkt zur Kontrolle postpartaler Blutungen oder von Forendo, unter anderem mit zwei Kandidaten für Endometriose und das PCOS, einer Hormonstörung. Wir definieren den Begriff Leaderrolle aber nicht über einzelne Produkte, sondern über all unsere Bereiche. Als Leader möchten wir auch die Forschung und Entwicklung vorantreiben – um im Endeffekt sämtlichen aktuellen und künftigen Herausforderungen bei der Frauengesundheit gewachsen zu sein.

Wie viel Geld lässt sich mit Frauengesundheit verdienen?

Ich mache ein Beispiel: Eines unserer Verhütungsmittel knackt in Bälde die Milliarden-Umsatz-Grenze – und ich bin davon überzeugt, dass noch andere unserer Produkte ein ähnliches Umsatzpotenzial entwickeln werden. Allerdings ist dieses Potenzial offenbar noch nicht allen Investoren klar: Sie sehen nicht das ganze Bild der Frauengesundheit und verhalten sich zögerlich. Aber manchmal braucht es einfach einen Moment, bis eine Branche eine gewisse, wichtige Grösse erreicht hat. Bis das Bewusstsein stark genug ist. 

Welche Rolle haben Frauen in Ihrem Unternehmen?

Insgesamt sind wir mit einem Geschlechterverhältnis von 50:50 sehr ausgeglichen in der Belegschaft. Auf Führungsebene arbeiten etwa 55 Prozent Frauen, auf Stufe Vorstand sind es sogar 70 Prozent. Uns als Firma ist es wichtig, dass viele Frauen auch auf Managementstufe tätig sind. Gleichstellung, aber auch Diversität und Inklusion sind für uns selbstverständliche Teile der Firmenkultur.

War es je ein Thema, dass der CEO einer Firma, die sich um Frauengesundheit kümmert, ein Mann ist?

Nein, zu keiner Sekunde. Ich bin CEO, weil ich die Chancen im Bereich Frauengesundheit – sowohl in gesellschaftlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht – gesehen habe. Aber im Grund spielt es keine Rolle, welches Geschlecht der CEO hat. Eine Person kann die mit der Frauengesundheit verbundenen Herausforderungen ohnehin nicht allein lösen, es ist alles ein riesiger Team-Effort aus Männern und Frauen. Wir ziehen alle an einem Strang. 

Eine Art Start-up-Groove.

Das stimmt. Wir sind als Spin-off von MSD mit fast 10’000 Leuten zwar eine sehr grosse, aber auch eine sehr junge Firma. Diesen Spirit spürt man. Die Firmenkultur ist uns sehr wichtig. Wir haben sehr flache Hierarchien, im Fokus stehen bei uns die Zusammenarbeit, aber auch die Energie und Leidenschaft, etwas zu bewegen.

60 Produkte für die Frauengesundheit

Der Arzneimittelhersteller Organon entstand 2021 aus einer Ausgliederung des Gesundheitsunternehmens MSD (Merck Sharp & Dohme). Das Portfolio des Unternehmens umfasst über 60 Produkte, unter anderem in den Indikationen Reproduktionsmedizin, Verhütung, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brustkrebs, Allergien und Asthma. Organon vertreibt seine Produkte in über 140 Ländern und ist in 58 Märkten direkt präsent. Das internationale Headquarter befindet sich in Luzern, Konzernsitz von Organon ist in Jersey City, NJ, in den USA. 

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