Lange Zeit schien es klar: Die Zukunft gehört dem E-Auto. Liest man derzeit die Schlagzeilen, erhält man aber das Gefühl, die E-Mobilität sei gescheitert. Ist sie das?
Laurent Fessy: Vieles von dem, was man derzeit lesen kann, ist sehr zugespitzt. Ich fahre privat ein E-Auto und bin begeistert. Für mich führt kein Weg an der E-Mobilität vorbei. Vielleicht erreichen wir unsere Ziele in diesem Bereich etwas später als gedacht. Aber klar ist auch: Benzin und Diesel können nicht der Weg der Zukunft sein. In absehbarer Zeit werden wir kein Öl mehr haben – was machen wir dann?
Timo Ohnmacht: Dass die E-Mobilität ein wichtiger Baustein ist, um Klimaziele zu erreichen, ist unbestritten. Allerdings sage ich als Verkehrssoziologe: Eine Antriebswende ist noch keine Verkehrswende. Es geht auch darum, dass wir für unsere Bewegung weniger auf Autos setzen, vor allem in den Städten. Autos brauchen nicht nur Energie, sondern auch Platz. Denn wenn wir die Energieziele einhalten wollen, brauchen wir mehr als nur E-Autos. Wir brauchen Verhaltensänderung und den öffentlichen Verkehr als gute Alternative.
Zu den Personen
Prof. Dr. phil. Timo Ohnmacht (44) ist Dipl. soz. tech. (Verkehrssoziologe). Seit 2011 forscht er in der Schnittmenge der Themenfelder Energie, Raum, Verkehr und Gesellschaft an der Hochschule Luzern – Wirtschaft im Kompetenzzentrum für Mobilität.
Laurent Fessy (40) ist Ingenieur und Head of Product Marketing von Hyundai, Nissan, KGM und Maxus bei Astara Switzerland.
Derzeit ist aber sogar eine Rückkehr zum Benziner zu beobachten. Wie erklären Sie sich das?
Timo Ohnmacht: Eine Rückkehr würde ich es nicht nennen. Aber die Wachstumszahlen bei den E-Autos stagnieren. Ein Problem ist, dass die Industrie vor allem grosse und teure E-Autos auf den Markt bringt und staatliche Subventionen immer mehr ausbleiben. Das muss sich ändern, wenn sich E-Mobilität auf breiter Basis durchsetzen soll. Wir benötigen einen «E-Volkswagen».
Laurent Fessy: Ich teile die Meinung: Es ist keine Rückkehr, einzig: Die Adaption auf E-Autos verläuft etwas weniger schnell als angenommen. Nichtsdestotrotz: Bei Astara liegt der Anteil elektrischer Modelle bei über 30 Prozent!
Brauchen wir in Zukunft überhaupt noch ein eigenes Auto?
Timo Ohnmacht: Die Beharrlichkeit der Autonutzung ist gross. Schweizer und Schweizerinnen legen im Schnitt sieben von zehn Kilometern mit dem Auto zurück. Das hat sich in den letzten 25 Jahren praktisch nicht verändert. Trotz Sharing, trotz Leih-Angeboten. Spannend ist auch: Die Mobilität, verstanden als die Wege, die wir zurücklegen, ist stabil geblieben. Aber die Reisedistanzen sind deutlich grösser geworden. Das Arbeiten, Wohnen, Einkaufen und Besuche bei Freunden liegen räumlich weiter auseinander. Deshalb ist es so wichtig, verdichtet zu bauen und die Nutzungen zu durchmischen. Das bringt mehr für den Energieabsenkpfad als die Versprechen der Autoindustrie mit ihren neuen Modellen von Sharing und Abo-Diensten, die sich noch nicht richtig durchgesetzt haben. Letztlich wird uns nicht nur die Technik helfen, sondern auch das Verhalten der Leute.
Damit wären wohl Sie angesprochen, Laurent ...
Laurent Fessy: … die Frage ist, was die Leute wollen. Astara ist ursprünglich ein Privatwagen-Importeur. Der neue Impuls des Unternehmens ist, dass wir über alle Kanäle der Mobilität ein Angebot haben wollen, vom E-Trotti bis zum Abo-Dienst. Damit hat die Kundin und der Kunde für jede Situation eine passende und – je nachdem – auch eine nachhaltige Wahl.
Sollen die Leute in Zukunft noch Autos kaufen?
Laurent Fessy: Astara ist der drittgrösste Importeur in der Schweiz. Diese Stellung wollen wir natürlich verteidigen. Wir wollen weiterhin Autos an den Mann oder die Frau bringen. Aber der Markt ist, wie er ist – nämlich seit vier Jahren rückläufig. Deshalb haben wir unser Portfolio an die neuen Bedürfnisse angepasst.
Timo Ohnmacht: Es scheint aktuell tatsächlich so, dass die Leute ihr Auto wieder länger fahren. Das ist umwelttechnisch gesehen keine schlechte Entwicklung, denn in Autos steckt graue Energie.
Ist das eine Folge der Ebbe im Portemonnaie oder von veränderten Werten?
Timo Ohnmacht: Die Werte-Diskussion ist immer etwas schwierig, weil Werte das Verhalten oft nicht eins zu eins beeinflussen. Auto ist Emotion. Es ist ein Statussymbol, nach wie vor. Das kann man besonders bei den Jungen beobachten, mit ihren Tuning-Cars und Showfahrten in den Stadtzentren. 2010 ging die Zahl der Führerscheine zurück, was man auf eine Wertverschiebung zurückführen wollte. Seit 2020 machen wieder sieben von zehn jungen Menschen die Fahrprüfung. Das Auto ist nach wie vor beliebt, bei allen Kohorten.
Laurent Fessy: Wir beobachten das auch bei uns. Das Design ist nach wie vor das erste Kaufargument bei einem Auto oder beim Leasingentscheid.
Spielen Emotionen bei Sharing- oder Abo-Diensten eine Rolle? Oder sind das eher pragmatische Lösungen?
Laurent Fessy: Beides. Vor allem Auto-Abos finde ich persönlich eine tolle Sache. Statt ein Auto zu kaufen, können Kundinnen und Kunden von einer globalen und sehr flexiblen Mobilitätslösung profitieren. Sie bezahlen einmal im Monat einen Betrag, und damit ist alles abgedeckt.
Können sich Abo-Modelle gegen die Besitz-Routine aus Sicht des Verhaltensforschers durchsetzen?
Timo Ohnmacht: Abo-Modelle sind durchaus spannend, weil sie die Durchlässigkeit zur Nutzung des öffentlichen Verkehrs erhöhen. Wenn das Abo ausläuft, müssen sich Personen neu entscheiden. Mir persönlich sind solche Abos aber noch nicht flexibel genug. Man müsste die Autos wochenweise abonnieren können; das wäre meine Empfehlung an die Industrie. Sonst ist es mehr oder weniger wie ein Leasingvertrag.
Laurent Fessy: Es gibt tatsächlich Gemeinsamkeiten mit einem Leasing. Aber ein Auto-Abo ist viel flexibler; man kann Modelle wechseln, und mit einer Mindest-Abodauer von einem Monat haben wir das kürzeste Angebot auf dem Schweizer Markt. Wir versuchen, in jeder Situation ein passendes Angebot parat zu haben. Denn es gibt nicht eine Lösung für alle, sondern unterschiedliche Lösungen für verschiedene Menschen.
Ist dieses breit gefächerte Angebot der richtige Weg in eine grüne Zukunft?
Timo Ohnmacht: Ich habe meine Zweifel, ob diese Abo-Modelle zur Reduktion von Treibhausgasen einen Beitrag leisten können. Letztlich sind es flexible Geschäftsmodelle, die auf kaufkräftige und etwas bequeme Kundinnen und Kunden abzielen. Wenn damit Energie eingespart wird, ist das ein schöner Nebeneffekt. Allerdings können Abo-Modelle den Austritt aus der Individual-Mobilität durchaus fördern. Denn: Jedes Mal, wenn du ein Abo erneuern musst, wirst du dir überlegen, ob du es wirklich brauchst.
Wo muss man den Hebel ansetzen, um wirklich etwas zu bewegen in der Klimafrage?
Timo Ohnmacht: Es gibt den Begriff des wesensgerechten Einsatzes von Autos. Das Auto hat viele Vorteile im ländlichen Raum oder auf langen Strecken auf der Autobahn mit mehreren Insassen. Dort geht es darum, diese Vorteile zu nutzen. Aber nicht im städtischen Raum. Dort beobachtet man Bemühungen wie derzeit in Paris, wo für SUVs höhere Parkgebühren bezahlt werden müssen, um grosse Autos aus den Städten zu verbannen. Klimaziele erreichen wir nun mal nicht so nebenbei. Es wird für einige Leute wehtun müssen.
Laurent Fessy: Das sind spannende Ansätze. Ich bin auch überzeugt, dass Städte ohne Autos lebenswerter sind. Ein grosses Potenzial liegt meiner Meinung nach auch darin, Fahrzeuge langlebiger zu machen. Aber das sollte ich als Vertreter eines Unternehmens, das Autos verkaufen will, vielleicht nicht unbedingt sagen (lacht). Es hat jedoch keinen Zweck, den Lauf der Dinge stoppen zu wollen. Deshalb hat sich Astara entschieden, mit der Zeit zu gehen – mit einem Angebot, das auf heutige Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Wir streamen unsere Musik und Filme. Wir legen verstärkt Wert auf Flexibilität und individuelle Lösungen und gleichzeitig kaufen wir unser Auto wie es schon immer der Fall war. Dabei gibt es Alternativen: Leasing, Carsharing, Abo-Services. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Aber was davon ist eine gute Lösung? Was macht Sinn für die eigene Lebenssituation?
Im Schweizer Mobilitätsbarometer, entstanden in der Zusammenarbeit zwischen astara und dem Forschungsinstitut Sotomo, werden daher die Alternativen betrachtet und deren Potential eruiert. In diesem Zusammenhang wird auch das Verhalten der Schweizerinnen und Schweizer im Bereich Mobilität näher untersucht, mit Fokus auf das Autofahren und den Autobesitz.
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