Die Konfrontation zwischen Ryanair und seinen Piloten hat sich seit Monaten abgezeichnet. Die Folge: Die deutsche Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit hat für diesen Freitag ihre Mitglieder zum Streik bei der Billigfluglinie aufgerufen. Die irische Gesellschaft muss allein 250 Flüge von und nach Deutschland streichen.

Zusätzlich wollen Ryanair-Piloten am gleichen Tag auch in Belgien, Irland und Schweden streiken, sodass europaweit etwa 400 Flüge von 55’000 Passagieren ausfallen. Es ist der grösste Arbeitskampf in der noch jungen Geschichte zwischen der irischen Airline und Gewerkschaften. Erst seit dem vergangenen Jahr verhandelt Ryanair überhaupt mit ihnen. Dieser Text klärt die wichtigsten Fragen bei der Auseinandersetzung:

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Was bedeutet der Streik für die deutschen und Schweizer Passagiere?

Wer in der Zeitspanne von Freitag 10. August um 3.01 Uhr bis Samstag um 2.59 Uhr einen Flug gebucht hat, muss mit einem Ausfall der Verbindung rechnen. Branchenkenner sprechen davon, dass die Airline nahezu alle Flüge aus Deutschland streicht. Nach Ryanair-Angaben wurden alle betroffenen Kunden per E-Mail oder SMS benachrichtigt. Die Passagiere könnten kostenlos umbuchen, erhielten eine Rückerstattung oder einen vergleichbaren Ersatzflug. Allgemein gilt, dass Passagiere sich über die Homepage von Ryanair oder der Flughäfen informieren sollten. Schweizer Passagiere sind wahrscheinlich nicht vom Streikt betroffen: Ryanair bietet einzig zwei Verbindungen vom Basler Flughafen an, nach Dublin und London Stansted – und diese Flüge werden laut dem «Blick» wohl durchgeführt.

Warum wird gestreikt?

Die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit spricht von einem legalen Arbeitskampf, weil sie im Juli eine Urabstimmung über einen Manteltarifvertrag und einen Vergütungstarifvertrag durchgeführt hat und sich 96 Prozent der Ryanair-Piloten für Arbeitskampfmassnahmen aussprachen. Im Kern gehe es nicht um bestimmte Gehaltsteigerungen, sondern um die Angleichung von Strukturen, Regelungen bei der Altersvorsorge und viele andere Punkte. «Die Ryanair-Piloten müssen ihre Uniform selbst bezahlen, bei anderen Airlines wird sie gestellt», sagt Janis Schmitt von der Vereinigung Cockpit, um nur ein kleines Beispiel zu nennen.

Ingolf Schumacher (r), Vorsitzer Tarifpolitik Vereinigung Cockpit und Janis Schmitt, Pressesprecher der Vereinigung Cockpit

Ingolf Schumacher (r), Vorsitzer Tarifpolitik Vereinigung Cockpit und Janis Schmitt, Pressesprecher der Vereinigung Cockpit geben vor den leeren Check-in Schaltern der Fluggesellschaft Ryanair im Terminal 2 des Flughafen Frankfurt ein Statement.

Quelle: Keystone

Die Gewerkschaft behauptet, seit dem 30. Juli sei kein verbessertes Angebot aus Dublin vorgelegt worden. Dem widerspricht Ryanair. Angeblich wurde am vergangenen Freitag ein überarbeiteter Vorschlag unterbreitet. Der Streik in Deutschland sei daher unnötig, heisst es bei der Billigairline. Die Gewerkschaft spricht davon, dass der neue Vorschlag keine Verbesserungen enthielt.

Während die Gewerkschaften unter anderem eine bessere Vergütung fordert, lehnt Ryanair eine Erhöhung der Personalkosten ab. Bei der Gewerkschaft wird argumentiert, dass Ryanair jedes Jahr Milliardengewinne erziele, bei einem Durchschnittsticketpreis von rund 40 Euro. «Irgendwer muss dafür bezahlen. Das Personal wird es nicht mehr tun», sagt ein Gewerkschaftsvertreter.

Schon in den vergangenen zwei Jahren war der Gewinn bei Ryanair trotz steigenden Passagierzahlen gesunken. Die Billigairline warb dennoch weiter damit auch in Zukunft die durchschnittlichen Ticketpreise senken zu wollen. Ob höhere Personalkosten nun ein Ende dieser Entwicklung einläuten, ist vorerst nicht abzusehen.

Rechtliche Schritte will Ryanair gegen den Pilotenstreik in Deutschland nicht einlegen. «Wir erkennen an, dass Menschen ein Recht zu streiken haben», sagte Manager Peter Bellew in Frankfurt. Er hofft, dass bis Weihnachten eine Einigung in dem Konflikt erreicht wird. «Vielleicht ist der Streik nur ein notwendiger Teil des Dramas», erklärt er.

Ryanair-Chef Michael O'Leary

Michael O'Leary: Der streitbare irische Airline-Unternehmer steht im Konflikt mit den Gewerkschaften.

Quelle: Stefano Montesi - Corbis / Getty Images

Verdienen die Ryanair-Piloten wirklich so wenig?

Hier steht Aussage gegen Aussage. Ryanair berichtet über «hervorragende Arbeitsbedingungen». Piloten würden bis zu 190’000 Euro jährlich verdienen und erhielten neben Zusatzleistungen eine Gehaltserhöhung von 20 Prozent zu Beginn des Jahres. Die Piloten würden mindestens 30 Prozent mehr als Eurowings- und 20 Prozent mehr als Norwegian-Piloten bekommen. Dieser Darstellung widerspricht wiederum die Gewerkschaft.

Konkrete Zahlen über das Durchschnittsgehalt werden aber nicht vorgelegt. Beklagt wird, dass es sogar innerhalb Deutschlands je nach Standort unterschiedliche Bezahlungen gibt. In Frankfurt eher mehr, in Memmingen eher weniger. Als Massstab zieht die Gewerkschaft Tarifverträge von deutschen Fluggesellschaften wie der Tuifly heran, allerdings ohne explizit auf den dort genannten Gehaltsstufen zu beharren. Vorhaltungen des Ryanair-Managements, man verlange Gehaltserhöhungen von mehr als 60 Prozent, weist die Gewerkschaft als falsch zurück.

Stehen weitere Streiks an?

Konkrete Planungen gibt es dafür laut der Gewerkschaft nicht. Sie seien aber in den kommenden Wochen und Monaten nicht auszuschliessen. In Gewerkschaftskreisen ist von einer Strategie der «Nadelstiche» die Rede, wobei auch Gewerkschaften anderer Länder eingebunden werden. Es bleibe dabei, dass 24 Stunden vor Arbeitskampfmassnahmen darüber informiert wird.

Das ist der Billigfluglinie viel zu kurzfristig. Die Airline fordert erneut die Arbeitnehmervertreter dazu auf, frühzeitiger zu informieren. Die Airline möchte mehr Zeit bekommen, um die Störungen für die Kunden zu minimieren. «Eine Frist von 40 Stunden mitten im August führt nur dazu, den Urlaub unschuldiger Familien zu zerstören», kritisierte Ryanair-Marketingchef Kenny Jacobs in Frankfurt. Den wirtschaftlichen Schaden für die Airline bezifferte er nicht.

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Die Piloten von Ryanair fordern mehr Lohn.

Quelle: Danny Lawson/PA Images/Getty

Wie bedeutend sind die Streiks?

Es ist der bislang grösste Arbeitskampf bei Ryanair, weil in Deutschland, Belgien, Irland und Schweden auch Proteste geplant sind. Dennoch sollen am Freitag immer noch 2000 Flüge innerhalb Europas stattfinden. Vor zwei Wochen hatten bereits streikende Flugbegleiter in Portugal, Spanien und Belgien über zwei Tage dafür gesorgt, dass rund 600 Flüge mit knapp 100’000 betroffenen Passagieren ausfielen. Unter den europäischen Piloten haben bisher einzig die Iren an vier einzelnen Tagen die Arbeit niedergelegt. Ryanair hatte daraufhin den Abzug von sechs Jets samt 300 Arbeitsplätzen nach Polen angekündigt.

Im Vergleich zu den zurückliegenden, jahrelangen Streiks der Pilotengewerkschaft bei der Lufthansa sind die Ryanair-Turbulenzen jedoch klein. Bei der Lufthansa wurden zeitweise täglich 800 Flüge gestrichen, bis es 2017 zu einer Grundsatzeinigung kam. Die Lufthansa berichtete rückblickend von einem Schaden von knapp 500 Millionen Euro durch die Streiks.

Bekommen die Passagiere eine Entschädigung?

Die irische Fluggesellschaft spricht selbst nur von der Option einer Rückerstattung, aber nicht explizit von einer Entschädigung. Bei Flugrechteportalen wie AirHelp heisst es hingegen, dass Reisende, deren Flüge gestrichen wurden «unter Umständen Anspruch auf eine Entschädigung von bis zu 600 Euro pro Person haben können».

Bislang hat die Billigairline bei vorangegangenen Arbeitsniederlegungen aber Entschädigungen abgelehnt, weil die Streiks nicht in der Macht der Gesellschaft lägen. Zu dieser Frage streben einige Flugrechteportale eine Musterklage an.

Dieser Text erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Irgendwer muss dafür bezahlen».