Das Spektrum der Risiken für Geschäftsleitungen und allgemein Führungskräfte – sowie die daraus resultierenden Schadenszenarien – haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Dies zeigt eine aktuelle Erhebung der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS). Konkret sind es folgende fünf Megatrends, die erhebliche Auswirkungen auf das Top-Management haben dürften.
- Mehr Rechtsstreitigkeiten aufgrund von „schlechter Presse“.
- Klagen aufgrund des Klimawandels nehmen zu.
- Weltweites Wachstum an Wertpapier-Sammelklagen.
- Insolvenzen und politische Herausforderungen wirken sich aus.
- Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten nimmt zu.
Der Bericht untersucht auch jene Faktoren, die nach einer Phase anhaltender Grossschäden nun Veränderungen im D&O-Versicherungsmarkt (Director‘s and Officer’s/Managerhaftpflicht) bewirken.
„Die AGCS beobachtet mehr Klagen gegen Unternehmensleiter, die nicht unbedingt durch schlechte Finanzergebnisse begründet sind, sondern aus kritischen Nachrichten oder Reputationskrisen resultieren“, sagt Shanil Williams, weltweit verantwortlich für Financial Lines bei AGCS. „Solche Szenarien beinhalten Probleme mit Produkten, von Menschen verursachte Vorfälle, Umweltkatastrophen, Korruptionsfälle oder Cyberangriffe.“ Solche kritischen Ereignisse führen oft zu erheblichen Aktionärsklagen, wenn negative Medienberichte einen Kursrückgang oder behördliche Ermittlungen auslösen.
Von den 100 grössten Wertpapierbetrugsfällen in den USA gehen 59 Prozent auf solche öffentlichen Ereignisse zurück. Beispielsweise gab es zahlreiche Ansprüche im Zuge der #metoo-Bewegung, bei der Unternehmensleitern mitunter vorgeworfen wird, eine „toxische“ Unternehmenskultur zumindest geduldet zu haben. Auch Cyberereignisse führen häufig zu D&O-Fällen: Die AGCS hat im vergangenen Jahr eine Reihe von Wertpapier-Sammelklagen, Derivateklagen, behördliche Untersuchungen und Geldbussen – unter anderem aus der EU-Datenschutzgrundverordnung – registriert und erwartet eine weitere Zunahme solcher Schadenszenarien im Jahr 2020.
Unternehmen, welche die Risiken des Klimawandels verschleiern, müssen künftig verstärkt mit rechtlichen Auseinandersetzungen rechnen. Bisher wurden bereits in mindestens 28 Ländern auf der ganzen Welt Klimaklagen eingereicht, drei Viertel davon in den USA. Dabei werden Unternehmen häufig Versäumnisse vorgeworfen, ihre Geschäftspraktiken an die sich ändernden Klimabedingungen anzupassen.
Fehler in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) können den Markenwert eines Unternehmens erheblich beeinträchtigen. „Der Vorstand wird dafür verantwortlich gemacht, wie das jeweilige Unternehmen mit ESG-Themen und den Herausforderungen des Klimawandels umgeht“, erklärt Stephan Geis, Leiter Financial Lines bei AGCS Zentral- und Osteuropa. „Das Management muss Klimarisiken angemessen berücksichtigen – bei der Strategieentwicklung, bei Governance-Strukturen, im Risikomanagement und in der Finanzberichterstattung."
Wertpapier-Sammelklagen nehmen weltweit zu, da sich rechtlichen Rahmenbedingungen massiv verändern. Die AGCS beobachtet eine wachsende Bereitschaft von Regierungen, kollektive Rechtsschutzinstrumente und Sammelklagen zu ermöglichen, insbesondere auch in Europa. Gleichzeitig erreicht die Klagefreudigkeit in den USA mit jeweils rund 400 zugelassenen Aktionärsklagen in den Jahren 2017 und 2018 Rekordwerte – das sind fast doppelt so viele Klagen wie im Durchschnitt der letzten zwei Jahrzehnte. Diese erhöhte Aktivität betrifft sowohl US-amerikanische als auch ausländische Unternehmen, die an US-Börsen notiert sind.
Während Länder wie die USA, Kanada und Australien die höchste Zahl von Sammelklagen registrieren und die am weitesten entwickelten Rechtsmechanismen dafür aufweisen, verstärken sich solche Klageinstrumente auch in anderen Ländern, vor allem in den Niederlanden, Deutschland sowie in England und Wales.
Die AGCS erwartet eine Zunahme an Insolvenzen, die sich in D&O-Schadenfällen niederschlagen könnten. Die Unternehmensinsolvenzen weltweit stiegen 2018 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 10 Prozent, bedingt durch einen starken Anstieg von über 60 Prozent in China. Im Jahr 2019 dürften Insolvenzfälle im dritten Jahr in Folge um mehr als 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigen.
Diese Megatrends in der D&O-Versicherung werden durch die wachsende Rolle von Prozessfinanzierungsfirmen weiter befeuert; diese bieten im Niedrigzinsumfeld vielen Investoren Aussicht auf rentable Renditen. Die Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten reduziert gerade für klagende Einzelpersonen die Eintrittskostenbarriere; zugleich wird das Geschäfts- und Vergütungsmodell von Prozessfinanzierern kritisch beurteilt. In jüngster Zeit haben sich viele der weltweit grössten Prozessfinanzierer in Europa niedergelassen. Obwohl die USA rund 40 Prozent des Marktes ausmachen, gefolgt von Australien und Grossbritannien, öffnen sich weitere Märkte: So haben Singapur und Hongkong jüngst Prozessfinanzierer für Schiedsgerichtsverfahren zugelassen. Indien und Teile des Mittleren Ostens werden als zukünftige Hotspots prognostiziert.
Obwohl der weltweite Markt für D&O-Versicherung ein jährliches Prämienvolumen von rund 15 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet, steht gemäss AGCS die Profitabilität der Branche in den letzten Jahren aufgrund des starken Wettbewerbs, grosser Klageneigung sowie der zunehmenden Schadenshäufigkeit auf dem Prüfstand. Die Versicherer sehen sich mit höheren Kosten für Rechtsverteidigung sowie gerichtlichen oder aussergerichtlichen Vergleichen und höheren Schadenersatzforderungen konfrontiert.
Ein weiteres Problem ist, dass „ereignisgetriebene“ Rechtsstreitigkeiten zu Kumulrisiken führen können, wenn durch ein Ereignis ein Vielzahl von Versicherungen betroffen sein kann. So könnte beispielsweise ein einziges Ereignis sowohl über eine D&O-Police als auch über eine Deckung aus der Luftfahrt-, Umwelt-, Bau-, Produktrückruf- oder Cyberversicherung Schadensfälle auslösen.
„Ereignisgetriebene“ Rechtsstreitigkeiten können zu Kumulrisiken führen.