Die Zukunftsforschung versucht anhand von Megatrends, die zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen vorherzusagen. Megatrends sind definiert als sich langfristig abzeichnende, globale Entwicklungen mit unumkehrbaren Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Umwelt. Die relevanten Megatrends, bei denen vermutet werden kann, dass sie die finanzielle Ausgestaltung der zukünftigen beruflichen Vorsorge massgeblich beeinflussen, liegen im gesellschaftlichen, technologischen und demografischen Wandel.
- Der gesellschaftliche Wandel führt zu einer Gesellschaft, in der Individualität und Selbstverwirklichung mehr ausgelebt werden und die eigenen Interessen gegenüber den sozialen gesellschaftlichen Ansprüchen in den Vordergrund rücken. Dies führt zu neuen Formen des Zusammenlebens sowohl im Privaten als auch in der Gesellschaft und zu einer anderen Bewertung des Solidaritätsgedankens.
- Der technologische Wandel führt zu einer noch stärkeren Bedeutung der Digitalisierung und Vernetzung. Die Digitalisierung und die damit einhergehende Vernetzung erlauben eine hohe Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort und damit eine bessere Abstimmung der Arbeitssituation auf individuelle Bedürfnisse. Neuere Technologien lassen die Möglichkeit zu, dass die Beschäftigten freier entscheiden können, wo, wann und wie viel sie arbeiten möchten.
- Der demografische Wandel führt in der westlichen Welt, aber zunehmend auch in Asien, zu einer alternden Gesellschaft. Dank des technischen und medizinischen Fortschritts kann ein immer grösserer Teil der Gesellschaft einerseits immer gesünder und länger leben. Andererseits wird es eine wachsende Zahl von Menschen mit chronischer und Mehrfacherkrankung, mit Pflegebedürftigkeit und Behinderung geben.
Auswirkungen auf die Gesellschaft
Basierend auf diesen Megatrends wird die Gesellschaft der Zukunft sich dadurch auszeichnen, dass vermehrt beide Geschlechter einer beruflichen Tätigkeit in Teilzeit und Selbstständigkeit nachgehen werden. Die Erwerbstätigkeit wird vermehrt mit dem privaten Leben in Einklang gebracht, was zu mehr Auszeiten während der Erwerbsphase führen wird. Die Arbeit wird flexibler und individueller gestaltet. Die Plattformökonomie wird vorherrschend sein. Diese zeichnet sich durch flexible, nicht auf Dauer angelegte Arbeitsverhältnisse aus. Plattformbeschäftigung und Crowdworking führen vermehrt zu selbständiger Tätigkeit.
Die Autorin
Prof. Dr. Yvonne Seiler-Zimmermann, Dozentin und Projektleiterin HSLU – Wirtschaft | Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ
Der Wunsch, den Eintritt ins und Austritt aus dem Erwerbsleben individuell in Abhängigkeit der eigenen Vitalität vorzunehmen, wird grösser sein. Die effektiv geleistete Arbeitszeit während der Erwerbszeit wird somit sehr individuell sein. Unser heutiges berufliches Vorsorgesystem, welches auf ein altes Familien- und Arbeitsmodell ausgerichtet und durch inflexible soziodemografische und wirtschaftliche Parameter gekennzeichnet ist, widerspricht diesen zukünftigen Ansprüchen.
Ausgestaltungsmerkmale
Um der Gesellschaft der Zukunft zu genügen, müsste die berufliche Vorsorge folgende Merkmale aufweisen: Es werden sämtliche Arbeitseinkommen für die Ansparung des Vorsorgevermögens berücksichtigt. Es sind somit nicht länger nur Arbeitnehmende mit einem bestimmten Lohnniveau versichert. Die berufliche Vorsorge wird neu von der versicherten Person organisiert und nicht mehr vom Arbeitgeber. Die Arbeitgebenden werden jedoch weiterhin die Beiträge mitfinanzieren. Die Länge der Ansparphase wird nicht mehr durch das Referenzalter bestimmt, sondern durch die geleistete Arbeitszeit. Damit kann Beginn und Ende der Ansparphase individualisiert werden.
Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Auszeiten vorfinanzieren zu können, damit keine Vorsorgelücken entstehen. Sozialpolitische Vorsorgezielsetzungen wie beispielsweise das minimale Renteneinkommen werden klar vom persönlichen Vorsorgesparen getrennt. Leistungen werden nicht länger garantiert, insbesondere auch die Altersrente. Die versicherte Person bestimmt in einem gesetzlichen Rahmen ihre berufliche Vorsorge selbst.
BVG-Reform
Die BVG-Reform, die im September 2024 zur Abstimmung steht, wird den oben dargestellten Ausgestaltungsmerkmalen unterschiedlich gerecht. So gehen beispielsweise die geplanten Senkungen der Eintrittsschwelle, des Koordinationsabzuges und des Umwandlungssatzes in die richtige Richtung. Dagegen führen die geplanten Rentenzahlungen an die Übergangsgenerationen zu vermehrter finanzieller Umverteilung, was dem Gedanken des individuellen Ansparens widerspricht.
Dieser Text erschien erstmals im HZ Insurance Print Spezial Pensionskassen am 27.06.2024.