Trotz Krieg in der Ukraine, strengeren Finanzbedingungen, zunehmenden geopolitischen Spannungen und einem verlangsamten Wachstum in China hat sich die Weltwirtschaft im letzten Jahr recht gut behauptet. Die Gründe dafür sieht Edmund Shing, Global CIO von BNP Paribas Wealth Management, darin, dass «die Verschärfung der Finanzbedingungen in den Jahren 2022 und 2023 vorbei ist und die Bedingungen sich in den letzten Monaten verbessert haben. Die Europäische Zentralbank und nun auch die Federal Reserve haben die Leitzinsen gesenkt, und insbesondere in den USA wurde das Wirtschaftswachstum durch umfangreiche Hilfsmassnahmen der US-Regierung unterstützt, und zwar in Form von Steuergutschriften für Investitionsausgaben im Rahmen des Chips Act und des Inflation Reduction Act.» Ebenso war der Einfluss der anhaltenden Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten auf die Weltwirtschaft über die Energiepreise begrenzt.

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«Wir erwarten, dass das Wachstum in den USA langsamer wird, aber positiv bleibt, da der Rückenwind durch die Regierungsausgaben allmählich nachlässt. In Europa könnte das Wachstum wieder anziehen, da niedrigere Zinsen die industrielle Aktivität stimulieren und niedrigere Inflationsraten das Vertrauen und die Ausgaben der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken sollten», sagt Shing. «Schwellenmärkte sind in ihrer Positionierung sehr unterschiedlich, sodass es unmöglich ist, eine globale Empfehlung für EM-Aktien auszusprechen. BNP Paribas bevorzugt daher günstige, schneller wachsende EM-Aktienmärkte wie Südkorea, Brasilien und die Türkei aus verschiedenen spezifischen Gründen.»

 

Positionierung, aber richtig

Angesichts des Ausblicks auf tiefere kurz- und langfristige Zinsen in Kombination mit einer «sanften Landung» für die Weltwirtschaft bevorzugt man bei BNP Paribas Anlageklassen wie Aktien (insbesondere ausserhalb der USA), Investment-Grade-Kredite und Rohstoffe. «Dieses Umfeld ist insbesondere für Mid-Cap-Aktien sowie ausgewählte zyklische Sektoren günstiger, einschliesslich des S&P-400-Mid-Cap-Index und Finanzsektoren wie Versicherungen», sagt Shing. «Sinkende Leitzinsen waren historisch günstig für den Goldpreis, daher ist auch diese Anlageklasse für uns weiterhin interessant.»

Die Inflationsphase hat in den Augen des Experten keine nennenswerten Spuren in den Bilanzen der Zentralbanken hinterlassen, da diese vorher – basierend auf sinkenden Zinssätzen – im Allgemeinen starke Gewinne verzeichnet hatten. «Die Bank of Japan beispielsweise sitzt derzeit auf riesigen, nicht realisierten Gewinnen in ihrem Aktien-ETF-Portfolio», so Shing. «Ähnliches kann für die Schweizerische Nationalbank gesagt werden, angesichts ihrer US-Aktienbestände.» Dennoch besteht ein klares Risiko darin, dass die Inflationsraten sowohl in der Schweiz als auch in Europa generell unter den Zielvorgaben der Zentralbanken bleiben werden. «Dies liegt an der Deflation bei Güterpreisen, schwächeren Energiepreisen und sinkenden Dienstleistungspreisen, da das Lohnwachstum sich verlangsamt. Wir erwarten daher in den nächsten zwölf Monaten weitere Runden synchronisierter Zinssenkungen durch die grossen Zentralbanken – mit Ausnahme der Bank of Japan», meint Shing.

 

KI: Beim Anlegen ist Vorsicht geboten

Geht es um die Auswirkungen neuer Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) auf Anlagestrategien, sieht man bei BNP Paribas die Chancen, die sich bieten. «Wir versuchen, von langfristigen Technologiewechseln zu profitieren, beispielsweise durch das Wachstum von KI-bezogenen Datenzentren und den daraus resultierenden Anstieg des Stromverbrauchs. Eine der besten Möglichkeiten, in dieses Thema zu investieren, ist das Wachstum der US-Energieinfrastruktur, insbesondere durch Investitionen in die Stromnetzinfrastruktur, da das Übertragungsnetz ausgebaut wird, um diesem Nachfragewachstum gerecht zu werden», fasst Shing zusammen. Dennoch verfolgt man einen bedachten Ansatz bei der Einführung von KI, Fintech und digitalen Lösungen. «Während sich die Aufregung um generative KI und Chat-GPT-ähnliche Chatbots dreht, sehen wir viel Potenzial in klassischeren KI-Anwendungen in spezifischen Bereichen und erproben derzeit eine Reihe von KI-bezogenen Projekten, sowohl bei BNP Paribas im Allgemeinen als auch speziell im Bereich Wealth-Management.»

 

Die Schweiz, ein eigener Markt

Geht es spezifisch um die Schweiz, sieht Shing einen starken Fokus auf Währungen, basierend auf einem langjährigen Aufwertungstrend des Schweizer Franken, der die Performance von in Fremdwährung gehandelten Anlagen gemindert hat. «Darüber hinaus sehen wir eine grössere Akzeptanz bestimmter Anlageklassen wie physisches Gold in der Schweiz, das als diversifizierendes Asset in einem Multi-Asset-Portfolio weniger geschätzt wird», meint er. «In wichtigen Inlandsmärkten wie Frankreich, Belgien und Italien können wir auf unsere umfangreiche Präsenz im Privatkundengeschäft zurückgreifen; dies ist ein Geschäftsvorteil, den wir in der Schweiz nicht haben, was uns dazu zwingt, einen etwas anderen Ansatz zu verfolgen.»

Daher passt sich BNP Paribas den spezifischen Anforderungen des Schweizer Marktes flexibel an, wobei es auf die besonderen Gegebenheiten wie Währungsbewegungen, Präferenz für bestimmte Anlageklassen und Zielgruppe reagiert. Dazu Shing abschliessend: «Wir haben eine sehr breite Palette von Kunden – von wohlhabenden Privatpersonen bis hin zu ultrawohlhabenden Personen und Family Offices. Daher bieten wir ein sehr breites Spektrum an Lösungen an, von den einfachsten und liquidesten Anlagelösungen bis hin zu hoch spezialisierten, weniger liquiden und anspruchsvollen Lösungen. Entscheidend ist, geeignete Beratung und Lösungen zu angemessenen Kosten entsprechend dem Profil des Kunden anzubieten, da in dieser Branche eine One-size-fits-all-Strategie nicht funktioniert.»