Sie hiessen Standard Life Aberdeen PLC, dann Aberdeen Standard Investments und jetzt Abrdn. Gemeinsam ist den drei Namen nur, dass das Unternehmen nie in Aberdeen war.
Gegründet wurde das Unternehmen tatsächlich von Martin Gilbert und seinen Mitgründern in Aberdeen. Aber tatsächlicher Hauptsitz war immer in Edinburgh und London. Wir haben also zwei Hauptquartiere.
Martin Gilbert hat man jetzt an die Luft gesetzt. Warum?
An die Luft gesetzt würde ich nicht sagen. Er hat sich einfach nach mehr als 30 Jahren verabschiedet und sich dann ja auch direkt im Anschluss einem neuen Geschäft zugewandt. Ich durfte ihn noch erleben, er war von Anfang an sehr verliebt in die Schweiz. Dementsprechend war er auch öfter bei uns im Büro. Er war auch nah am Schweizer Topmanagement und sehr präsent. Aber bis zum Schluss auch Ansprechpartner für die Portfoliomanager und kein CEO, der über allem schwebte. Das hat man an ihm sehr geschätzt.
Wie die Vokale im Namen ist auch das Wealth-Management-Geschäft entfernt worden. Was war die Motivation für den Verkauf an die LGT?
Es war eine Konsolidierung. Viele Geschäftszweige, die nicht unbedingt den Kernkompetenzen entsprechen, werden Stück für Stück abgespalten. Es wird sicherlich noch ein paar weitere Veränderungen geben – nicht aber eine Änderung der Strategie.
Der Realist
Name: Karsten-Dirk Steffens
Funktion: Country Head Switzerland – MD, Abrdn Investments Switzerland, Zürich
Geboren: 8. Februar 1973Wohnort: Bonstetten ZH
Familie: verheiratet, drei Kinder
Ausbildung: Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie, Frankfurt/Main
Abrdn Das Unternehmen im schottischen Edinburgh ist einer der grössten aktiven Assetmanager der Welt mit global mehr als 30 Standorten. Zum Anlageuniversum gehören alle wichtigen Anlageklassen, -regionen und -märkte. Das verwaltete Kundenvermögen betrug Ende 2022 368 Milliarden britische Pfund.
Das heisst also, das Geschäft war nicht mehr lohnend?
Auch das kann man so nicht sagen. Aber auch wir müssen uns auf unsere Kernkompetenzen und Opportunitäten fokussieren. Wir haben im Moment ein Marktumfeld, wo es zwei grosse Businessströme gibt: «Flight to quality» und «Flight to liquidity». Im momentanen Zinsumfeld, gepaart mit der Vorsicht, die am Markt herrscht, sollte man als mittelgrosser Assetmanager nicht versuchen, überall dabei zu sein. Dieser Fokus heisst dann aber nicht, dass es nicht profitabel gewesen wäre. Wir verbessern einfach die Cost-Income-Ratio.
«Für eine eigene Entity in der Schweiz braucht es Swissness.»
Als Sie in die Schweiz kamen, legten Sie Wert auf einen «assimilierten» Marktauftritt. Ihre Vorgesetzten waren anfangs nicht begeistert …
Man muss immer einen Spagat eingehen, wenn man eine globale Marke in einem kleineren Markt in Europa vertritt. Zum einen steht man gegenüber dem Topmanagement in der Verantwortung. Zum anderen muss man Umsatz generieren. Assetmanager tendieren immer dazu, sich bei der Distribution an ihrem Heimatmarkt zu orientieren. Wer aber eine eigene Entity in einem Markt wie der Schweiz aufbauen will, sollte das Gegenteil machen und versuchen, Swissness rüberzubringen. Dafür muss man, auch intern, das Verständnis wecken und das Management von Anfang an dafür sensibilisieren, dass es einen lokalen Auftritt braucht, auch aufgrund von beispielsweise regulatorischen oder produktspezifischen Besonderheiten. Schafft man das, steht man anfangs ein bisschen im Kredit. Die Last wird jeden Tag etwas schwerer, und man wird gefragt: «Wann liefert ihr?» Aber wenn man es richtig macht, ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis der Erfolg einsetzt.
Hätte es nicht funktioniert, sässen wir jetzt nicht gemeinsam an diesem Tisch.
Nein, sicherlich nicht.
Sie sind heute gut unterwegs und schauen positiv ins Jahr 2024?
Absolut. Es ist im Moment generell keine einfache Zeit für die Branche. Investoren sind wieder zinsverwöhnt, aber auch vorsichtig. Ich habe das Gefühl, ein grosser Teil der Anlegerinnen und Anleger wartet immer noch auf den grossen Knall, auf die grosse Korrektur auf der Aktienseite. Ich glaube jedoch nicht, dass der noch kommen wird. Es ist alles eingepreist.
Wir befinden uns auch geopolitisch in einer interessanten Zeit.
Geopolitisch gesehen gibt es jeden Tag Überraschungen. Die Kristallkugel auf dem Portfoliomanager-Tisch gibt es nicht mehr. Sie ist vor ein paar Jahren heruntergefallen, und keiner hat sie wieder repariert. Weil es einfach keinen Sinn macht. Es ist alles viel taktischer geworden, weniger strategisch.
Aber Hin und Her macht Taschen leer.
Das kostet immer Gebühren. Man versucht einfach taktische Eintritts- und Austrittsfenster zu finden und Margen mitzunehmen. Das ärgert die Portfoliomanager, weil es konstant eine gewisse Volatilität im Portfolio gibt, was der Wertentwicklung nicht hilft. Es gibt aber durchaus noch strategische Investoren. Das sind eher die Privatanlegerinnen und -anleger. Sie haben ein Portfolio aufgebaut, sind davon überzeugt und wollen erst einmal halten. Dieser Privatkundenanteil macht etwa 65 Prozent aus, der bringt Ruhe rein.
Wie hat sich der Niedergang der Credit Suisse auf ihr Geschäft ausgewirkt?
Die CS war ein strategischer Partner für uns. Wir hatten mit ihr ein gemeinsames Geschäft. Das waren thematische Aktien- und Obligationen-Fonds, hauptsächlich im Privatkundengeschäft, von denen Abrdn der Investmentmanager und die CS Schweiz der Distributor war. Mit 20 Milliarden war das mal recht gross, ist aber über die Jahre geschrumpft. Als sich dann das Ende der CS angebahnt hat, haben wir uns zum Glück noch etwa drei Wochen vor dem Katastrophen-Wochenende aus dem Geschäft zurückziehen können. Auch sonst haben wir mit der Credit Suisse recht grosse Investments. Über all dem steht jetzt ein Fragezeichen. Die Integration läuft, die Transition läuft, es finden viele Gespräche statt. Und das Thema der Kultur dürfte auch noch spannend werden.
Ein wichtiges Thema ist die Verordnung der EU über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (SFDR). Wo bewegen Sie sich hier zwischen Artikel 8 (Nachhaltigkeit ist ein Aspekt) und Artikel 9 (Nachhaltigkeit als Anlageziel)?
Es gibt Investoren, die sagen, Artikel 8 und 9 sind wunderbar, aber ich achte nur auf die Performance, was leider immer noch gängige Praxis beispielsweise in den USA ist. Die Vielzahl der Abrdn-Portfolien, vor allem die neueren, sind im Minimum Artikel-8-konform. Und dann haben wir eine kleine, aber wachsende Anzahl von Impact-orientierten Strategien, die man in Zusammenarbeit mit den Kundinnen und Kunden aufbaut. Beispielsweise haben wir in der Schweiz eine Nachhaltigkeits-Impact-Strategie, die wirklich speziell auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kundschaft eingeht.
Das heisst aber, die Kunden treiben Sie vor sich her und nicht Sie Ihre Kunden. Sie sind nur so grün wie Ihre Kunden. So macht man diesen Planeten nicht grüner.
Abrdn kann und will den Markt nicht mit einer Vielzahl von Artikel-9-Portfolien überschwemmen, wie das andere tun. Bei denen stellt sich dann auch die Frage, ob da wirklich auch das drin ist, was draufsteht. Da sind wir vorsichtig. Nur zur Erinnerung: Aberdeen war einer von den wenigen am hiesigen Finanzplatz, die diese von Eigeninitiative getriebene SFDR-Regelung hinterfragt haben. Als die Finma angefangen hat, hinter die Vorhänge zu schauen, musste eine Vielzahl von Anbietern zurückrudern. Und das ist natürlich peinlich. Da sind auch viele Mandate verloren gegangen. Abrdn war am Ende einer der wenigen Anbieter, die sogar nach oben korrigieren durften. Das ist von unserer Kundschaft positiv wahrgenommen worden.
Trotzdem sind Sie kein Nachhaltigkeitstreiber.
Nein, wir sind kein Treiber, sondern suchen Lösungsansätze gemeinsam mit unseren Kunden. Das hat bis jetzt sehr gut funktioniert. Man hat dadurch auch einen Impact. Auch wenn es dann vielleicht nur vereinzelt zustande kommt, beispielsweise für eine Pensionskasse, mit der wir uns gemeinsam eine Formel auferlegt haben, ist unser Einfluss direkter.
Stimmen Sie an GV auch in Richtung Nachhaltigkeit ab?
Unsere Chief Sustainability Officer, Amanda Young, legt eine grundsätzliche Strategie fest. Das ist fast schon eine Direktive. Abrdn baut zusammen mit anderen Assetmanagern aus der Branche Druck bei Firmen auf, die aus Nachhaltigkeitssicht nicht gut dastehen. So ist die Wahrscheinlichkeit, etwas zu verändern, grösser.
«In etwas, das kaum verstanden wird, wird auch nicht investiert.»
Wie gehen Sie mit dem ESG-Gegenwind aus den USA um?
Der amerikanische Markt ist für Abrdn weniger von strategischer Bedeutung. Wir haben dort zwar ein Portfoliomanagementteam, was die Aktienseite betrifft. Unser Fokus liegt aber ganz klar in Europa und Asien.
Wenn sich jetzt Blackrock von den ESG-Kriterien distanziert, ändert sich für Sie nichts?
Nein. Einige Assetmanager mussten ja zurückbuchstabieren. Viele ihrer ETF haben sie als Artikel-8-kompatibel kategorisiert – und plötzlich trugen sie das «Green»-Label. Eine Rolle mag für sie auch der US-Markt spielen. Generell hat das auf uns aber keinen Einfluss, zumal ihr Fokus auf passiven Produkten liegt. Wir hingegen fokussieren auf aktiv verwaltete Finanzprodukte.
Also verliert ESG nicht an Bedeutung?
Ich glaube, es gibt momentan eine Reizüberflutung. Die Leute werden teils alleingelassen mit den vielen Bewertungen und Labels. Es geht so ein oder zwei Schritte zurück, auch von Investorenseite. ESG ist für viele wichtig, aber für sie als Investoren sind dann doch die Wertentwicklung und Sicherheit wichtiger. Das Problem ist, dass man sich stundenlang einlesen und gefühlt ein halbes CAS abschliessen muss, um diese Ansätze zu verstehen. Das machen viele nicht mit, was man auch in den Mittelflüssen sieht. Bei institutionellen Investoren sieht es da allerdings anders aus. Sie sind einen Schritt weiter, haben grosse Teams und definieren ihre eigenen Kriterien.
Was muss Ihre Branche jetzt tun?
Was die Branche jetzt nachliefern muss, sind klare, einfach verständliche Ansätze. Was bedeutet Nachhaltigkeit? Was kostet mich das? Und was hat das allenfalls für einen Einfluss auf die Wertentwicklung? Die Branche hat jetzt eine Bringschuld. Denn in etwas, das kaum verstanden wird, wird dann vernünftigerweise auch nicht investiert.