Surrende statt dröhnende Motoren – die Schweiz fährt zunehmend elektrisch. Doch ein Selbstläufer ist diese Entwicklung noch nicht. Zum letzten Jahresende befragte die «Handelszeitung» ihre Leser und Leserinnen, ob sie beabsichtigten, sich ein E-Fahrzeug zuzulegen; die Hälfte der Antwortenden hatte dies nicht vor. Mit anderen Worten: Wer jetzt noch kein E-Fahrzeug hat, wartet zu. Swiss E-Mobility warnte entsprechend schon Ende letztes Jahr, dass die Schweiz beim Verkauf von E-Autos im Vergleich von 2022 zu 2023 von Rang acht auf Rang zehn abgerutscht sei. Und dies, obwohl alle namhaften Autohersteller den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis spätestens 2035 verkündet haben, die Schweiz sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt hat, bis anhin als Tesla-Hochburg galt und nun auch China zur Elektroautogrossmacht aufsteigen will, wodurch die Preise für E-Autos langfristig weiter sinken werden.
Der Autor
Florian Kienzle, CEO Zaptec Switzerland und Regional Director DACH, Zürich
Barrieren für die E-Mobilität
Doch Dreh- und Angelpunkt der elektrifizierten Mobilität in der Schweiz ist die Verfügbarkeit von Ladestationen für die Personenwagen. Und hier hinkt die Schweiz den Vorreitern in Europa ebenfalls weit hinterher. Die meisten Ladepunkte in absoluten Zahlen weisen gemäss Statista die Niederlande, Deutschland und Frankreich auf. Setzt man die Anzahl Ladepunkte ins Verhältnis zur Einwohnerzahl, so schwingt E-Mobilitäts-Pionier Norwegen obenauf. Nicht nur ist das öffentliche Ladenetz flächendeckend ausgebaut – sowohl im verkehrsreichen Oslo als auch in den spärlicher besiedelten Gebieten im Norden –, sodass in dem Land mit einer Bevölkerung von 5,5 Millionen Menschen mehr als 430 Ladestationen auf 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner kommen. Auch der Anteil an E-Autos an den Neuzulassungen steigt in dem skandinavischen Land seit Jahren.
Die Schweiz liegt aktuell mit rund 14 000 öffentlichen Ladepunkten – im letzten Jahr waren es laut Statista zwischen 11 000 und 12 000 Ladestationen – lediglich bei plus/minus 10 Prozent dessen, was die Niederlande mit ihren 144 000 Stationen zu bieten hat. Beim Verhältnis von Ladepunkten zur Anzahl Fahrzeuge erreicht die Schweiz gemäss TCS hingegen das Doppelte der EU-Empfehlung eines Ladepunkts pro zehn Fahrzeuge.
Doch auch diese vermeintliche Fülle ist noch kein Garant für mehr Dynamik in der Elektrifizierung des Individualverkehrs. Rund 90 Prozent aller Ladevorgänge finden nämlich zu Hause oder am Arbeitsplatz statt!
Bund und Kantone spielen rein regulatorisch eine wichtige Rolle. Sie setzen die Rahmenbedingungen und verabschieden Gesetze wie dasjenige zu CO₂. Oder sie schaffen Anreize wie etwa der Kanton Zürich mit seinem im letzten Jahr gestarteten «Förderprogramm Ladeinfrastruktur»: Aus einem auf vier Jahre befristeten Rahmenkredit in der Höhe von 50 Millionen Franken werden Private und Gemeinden bei den Investitionskosten für die so genannte Basisinfrastruktur unterstützt.
Der Ausbau der öffentlichen Ladestationen in der Schweiz kommt nur langsam voran.
Kein Recht auf Laden
Doch gefordert ist neben der öffentlichen Hand vor allem die Immobilienbranche. Für Privatliegenschaften entscheiden der Immobilienbesitzer, die Vermieterin oder die Verwaltung über die Installation von Ladestationen. Da die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung zur Miete in einem Mehrfamilienhaus lebt, ist sie abhängig vom Entscheid der Eigentümerin beziehungsweise des Bewirtschafters. Und wenn das Auto zu Hause nicht geladen werden kann, wird der Kauf eines E-Fahrzeuges eher nicht in Betracht gezogen. Bei der zurzeit grassierenden Wohnungsnot haben die Mieterinnen und Mieter somit keine Hebel.
Auf der anderen Seite kann es sich für Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels und steigender Ansprüche umweltbewusster Mitarbeitender an die Nachhaltigkeit lohnen, ihrer Belegschaft Benefits zu verschaffen, indem sie ihnen eine Lademöglichkeit am Arbeitsplatz zur Verfügung stellen.
Ein «Recht auf Laden», wie es beispielsweise in Norwegen implementiert ist, gibt es in der Schweiz (noch) nicht. Expertinnen sehen Norwegen der Schweiz um etwa sechs bis sieben Jahre voraus, was die Gesetzgebung, aber auch die Umsetzung – in den Köpfen wie in der realen Infrastruktur – betrifft.
Umdenken beginnt mit Wissen: Für Liegenschaftsbesitzer oder -verwalterinnen existieren Lösungen, mit denen sie ihre Ladestationen nicht nur individuell für ihre Bewohnerinnen und Bewohner, sondern auch zur öffentlichen Nutzung frei zugänglich machen können. Mit intelligenten Systemen kann die Nutzerverwaltung und -abrechnung so effizient gemanagt werden, dass sich die Investitionen in Ladeinfrastruktur amortisieren beziehungsweise sogar monetarisieren lassen. Ist die Grundinstallation im Haus, kann das Ladesystem bedarfsgerecht skaliert und über die Vermietung von Ladestationen eine angemessene Rendite erwirtschaftet werden.
So entsteht ein finanzieller Anreiz neben dem Beitrag zu CO₂-neutraler Mobilität für eine nachhaltige Schweiz.