Es ist der 1. August 1976, der Grand Prix von Deutschland hat gerade begonnen. In der zweiten Runde verliert Niki Lauda die Kontrolle über seinen Ferrari und rast mit 220 Stundenkilometern in einen Erdwall. Der volle Tank im Auto bricht, und das Fahrzeug steht in wenigen Sekunden in Flammen. Dieses Ereignis ist in die Geschichte der Formel 1 eingegangen. Jedoch wird sie in aller Regel ohne ein wichtiges Detail erzählt – und zwar fehlt oft der Part, wie die österreichische Fahrerlegende dem brennenden Feuerball entkommen ist. Es war ein Konkurrent, der Laudas Sitzgurte löste und ihn so aus dem Auto ziehen konnte: Arturo Merzario. 

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Der Italiener fuhr zwischen 1972 und 1979 in der Formel 1, unter anderem für Ferrari und Williams. Heute rollt der 81-Jährige eher in einem Oldtimer durch die Gegend. Dabei geht es immer noch um Zeiten, aber nicht darum, der Schnellste zu sein. Zu früh anzukommen, gibt bei einer Oldtimerrallye nämlich Punktabzug. Merzario ist vor allem für seine Vorliebe für Cowboyhüte bekannt, ausserdem trinkt er am liebsten Coca-Cola. Sicher war seine Zeit in der Formel 1 nicht von spektakulären Siegen geprägt, doch was er geleistet hat an jenem Tag im August, darf und sollte nicht vergessen werden. Denn während die anderen zu Hilfe geeilten Fahrer wegen des Feuers Abstand hielten, dachte er nicht eine Sekunde nach und half Lauda aus der Feuerhölle. Dass Lauda ihm erst viele Jahre später dafür dankte, hat er ihm verziehen. Zum Schluss verband ihn eine enge Freundschaft mit dem Österreicher – so war es Tradition, dass sich die beiden am 31. Dezember jedes Jahres kurz vor Mitternacht anriefen.

 

Eine deutsche Legende

Eine andere Legende der Formel 1 ist auch eher nur Insidern bekannt. Geht es um deutsche Fahrerlegenden, fällt natürlich immer zuerst ein Name: Michael Schumacher. Und das ist absolut gerechtfertigt. Er startete bei 307 Austragungen des Grossen Preises der Formel 1, wurde 7-mal Weltmeister, 5-mal davon in Folge, und gewann 91 Rennen. Doch viele Jahrzehnte vor ihm war ein deutscher Fahrer noch viel erfolgreicher: Rudolf Caracciola, von allen nur Karratsch genannt. Vor dem Zweiten Weltkrieg war er der beste Fahrer Europas. Und dies in Autos und unter Bedingungen, die mit denen von heute nichts mehr zu tun haben. Er ging in seiner Laufbahn 204-mal an den Start und gewann 144 dieser Rennen! 3-mal wurde er Grand-Prix-Europameister – vergleichbar mit der Formel-1-Weltmeisterschaft heute –, und 3-mal sicherte er sich die Europa-Bergmeisterschaft. 

Doch nach einem Unfall im Jahr 1946 im Training in Indianapolis verliess ihn seine Glückssträhne. Damals flog ihm ein Vogel ins nur mit einer einfachen Brille geschützte Gesicht, er verunglückte schwer. 1952 erlitt er beim Sportwagenrennen auf der Schweizer Bremgarten-Rundstrecke bei Bern einen dreifachen Bruch des linken Unterschenkels. Wegen dieser Verletzung musste er seine Rennsportkarriere endgültig beenden und wurde irgendwie vergessen. Er starb mit 58 Jahren und fand im Tessin, in Lugano-Castagnola, seine letzte Ruhe. Während einiger Jahre aber fand zu seinem Gedenken in der Schweiz die Passione Caracciola statt, ein Oldtimerrennen, an dem auch Fahrer wie Nico Rosberg, Jérôme D’Ambrosio und Lucas di Grassi teilnahmen. 

 

Fahrerlegenden mit Ausnahmeergebnissen

Und dann haben wir noch Jacky Ickx und Juan Manuel Fangio. Der 79-jährige Belgier Ickx war mit Abstand der Fahrer mit der längsten Renngeschichte – ob ihn je jemand übertreffen wird, ist nicht absehbar. Vielleicht kann es Fernando Alonso schaffen, der mit 43 Jahren der älteste Formel-1-Pilot ist und schon seit seinem dritten Lebensjahr hinter dem Steuer sitzt. Ickx war fast vierzig Jahre lang auf den Rennstrecken der Welt unterwegs. Fans und Insidern ist sein Name bekannt, anderen aber sagt er nichts. Doch seine Erfolgsliste ist lang: achtfacher Grand-Prix-Sieger, zweimal WM-Zweiter, sechsfacher Le-Mans-Sieger und zweifacher Sportwagen-Weltmeister. Und er war bis heute der erste und einzige Formel-1-Pilot, der in einer Saison für drei Rennställe startete: 1973 fuhr er für Ferrari, McLaren und Williams. Nach 483 Rennen gab er im Jahr 2000 bekannt: «Nun ist aber Schluss.» Und sein Fazit war sehr ehrlich: «Ich darf mich glücklich schätzen, dass ich überlebt habe. Das ist das Wichtigste.» 

Auch Juan Manuel Fangio hat Aussergewöhnliches geleistet und einen bis heute ungebrochenen Rekord aufgestellt. So hat Michael Schumacher im Jahr 2003 zwar seinen Rekord brechen können, fünfmal Weltmeister in der Formel 1 zu werden. Aber im Gegensatz zu Schumacher ging der Argentinier nur bei 51 Grossen Preisen an den Start und gewann davon 24-mal! Diese Erfolgsquote von fast 50 Prozent ist bis heute ungeschlagen. 

 

Zeiten ändern sich

Heute ist der Formel-1-Zirkus ein anderer. Wirtschaftliche Aspekte sind wichtig, technische Voraussetzungen ebenfalls. Und Geld. Heute zahlt ein Fahrer wie Max Verstappen – beziehungsweise sein Rennstall Red Bull – 1,1 Millionen Franken allein an Startgebühr, damit der Niederländer überhaupt an den Rennen der Saison teilnehmen darf. Sicher geht es immer noch um Rekorde, um die schnellste Runde, um den Sieg. Aber heute ist es nicht mehr nur der Fahrer, der den Unterschied macht, sondern mehr die Technik, das Zusammenspiel der Akteure auf der Rennstrecke. 

Die einstigen Legenden der Rennstrecke kannten keine Social Media, sie stiegen wie Karratsch in einem weissen Anzug, der an die Arbeitskleidung von Tatortreinigern erinnert, und mit einer weissen Kopfhaube in den Wagen und gaben einfach Gas. Und für diesen Mut und ihre Leistung sollten sie nicht vergessen werden.