Die Relevanz nachhaltiger Beschaffung ist unumstritten. Viele Unternehmen haben bereits Nachhaltigkeitsziele definiert und sind sich der Wichtigkeit bewusst. Doch sind diese Absichtserklärungen schon im Procurement angekommen und verankert? Wie wird nachhaltige Beschaffung gelebt? Eine europäische Studie zeigt den Status quo und gibt Handlungsempfehlungen.
Die Studie «Nachhaltige Beschaffung und verantwortungsvolle Lieferketten 2023» untersucht zum zweiten Mal in Folge die Motivation, das Bewusstsein, die Bewertung und die Umsetzung von Nachhaltigkeit in Beschaffungsprozessen und Lieferantenbeziehungen.
Herausgeber dieser Studie sind das deutsche Jaro Institut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung e. V. in Zusammenarbeit mit der CBS International Business School und der B2B-Beschaffungsplattform Unite. Die Online-Erhebung wurde im vierten Quartal 2022 anonymisiert durchgeführt und richtete sich primär an Personen, die im Einkauf tätig sind. 291 Personen nahmen teil, davon stammten 71 Prozent aus dem DACH-Raum.
Der Markt gibt den Ton an
Treiber für das Umdenken in Sachen Nachhaltigkeit sind nicht nur regulatorische Bestimmungen, sondern auch die Anforderungen der Kundinnen und Kunden selbst. Bei den Befragten nannten 82,5 Prozent «Kundenanforderungen» als Treiber für nachhaltiges Handeln, gefolgt von der «intrinsischen Motivation» (81,5 Prozent), «klaren Arbeitsanweisungen» (76,6 Prozent) und «gesetzlichen Regulierungen» (75,3 Prozent). Dennoch sind die Unternehmen noch weit davon entfernt, Nachhaltigkeit in ihren Beschaffungsprozessen strukturell integriert zu haben.
«Preis und Verfügbarkeit dominieren im Einkaufsprozess noch.» Thomas Dinkel, Geschäftsführer Mercateo Schweiz
Der Status quo: Ausbaufähig
Auch wenn viele Unternehmen Nachhaltigkeitsstrategien auf Managementlevel formuliert haben, bleiben diese Versprechen ohne eine Verankerung in allen Hierarchieebenen aussichtslos. Bei der Frage nach der Implementierung der Nachhaltigkeitsmassnahmen im Einkauf gaben 26,5 Prozent der Befragten an, die Unterzeichnung des Supplier Code of Conduct durch die Lieferanten durchgeführt zu haben. Am zweithäufigsten wurde die interne Beschaffungsrichtlinie um Nachhaltigkeitsaspekte erweitert. 13,8 Prozent haben bereits eine nachhaltige Beschaffungsstrategie ausgearbeitet. Derartig verabschiedete Beschaffungsstrategien lassen allerdings Zweifel zu, denn nur 8,3 Prozent gaben an, «spezifische Nachhaltigkeitskennzahlen (KPI) für die Beschaffung» eingeführt zu haben. Und nur 6,2 Prozent haben «smarte Nachhaltigkeitsziele» definiert. Wie erfolgversprechend sind also Strategien ohne KPI und messbare Ziele (siehe Interview rechts)?
Die Umfrage entstand in Zusammenarbeit mit Mercateo Schweiz, einem Tochterunternehmen von Unite. Geschäftsführer Thomas Dinkel sagt, man sei sich bewusst, dass Preis und Verfügbarkeit im Einkaufsprozess noch dominieren. Dennoch verlange das Gros der Kundinnen und Kunden von Mercateo Regionalität: Interne Richtlinien gäben vor, bevorzugt Produkte von Schweizer Lieferanten zu beziehen. Die neutrale B2B-Beschaffungsplattform Unite mit dem integrierten Mercateo-Marktplatz biete genau das: Ihre Lieferanten seien in der Schweiz niedergelassen, und so entspreche die Lieferkette der Schweizer Gesetzgebung.
Auch Zertifikate spielten eine immer grössere Rolle beim Entscheidungsprozess. «Und auch das unterstützen wir und bauen unser Sortiment kontinuierlich aus, etwa mit Partnerschaften wie mit Crif, die mit Synesgy ein ESG-Rating für KMU ins Leben gerufen hat. Wir sehen hier eine erhöhte Motivation seitens unserer Kundinnen und Kunden, aber auch vonseiten der Lieferanten, gesellschaftlichen und sozialen Kriterien gerecht zu werden.»
Hier gehts zu den vollständigen Studienergebnisse mit Handlungsempfehlungen für den nachhaltigen Einkauf.
Interview mit Ute Laun, Dozentin und Projektleiterin, Hochschule Luzern – Wirtschaft, Expertin für Nachhaltigkeits-Controlling und -Reporting
Warum ist das Thema nachhaltige Beschaffung auch relevant für Schweizer Unternehmen? Wo stehen wir hier?
Das Thema Due Diligence in der Lieferkette betrifft auch Schweizer Unternehmen. Die neuen Bestimmungen zum Schutz von Mensch und Umwelt im OR und die VSoTr (Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit) sind erstmals für das Geschäftsjahr 2023 anzuwenden. Davon sind zwar grundsätzlich nur grosse Unternehmen betroffen, aber kleinere Unternehmen können indirekt betroffen sein, wenn sie Teil der Lieferkette von grossen sind. Ebenso können Schweizer Unternehmen direkt oder indirekt vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LksG) betroffen sein, das umfassende menschenrechts- und umweltbezogene Anforderungen definiert. Der Entwurf der «Lieferkettenrichtlinie» der EU (CSDDD) ist sogar noch deutlich weitreichender.
Welche Probleme und Lösungen stehen nun an?
Herausfordernd für die Unternehmen ist insbesondere die Beschaffung von Lieferantendaten und das Datenmanagement entlang der Lieferkette. Zum anderen sind Geschäftsbeziehungen eben nicht beliebig austauschbar. Im Rahmen der Integrity Europe Konferenz, die am 26. und 27. Oktober am IFZ in Rotkreuz stattfindet, wird neben anderen relevanten Themen auch die Praxistauglichkeit der neuen Gesetzgebung ein Thema sein.
Wie lässt sich eine nachhaltige Beschaffung realisieren? Welche organisatorischen Hebel gibt es, und wo fängt man an?
Zunächst einmal sollte ein nachhaltiges Beschaffungsmanagement nicht isoliert betrachtet werden, sondern als Teil einer integrierten Nachhaltigkeitsstrategie, die auf Geschäftsleitungsebene verankert und mitgetragen und in Form von Weisungen und Leitlinien auf die operative Ebene heruntergebrochen wird. Dabei müssen wichtige Schnittstellen im Unternehmen einbezogen werden, beispielsweise zu den Bereichen Compliance und Risk Management. Nur so kann die Nachhaltigkeitsstrategie wirkungsvoll umgesetzt werden.
Und sonst?
Im Zuge der Umsetzung braucht es Stewardship-Aktivitäten gegenüber den Lieferanten. Die müssen jedoch jeweils im Branchenkontext und unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten abgewogen werden. Schliesslich können Instrumente hilfreich sein, die die Kontrolle von Nachhaltigkeitskriterien vereinfachen und die Transparenz erhöhen. Solche Instrumente können beispielsweise Zertifizierungen sein.