Erik Hofmann: Die aktuelle Dynamik ist hoch bis sehr hoch.
Startups mit neuen Technologien drängen auf den internationalen Markt, und es gibt sehr viele digitale Innovationen mit disruptivem Potenzial. Unternehmen beziehungsweise das Beschaffungswesen sind deshalb recht verunsichert. Viele Firmen fragen sich, auf welche Technologien sie setzen sollten und wo sie diese beschaffen sollten.
Wichtig für die Beantwortung der Frage ist der Grundsatz, nicht von der Technologie auszugehen, sondern von der Strategie und dem Bedarf des Unternehmens her zu denken.
Korrekt. Die Digitalisierung findet unaufhaltsam und unumkehrbar statt. Ihre langfristigen Folgen können radikal sein.
Langfristig kann es beispielsweise zu einer Automatisierung und durchgängigen digitalen Unterstützung von Beschaffungsprozessen kommen, mit denen jeder einzelne Mitarbeitende autonom und dezentral, das heisst weitgehend selbstverantwortlich, entscheidet und einkauft. Dann gibt es keinen zentralen Einkaufspunkt mehr.
Der Einkauf kann eine Schlüsselbedeutung erhalten – und sie ausbauen – und sich als strategisch wichtiger Teil im Unternehmen positionieren. Für Unternehmen kann er Innovationsmotor und Wachstumstreiber gleichzeitig sein, weil nur er die digitalen Lieferantenpotenziale systematisch heben kann. Mit anderen Worten, der Einkauf kann als Enabler einen wichtigen Beitrag für die Digitalisierung des ganzen Unternehmens leisten oder gar neue digitale Geschäftsmodelle entstehen lassen.
Unternehmen in der Schweiz geben jährlich für Vorleistungen rund 660 Milliarden Franken aus, davon knapp 30 Prozent im Ausland. Die Euro-Schwäche zeigt im Beschaffungswesen ambivalente Folgen.
Einerseits hält sie aus Sicht des Auslandes den Einkaufsbezug in der Schweiz tief. Umgekehrt ist die Schwäche für Schweizer Unternehmen und ihren Einkauf im Ausland attraktiv. Aber generell steigt der Anteil sogenannter hybrider Produkte, was Firmen zunehmend zum Umdenken anregt.
Das sind Beschaffungsobjekte, die aus einem physischen Gut und aus dazugehörigen Dienstleistungen bestehen und zu einem Bündel zusammengefasst werden. Ein Beispiel sind Investitionsgüter im Bereich Anlagenbau wie Maschinen, Medizinalgeräte oder Haustech. Für diese
Produkte brauchen Sie auch immer Servicedienstleistungen, die vor Ort erbracht werden müssen.
Immer mehr Firmen kaufen deshalb direkt in der Schweiz oder zumindest in Grenznähe ein. Vor- und Nachteile der Euro-Schwäche beziehungsweise Frankenstärkewiegen sich insgesamt auf. Parallel dazu ist eine leichte Tendenzbewegung weg vom Global Sourcing hin zum Nearshoring zu beobachten, nicht zuletzt auch um die Reaktionsfähigkeit und den Service-Level zu erhöhen.
Sie bergen sehr grosses Potenzial für Unternehmen. Es gibt diesbezüglich viele interessante Entwicklungen. Plattformen sind ein probates Mittel zum Zweck, weil sie den Einkauf erleichtern, Medienbrüche beseitigen und Aktivitäten bündeln. Sie schaffen für Einkäufer administrative Entlastung und Freiräume für vertieftere Analysen, bessere Entscheidungsvorbereitungen und mehr Zeit für Verhandlungen.
Da gibt es extrem viel Luft nach oben, auch ohne die Digitalisierung. Sie verschärft das Problem nur noch. Der durchschnittliche Einkäufer ist für seine Tätigkeit nicht genügend vorbereitet und es bestehen generell hohe Ausbildungsdefizite.
Oft fehlt es an fundiertem, betriebswirtschaftlichem Wissen. Der Akademisierungsgrad hinkt verglichen mit dem Bereich Marketing hinterher. Das ist umso
bemerkenswerter, als dass der Marketingbereich der Lieferanten ja eigentlich der Counterpart zur Beschaffung ist. Sicher ist: Wenn sich der Einkauf als Enabler der Digitalisierung eines Unternehmens sehen will, muss die Beschaffung ihr Wissen definitiv hochrüsten.
Er wird immer mehr eine koordinierende und moderierende Schnittstellenfunktion übernehmen: Einerseits intern vor allem
gegenüber der Produktion, dem Vertrieb sowie den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie Finance; anderseits extern gegenüber Lieferanten und Dienstleistern.
Es ist enorm wichtig. Sein Hebel für den Erfolg eines Unternehmens liegt je nach Branche zwischen 50 und 70 Prozent. Mit anderen Worten: Für 100 Franken Umsatz gibt eine Firma im Schnitt zwischen 50 und 70 Franken in der Beschaffung aus. Vor allem im verarbeitenden Sektor wie Chemie und Pharma, der Maschinenbranche und dem Anlagebau ist das Beschaffungswesen wichtiger als in reinen Dienstleistungsunternehmen.
Das Thema ist gekommen,um zu bleiben. Aber die Durchsetzung in Unternehmen und in den Köpfen der Angestellten braucht Zeit. Sicher ist, dass die Konsumenten und Medien für das Thema sensibilisiert sind. Öffentliche Kritik – wie zum Beispiel an den SBB und ihrer Beschaffung von Fassadensteinen aus China für die HB-Überbauung in Zürich – tun dem Unternehmen schon richtig weh.
Der Einkaufmuss zwingend über die erste Beschaffungsstufe hinausblicken und auch die Vorlieferanten berücksichtigen. Das haben die meisten bisher überhaupt nicht auf dem Radar. Unternehmen sollten zudem ihre Selbstverpflichtung zur Nachhaltigkeits-Compliance regelmässig überprüfen. Die Zukunft weist weg vom günstigsten hin zum fairen Preis.
Die Revision hat zwei Ziele. Erstens die Harmonisierung des Beschaffungswesens zwischen Bund und Kantonen sowie zweitens die Anpassung des Schweizer Rechts an die revidierte WTO-Regelung von 2012. Im bisherigen Prozess versucht jeder, seine bisherige Pfründe zu sichern. Dazu zählen die Parteien, die Verbände, die Arbeitnehmer, die Unternehmen, Bund und Kantone sowie etwaige Teilkörperschaften.
Das kann man wohl sagen. Ich plädiere dafür, die Leitplanken richtig zu setzen und von einer übermässigen Regulierung abzusehen. Politiker schiessen häufig über das Ziel hinaus und es besteht die Gefahr, dass sie ein bürokratisches Monster erschaffen.