Nicht alles, was die US-Big-Tech-Unternehmen anpacken, gelingt. Jüngstes Beispiel für einen Fehlschlag ist das Krankenkassenprojekt «Haven» von Amazon im Verbund mit dem Konglomerat Berkshire Hathaway, zu dem eine der grössten Rückversicherungen der Welt gehört, und der US-Grossbank JP Morgan. Mit Haven («Oase», «Hafen») wollten die drei Beteiligten zunächst ihren eigenen Angestellten und später dann allen Interessierten mit einer Kombination von überlegener Technologie, Organisation und Prozessen bessere und günstigere Gesundheitsleistungen und billigere Medikamente anbieten. Anfang Januar 2021 kündigten die Beteiligten die Einstellung des Projektes auf Ende Februar an.
Bessere Datengrundlagen und Infos
Für Amazon bedeutet das indes nicht das Ende der Aspirationen im Gesundheitsbereich: Die im November 2020 gestartete Online-Apotheke soll weiterlaufen und das hauseigene Care-Programm umfasst bereits einige Elemente einer Krankenkasse für die eigene Belegschaft. Amazon konzentriert sich laut Analysten jetzt auf das, was man selber sehr gut versteht: Betrieb einer Plattform, Lager- und Vertriebslogistik. Die Spanne der sich hieraus ergebenden Möglichkeiten ist breit, auch dank der eigenen Whole-Foods-Supermarktkette, die immer mehr auf das Motto «Gesunde Ernährung ist die beste Medizin» setzt. Dieser Logik folgen auch die weiteren US-Tech-Titanen: Sie interessieren sich (auch) für den Gesundheitsbereich.
Die Big-Tech-Unternehmen setzen bei den Daten an: Facebook beispielsweise organisiert nach dem Vorbild des chinesischen Tech-Riesen Tencent Communitys mit gemeinsamen Gesundheitsthemen. Google verbessert ständig die Such- und Informationsalgorithmen für Gesundheitsthemen. Apple wiederum stellt über das iPhone und die Smartwatch die Hardware, mit der User Bewegungs- und Gesundheitsdaten selber erheben und – gemäss Apple – sicher verwalten können. Und Microsoft versucht, seine Applikationen und Cloud-Lösungen im Gesundheitssektor zu platzieren.
Vorbild ist Tencent: Die hauseigene Su-per-App, die aus dem Wechat-Messengerdienst hervorgegangen ist, erlaubt einfache Selbstdiagnosen (auch) auf der Basis künstlicher Intelligenz, die zielgerichtete Suche nach Informationen und Medikamenten, die Terminvereinbarung beim Arzt und das Bezahlen der Rechnungen beziehungsweise die Handhabung der digitalen Belege für die Krankenkassen.
Apple, das unter den grossen US-Tech-Firmen bezüglich der Weitergabe von Daten den zurückhaltendsten Ansatz verfolgt, arbeitet mit der grossen US-Krankenkasse Aetna zusammen, um die Versicherten (und gleichzeitigen User von Apple-Produkten) zu einem möglichst gesunden Lebensstil zu ermuntern. Die Kooperation zwischen Apple und Google im Bereich der schweizerischen Covid-19-App brachte es zu weltweiten Medienberichten.
Ein Player aus Zürich
Im Konzert der Grossen spielen auch viele weitere mit. Ein Beispiel ist das Unternehmen Dacadoo mit Sitz in Zürich. Die auf den Lifestyle-Bereich ausgerichtete Firma – ein expliziter Schwerpunkt auf Gesundheit würde eine ungleich stärkere Regulierung bedeuten – berechnet Gesundheitsscores, die man aus Daten zum physischen, dem psychischen und dem Lebensstil gewinnt.
Kunden sind grosse Krankenkassen und Lebensversicherungen. «Versicherer können die digitale Gesundheitsplattform auf zwei Arten lizenzieren: ‹White Label›, in der sie auch unsere mobilen Apps und Web-Apps im eigenen Branding und mit eigenen Inhalten erhalten, oder ‹API Access›, wo sie Zugang zu unserer Technologie bekommen und ihre eigenen Apps entwickeln können», erklärt Manuel Heuer, operativer Chef bei Dacadoo. «Da der Bereich White Label sehr gefragt ist, haben wir stark in dieses Angebot investiert und wir haben im Dezember 2020 die aktuelle Generation Plattform angekündigt, die wir ‹Wheel of Life› nennen.» Ein stark verbessertes User Interface sowie neue Inhalte sollen das Benutzererlebnis stark verbessern.
Wie bei vielen jungen Unternehmen verdienen auch hier die Big Techs mit. «Wir haben im Jahr 2020 den Move zur Cloud-Computing-Plattform Azure von Microsoft vollzogen», so Heuer weiter. «Denn daraus ergeben sich auch Vorteile wie eine Automatisierung der Infrastruktur und der Softwareauslieferung für Updates.»
Dass auch US-Gesundheitsversicherungen zu den Dacadoo-Kunden gehören, ist kein Zufall: Denn sie waren im Zuge der ursprünglichen Haven-Ankündigung unter Druck gekommen. Angebote wie das von Dacadoo sollen Versicherungen als Gegenmittel gegen die Pläne der grossen US-Tech-Firmen dienen.