Das Unternehmen Shein ist kein Startup mehr: Die chinesische Fast-Fashion-Firma entstand 2008, die Vorgeschichte und die Gründer sind obskur. Die breite Öffentlichkeit beschäftigt sich mit dem Unternehmen erst seit einem Jahr, pa rallel zur gestiegenen Wahrnehmung des Aufstiegs von Tiktok ausserhalb der Generation Z. Dort führen beide die Rankings der beliebtesten Apps an.
Das ist kein Zufall: Shein nutzt nicht nur die Reichweite von Influencern und Influencerinnen. Über Tiktok-Interaktionen entsteht auch die Kundenloyalität. Der Erfolg von Shein wäre zudem unmöglich gewesen ohne die sogenannte Micro-Batch-Produktion: Namenlose Vertragsarbeiterinnen nähen in China fünfzig bis hundert gleiche Kleidungsstücke zusammen, um die stark individuellen Kundenwünsche noch rascher zu erfüllen. Diese Ultra-Fast-Fashion hat Shein zu einem der höchstbewerteten Kleiderhersteller der Welt gemacht. Gemäss Bloomberg liegt der Wert bei über 100 Milliarden Dollar – mehr als die Zara-Mutter Inditex und H&M zusammen.
Shein steht wegen der miserablen Arbeitsverhältnisse bei den Herstellern, der nicht nachhaltigen Plastik ware und der Förderung der Wegwerfmentalität in der Kritik. Vielleicht erledigt sich das Problem von allein. Denn der Erfolg von Shein hat viele Startups angezogen, die sich jetzt anschicken, das Geschäftsmodell zu zerlegen. Als die Edelmarke Bally und das Lifestyle Tech Competence Center 2021 den ersten «Swiss Fashion Innovation Award» vergaben, meldeten sich über hundert Startups, etliche auch aus der Schweiz. Vieles, was Shein kann, wird von diesen Jungfirmen besser gemacht: Dank präziser erfassten Körpermassen lassen sich Rücksendungen reduzieren. Upcycling-Startups sorgen nicht nur für eine verlängerte Nutzungsdauer, sondern sie bilden auch Bezugsquellen von Geschäften wie dem Rework Upcycling Store in Zürich. Und Daten-Startups wie Psykhe versprechen ein hyperpersonalisiertes Einkaufserlebnis.
Innovations-Awards sorgen dafür, dass solche datenbasierten Startups den konventionellen Retailern bekannt und zugänglich werden. Diese Entwicklung macht zwar die Migros-Kleiderecke nicht gleich zum nächsten Shein, aber sie zeigt, dass und wie schnell sich heute Geschäftsmodelle auch unter dem Druck von Geopolitik und Makrozyklen ständig weiterentwickeln. Und neu eingerichtete Innovationswettbewerbe um künstliche Intelligenz wie das von Lab42 in Davos steigern die Chancen, dass ein Shein-Nachfolger mit Technologien aus der Schweiz arbeitet.