Schon im alten Rom ermöglichten damalige Unternehmen den Aufbau der Armee, die seinerzeit als sehr effizient und unschlagbar galt. Während der Renaissance verhalfen Firmen in Florenz und Umgebung Künstlern zu Weltruhm. Und derzeit verändern Zoom, Microsoft Teams, Chat GPT und Cloud Computing die Grenzen von Firmen. Wo eine Firma aufhört und die nächste beginnt, ist nicht mehr einfach festzulegen – und das hat vielfältige Konsequenzen für das Verständnis, wie sich Firmen weiterentwickeln und welche Rollen die Leistungspersonen haben.
«Heutzutage sollte sich keine Firma mehr anhand des Firmengeländes definieren, welches die Büro- oder Werkgebäude umrahmt», sagt Jan Schlüchter, Programmleiter und Dozent für Business Transformationen an der Hochschule Luzern (HSLU). «Dies ist ohnehin schwer möglich, da viele Leistungen an anderen Orten, wenn nicht digital erbracht werden.»
Spiel ohne Grenzen
Es sei Aufgabe des Topmanagements, zu bestimmen, was alles als Teil der Firma betrachtet wird: «Ist dies unser angebotenes Produkt, unsere Dienstleistung, oder fühlen wir uns für die gesamte Wertschöpfung verantwortlich, also auch für unsere Lieferanten, Vorlieferanten?», sagt Schlüchter weiter. «Dann wird das Topmanagement einen ganz anderen Blickwinkel einnehmen – und wo eine Firma ihre gedanklichen Grenzen zieht, zeigt sich sehr deutlich an ihrem Handeln.» Zukünftig werde man zusammen mit den Kooperationspartnern – nicht den klassischen Zulieferern – diskutieren, wie bestimmte Wertschöpfungsschritte verändert, zusammengefügt oder anders konfiguriert werden können.
«Damit öffnet sich ein weites Feld für Innovationen», so Schlüchter weiter. «Unternehmen beziehungsweise ihre Mitarbeitenden und Führungspersonen sind permanent gefordert, die passenden Grenzen des Unternehmens zu hinterfragen und es den Markterfordernissen anzupassen.» Erforderlich sei dann der passende organisationale Rahmen. «Hierbei spricht man immer häufiger von Businesstransformation», so Schlüchter. «Dafür braucht es passende Ressourcen, eine agile Führungscrew, die entsprechende Unternehmenskultur und etablierte Prozesse und Kompetenzen, um diese Veränderungen zu erkennen, neue Modelle zu entwickeln und dann auch umzusetzen.» Und auch für die Leitungspersonen verändert sich vieles. «Klassische, eher transaktionale Führung, also das Erteilen und die Kontrolle zugesprochener Aufgaben, reicht nicht mehr aus, da nicht alles top down gesteuert werden kann», glaubt Schlüchter.
Für Innovationen müssen separate organisatorische Räume offeriert werden.
Plattformen kommen – überall
«Unternehmen werden sich durch das weitere Aufbrechen ihrer Wertschöpfungsketten je länger je mehr zu Plattformen weiterentwickeln, die jeweils entscheiden müssen, was sie selbst machen und was sie von anderen Unternehmen einkaufen», sagt Christine Schmid, Geschäftsleitungsmitglied beim auf Embedded-Finance-Anwendungen spezialisierten Technologieunternehmen Additiv in Zürich. Mit künstlicher Intelligenz würden die administrativen Vorgänge beschleunigt und verstärkter automatisiert. Weiter würden, wo möglich, dezentrale autonome Organisationen entstehen.
Neue Rollen für die Chefetage
Diese Veränderungen würden in einem «anspruchsvollen Umfeld» erfolgen, wie Schmid sagt. Unternehmen müssten sich heute in einem Dreieck von raschen und umfassenden Veränderungen im geopolitischen Umfeld inklusive neuer Sicherheitsthemen, neuer Technologien und der Nachhaltigkeit weiterentwickeln. Die Währungen und insbesondere die Entwicklungen bei digitalen Währungen sind Teil dieser Sicherheitsthemen – denn bei den sich abzeichnenden digitalen Varianten lassen sich Verwendungszwecke, Nutzungsmöglichkeiten und Einschränkungen jeweils im Einzelfall vorbestimmen. Für Innovationen müssten bewusst separate organisatorische Räume bereitstehen. Und auch die Rolle der Vertreterinnen und Vertreter aus der C-Suite werde sich wandeln.
«Ab einer bestimmten Firmengrösse benötigt man eine gewisse Struktur», sagt Schmid, nicht zuletzt aus rechtlichen Gründen. «Die C-Suite-Mitglieder werden zukünftig noch viel mehr als heute Fragen stellen müssen», erwartet Schmid. Zudem müssten sie weiterhin fähig sein, die optimalen Rahmenbedingungen zu schaffen. Standardisierte Arbeiten würden zukünftig automatisiert werden. Was übrig bleibe, seien dann die unverzichtbaren Spezialisten und Spezialistinnen – und für die braucht es angepasste Formen der Führung.