Stellen Sie sich vor, die Containerlieferung, welche vom Kunden sehnlichst erwartet wird, bleibt beim Zoll blockiert, weil sich die Regulatorien für die Einfuhr eines in ihrem Produkt verwendeten Materials geändert haben. Der Kunde droht mit Pönalen, und es besteht die Gefahr, dass die Sendung wieder zurückgenommen werden muss. Eine solche Situation kostet Geld, und der Kunde wird sich beim nächsten Mal wohl für ein Produkt von einem anderen Hersteller entscheiden. Non-Compliance kann direkte negative Auswirkungen auf Marktzugang, Umsatz und Image einer Unternehmung haben. Anderseits kann die Compliance der Differenzierung gegenüber Mitbewerbern dienen, wenn gesetzliche Anforderungen in Zielmärkten erfüllt werden, die der Wettbewerb nicht einhalten kann.
Für global tätige Unternehmen, speziell in Sektoren mit hohen Anforderungen an energieschonende Produkte und Materialien sowie an die Arbeitssicherheit nimmt die Bedeutung durch Regulationen, Zertifizierungen und Branchenstandards weiter stark zu. Getrieben wird das Thema unter anderem durch Bestrebungen, nachhaltige Produkte als Standard zu etablieren.
Die Autoren
Marco Picenoni, Director, und Michael Weber, Director, Helbling Business Advisors, Zürich.
Hohe Beschaffungsanforderungen
Die Vermeidung von Geschäftsfällen, wie einleitend beschrieben, fordert die gesamte Organisation, denn die Konformität mit Regulierungen und technischen Standards ist über den gesamten Produktlebenszyklus, die gesamte Wertschöpfungskette sowie über sämtliche Absatzregionen und Anwendungen sicherzustellen. Bei global tätigen Unternehmen und teilweise regional unterschiedlichen und sich laufend ändernden Normen ist dies eine Herausforderung. Der Sicherstellung der Beschaffung von konformen Materialien, Bauteilen und Baugruppen kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu.
Die Beschaffung soll – wie bisher – früh in die Produktentwicklung, -pflege und -ablösung eingebunden werden. Bei der Evaluation von neuen und der Bewertung von bestehenden Lieferanten sollte den geltenden Regulatorien jedoch noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ohne entsprechende systemische Vernetzung wird der Austausch schnell sehr aufwendig und kann ohne koordinierte Abstimmung für beide Seiten frustrierend sein, wenn zum Beispiel der Lieferant nicht oder zu spät über die relevanten regulatorischen Anforderungen im Absatzmarkt informiert wurde.
Eine «Compliance Culture» muss auf allen Ebenenetabliert werden.
Der Aufbau und Einsatz eines «Compliance-Radars» zur Früherkennung von möglicherweise zukünftig bedeutenden Normen hat sich bewährt. Sofern nicht vorhanden, sind entsprechende Prozesse und Verantwortlichkeiten zu etablieren, damit aus den verschiedenen Regionen Informationen über sich verändernde Normen und Regulierungen frühzeitig erkannt werden, die Auswirkungen auf das Geschäft beurteilt werden und der entsprechende Handlungsbedarf festgelegt werden kann. Die Beschaffungsabteilung kann so rechtzeitig auf Lieferanten zugehen, über neue Auflagen informieren und gemeinsam mit ihnen nach geeigneten Lösungen suchen.
Definition aller relevanten Punkte
Mit einem aktiven Scouting auf Basis eines «Compliance-Radars» sollen die Entwicklungs-, Produktpflege- wie auch Beschaffungs- und Auftragsabwicklungsprozesse eingebunden werden. Wesentliche Voraussetzung für den Erfolg ist das Vorhandensein und der Austausch von entsprechenden Produktdaten. Hierzu gilt es, die Materialdaten mit Compliance-Informationen anzureichern und systemseitig geeignet abzubilden.
Damit Product Compliance und Operational Compliance nachhaltig gelingen, sind Organisation, Prozesse und Systeme zur Früherkennung und Verwaltung von regulationsgetriebenen Produkt- und Produktionsdaten über sämtliche leistungserbringende Bereiche zu definieren. In der Konzeption und Umsetzung sind ausgehend von der Etablierung einer «Compliance Culture» verschiedene Aspekte und Bestandteile, wie etwa die Compliance-Zielsetzung, die Organisation oder auch die Kommunikation zu definieren und im Tagesgeschäft zu verankern.