Die Firma Bertschi ist Spezialistin für den weltweiten Transport und die Lagerung von flüssigen Chemieprodukten. Infolge der Pandemie gerieten die weltweiten Lieferketten in den letzten zwei Jahren in grosse Schwierigkeiten. Welche Probleme standen aus Ihrer Sicht dabei im Vordergrund?
Als weltweit tätiger Logistiker sehen wir Probleme eher als Herausforderung und Chancen an. Die Situation der massiv gestörten Lieferketten hat sich, was die Asien- und die Transatlantikverkehre betrifft, seit dem Ende der Corona-Pandemien zunehmend normalisiert. Aus den Engpässen im Schiffscontainerverkehr sind zwischenzeitlich wieder Überkapazitäten geworden. Die Stausituation in den Häfen hat sich weitgehend gelöst, und die Verkehrsmengen sind als Folge der in der Krise aufgebauten hohen Lagerbestände rückläufig. Die extreme Verteuerung der Energie in Europa als Folge des Krieges hat zudem dazu geführt, dass energieintensive Produktionen in die USA und in den Mittleren Osten verlagert wurden. In den letzten fünfzig Jahren war Europa immer ein Nettoexporteur von Chemikalien. Im vergangenen Jahr sind wir zum Nettoimporteur von Chemieprodukten geworden. Das dürfte so bleiben.
Die Pandemie hatte zur Folge, dass die chemische Industrie ihre weltweite Supply Chain neu strukturieren muss. Was heisst das für Ihr Unternehmen?
Die Abhängigkeit bezüglich Rohstofflieferungen aus einzelnen Ländern bei den Chemieprodukten – insbesondere aus China – war vielen Kunden zu gross. Dies führte zu einer Diskussion über die zukünftige geografische Diversifizierung der Lieferketten. Bis anhin befanden sich unter drei Lieferanten für die Rohstoffe eines Pharmaproduzenten oft zwei oder sogar alle drei in China. Die damit zusammenhängenden Risiken führen jetzt zum Aufbau neuer Lieferanten aus anderen Ländern wie etwa Indien, Thailand oder Brasilien. Dies hat eine Auffächerung der Supply Chain auf der Beschaffungsseite zur Folge. Eine Tendenz, die uns entgegenkommt, denn die Containerisierung ermöglicht eine äusserst resiliente Versorgung der Unternehmen im Chemiebereich. Bei geografisch diversifizierten Lieferketten spielt die Versorgungssicherheit heute eine zentrale Rolle.
Der Stratege
Name: Hans-Jörg Bertschi
Funktion: exekutiver VR-Präsident der Bertschi Gruppe
Alter: 65
Familie: verheiratet, drei Kinder
Ausbildung: Dr. oec. HSG
Das Unternehmen Die Bertschi Gruppe mit Sitz in Dürrenäsch AG ist eine weltweit tätige Logistikdienstleisterin, spezialisiert auf flüssige und lose rieselförmige Produkte für die chemische Industrie. Sie ist Marktführerin im intermodalen Chemietransport auf Schiene und Wasser in Europa. Das Unternehmen nimmt ebenfalls eine führende Position im globalen Isotank-Geschäft und bei Mehrwertdienstleistungen ein. Mitarbeitende: 3210, Umsatz: 1,1 Milliarden Franken (2022)
In welchen Ländern ergeben sich aus dieser Einsicht neue Chancen zur Entwicklung globaler Lieferketten?
Zu diesen Ländern zählen insbesondere Indien, ebenso Malaysia und Thailand, aber auch Vietnam, Mexiko, Brasilien und Indonesien.
Dieser Trend setzt jedoch auch entsprechende Logistikkapazitäten voraus.
Absolut, unsere Kunden wollen vermehrt auch Lagerkapazitäten kundennah in den wichtigsten Märkten unterhalten. Wir sind daran, ein weltweites Netzwerk an Containerlagerkapazitäten auch für Gefahrgutcontainer in den wichtigsten Regionen aufzubauen. Heute betreiben wir solche Anlagen in Rotterdam, Singapur, im Grossraum Schanghai und in al-Dschubail (Saudi-Arabien). Im Januar starteten wir mit dem Bau eines trimodalen Gefahrgutlagers in Antwerpen, und in Houston (USA) beginnen wir die Planung dafür. Durch die Verlagerung von über 90 Prozent der durchgeführten Europa-Transporte von der Strasse auf die umweltfreundlichen Schienen- und Wasserwege kann Bertschi rund 70 Prozent der CO₂-Emissionen im Vergleich zum direkten Strassentransport einsparen.
Welche ökologischen Aspekte spielen bei diesen Lieferketten eine Rolle?
Die ökologischen Verbesserungen sind für uns zentral und betreffen auch die Diversifizierung der Lieferketten. Im vergangenen Jahr haben wir mit dem Glec-Ansatz (Global Logistics Emissions Council) eine neue exakte Methode zur Berechnung der CO₂-Emissionen aller Transportdienstleistungen in Europa eingeführt. Im Jahr 2022 hat unsere Verlagerung weg von der Strasse in Europa zu einer Reduktion der CO₂-Belastung um 227 000 Tonnen geführt, was dem Fussabdruck von 16 000 Personen entspricht.
Welche weiteren Vorteile hat die Glec-Methode?
Mit der Glec-Methode kann für jede Transportvariante der exakte CO₂-Ausstoss berechnet und dem Kunden transparent zur Verfügung gestellt werden. Wir wollen den Kunden verschiedene Transportoptionen anbieten, mit dem Ziel, den ökologischen Fussabdruck gemeinsam weiter zu reduzieren. Dabei bereiten wir uns darauf vor, unseren Kunden im Vor- und Nachlauf per Strasse zu den Bahn- und Wasserumschlagterminals in Zukunft auch Alternativen wie Wasserstoff- und Elektroantrieb anzubieten. Eine Ausweitung dieses Glec-Ansatzes auf den globalen Verkehr nehmen wir dieses Jahr in Angriff.
Ab dem Jahr 2024/25 werden schrittweise international neue technische Vorschriften in Kraft gesetzt, mit denen die Schiffe betreffend ihrer Umweltbelastung klassifiziert werden. Welche Auswirkungen hat das auf die Inbetriebnahme neuer Schiffe?
Betrachtet man die Neubestellungen der vergangenen drei Jahre, kann man feststellen, dass jährlich immer mehr Schiffe mit einem dualen Antrieb auf der Basis von LNG oder grünem Methanol bestellt wurden. Damit können die Emissionen stark gesenkt werden. Schiffe, die nicht damit ausgerüstet sind, müssen ab 2024 oder 2025 langsamer fahren, um ihren ökologischen Fussabdruck zu reduzieren. Viele ältere Schiffe dürften ab 2025 in die Verschrottung gehen. Mit diesen neuen Vorschriften werden die Überseetransporte allerdings teurer werden.
Die geopolitischen Beurteilungen werden in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Was bedeutet das für die Logistikdienstleister?
Von den Logistikdienstleistern wird in Zukunft als Folge geopolitischer Turbulenzen eine stärkere Agilität erwartet. Konkret müssen sie in der Lage sein, sehr kurzfristig Veränderungen in der Lieferkette umsetzen zu können. Dies bedingt eine weltweite Präsenz mit einer gewissen Angebotsbreite. Dabei gewinnt die Digitalisierung der Prozesse in der Logistikplanung und -durchführung in enger Systemverzahnung mit dem Kunden stark an Bedeutung. Multisourcing bedingt eine weltweite Präsenz und einen weiteren starken Ausbau der IT.