Logistikketten können auf höchst unterschiedliche Weise gesteuert werden, um deren Effizienz zu steigern. Eine ganz neue Art, die Produkte vom Händler zu den Kundinnen und Kunden zu liefern, realisierte das schwedische Möbelhaus Ikea am Wiener Westbahnhof.
Ikea entwickelt seit der Gründung durch Ingvar Kamprad im Jahr 1943 immer wieder neue Ideen, die den Möbelkauf zu einem Erlebnis machen. Schon früh erkannte man, dass man die Kundschaft in das Logistikkonzept einbeziehen kann, um Transport- und auch Logistikkosten zu sparen. Da praktisch jeder Standort über ein eigenes Lager verfügt, setzte Ikea schon sehr früh auf eine dezentrale Lagerung der zum Verkauf gelangenden Produkte.
Mobilität ohne Auto
In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Lebensgewohnheiten und das Konsumverhalten der Bevölkerung verändert. Der Trend zur Stadt oder zumindest in die stadtnahe Agglomeration hat sich intensiviert. Bei Ikea wurde analysiert, wie man dem Trend zur Urbanisierung entsprechen kann, um gleichzeitig neue Kundengruppen zu erreichen.
Mit dem City-Store-Konzept am Wiener Westbahnhof realisierte Ikea ein neues Verkaufsmodell, das durch eine Reihe von Eigenheiten charakterisiert ist. Das siebenstöckige Verkaufsgebäude legt den Fokus klar auf die Erwartungen und Wünsche der städtischen Kundschaft bezüglich einer Mobilität ohne Auto: Der neue Store ist komplett autofrei und spart gegenüber einem herkömmlichen Einrichtungshaus rund 350 000 Autofahrten – oder rund 1000 Tonnen CO₂.
Die Einrichtungsideen werden hier in einer ganz neuen Weise präsentiert: Ein traditionelles Möbellager gibt es nicht mehr. Die Kundinnen und Kunden können vor Ort kleine Produkte kaufen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad transportierbar sind – über 3000 Artikel werden zur Mitnahme gelagert; der knappe Platz erfordert eine Lagerung mit hoher Dichte. Das automatisierte Deep-Lane-Lagersystem ermöglicht es, neun Ladeeinheiten hintereinander im gleichen Regalfach zu lagern. Über Nacht werden die Waren softwaregestützt für einen optimalen Nachschub in die Verkaufsebene umverteilt. Eine 100-prozentige Rückverfolgbarkeit der Waren ist sichergestellt.
Ausgeklügelte Logistik
In der Distribution spielt ein «Order Orchestration System» für einen optimierten Warenfluss und die vom Kunden gewünschte Lieferzeit eine massgebliche Rolle: 80 Prozent der Kundinnen und Kunden kaufen kleinere Mitnahmeprodukte, die keinen weiteren Service benötigen. Nur bei 20 Prozent der Kundschaft – die allerdings für einen Umsatzanteil von knapp 70 Prozent sorgt – ist ein Service erforderlich, der entweder per Zustellung mit dem Lastwagen, mittels Paketversand oder durch Abholung der Kundin selbst erfolgt.
Für Letzteres kann die Kundin auswählen zwischen Click-&-Collect-Stationen bei den Auslieferungslagern, externen Abholstationen nahe dem Wohnort und seit kurzem auch den Click-&-Collect-Boxen beim neuen City Store Wien Westbahnhof. Drei Distribution-Center führen das gesamte Sortiment und sind ins Logistiknetzwerk eingebettet. Die Logistik ist der Enabler für die praktische Umsetzung eines komplett neuen Verkaufsmodells.
Über ein vollautomatisiertes Lager in der unteren Ebene des Einrichtungshauses wird die Ware mithilfe von Transferschlitten, Robotern und Förderbändern ein- und ausgelagert und mit Warenaufzügen im gesamten Einrichtungshaus verteilt. Auf allen vier Ebenen werden die Verkaufsflächen täglich zweimal aufgefüllt. Eine weitere technische Besonderheit ist der überdimensionale Drehteller, auf den der Lastwagen zur Warenanlieferung fährt. Für die Entladung wird dieser um 180 Grad gedreht, um das aufwendige Rückwärtsfahren zu vermeiden. Für dieses Projekt erhielt Ikea den Österreichischen Logistik-Preis 2022 des Vereins Netzwerk Logistik (VNL).