Wie geht es aus Ihrer Sicht den Arbeitnehmenden in der Schweiz derzeit?
Cathrine Mathey: Einige sind froh, dass die Pandemie – scheinbar – hinter ihnen liegt und sie zum früheren Büroleben zurückkehren können, während sie mehr Telearbeit und Homeoffice beibehalten können. Andere erleben die Beschleunigung des Arbeitstempos mit voller Wucht.
Welche Personen sind von dieser Entwicklung am stärksten und welche am wenigsten betroffen?
Am stärksten von Stress am Arbeitsplatz betroffen sind junge Menschen und Beschäftigte im Gastgewerbe, wie aus der Seco-Studie über Arbeitsbedingungen und Gesundheit von 2017 hervorgeht. In diesem Zusammenhang ist das Angebot «Apprentice» von Gesundheitsförderung Schweiz sehr hilfreich.
Wie kann man in Unternehmen eine stressfreie Umgebung etablieren?
Es ist sicherlich nicht möglich, eine stressfreie Umgebung in Unternehmen aufzubauen, denn Stress ist ein Teil des Lebens. Man sollte jedoch versuchen, die Ursachen von arbeitsbedingtem Stress durch individuelle und organisatorische Massnahmen so weit wie möglich zu reduzieren. Auf individueller Ebene kann es hilfreich sein, die eigenen Stressquellen zu analysieren und über eine Methode nachzudenken, wie man mit Stress umgehen und ihn vermeiden kann. Auf organisatorischer Ebene ist es ebenfalls wesentlich, die Stressquellen am Arbeitsplatz zu analysieren und eine Arbeitsorganisation, Arbeitsmethoden oder sogar Arbeitsmittel vorzuschlagen, die besser an die Situation angepasst sind.
Welche Rolle spielen die weiteren Personen an der Arbeitsstelle, die Kolleginnen und Kollegen?
Sie sind von entscheidender Bedeutung. Sie spielen eine sehr wichtige unterstützende Rolle bei der Arbeit und sind manchmal ein zentrales Puzzleteil in unserer Verbundenheit mit dem Unternehmen. Sie ermöglichen es uns, gegenseitige Hilfe zu erleben, Schwierigkeiten zu relativieren und uns bei der Bewältigung von Tiefschlägen zu helfen. Manchmal können sie sich jedoch auch als schädlich erweisen, indem sie eine schlechte Stimmung verbreiten und das Vertrauen zerstören, das die Mitglieder eines Teams zueinander haben müssen.
Welche Signale zeigen an, dass mit den Mitarbeitenden etwas nicht stimmt?
Signale sind ein sozialer Rückzug, die Person kommt nicht mehr in die Pausen, unterhält sich nicht mehr mit den Kollegen, generell eine Veränderung im Verhalten, in der Stimmung. Natürlich gibt es auch einen Anstieg der Fehlzeiten, die Zahl der sich aneinanderreihenden Fehlzeiten nimmt zu.
Wer sollte darauf reagieren?
Natürlich der Vorgesetzte oder die Vorgesetzte der betroffenen Person sowie die betroffene Person selbst.
Und wie sollte man reagieren?
Es geht darum, seine Mitarbeitenden zu beobachten, sich die Zeit zu nehmen, ihnen zuzuhören und zu versuchen, individuelle und organisatorische Lösungen zu finden. Vielleicht ist es ratsam, wenn es möglich ist, die Arbeitsziele zeitlich anzupassen, die der oder die von übermässigem Stress betroffene Mitarbeitende gerade durchmacht. Die Erholung sollte gefördert werden.
Was sind die besten Präventionsmöglichkeiten für Unternehmen?
Hier gibt es mehrere Möglichkeiten: Die Vielfalt der Arbeitsteams fördern, Arbeitsräume und Arbeitsrhythmen so gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Mitarbeitenden zur Erledigung ihrer Arbeit am besten entsprechen, auf die Art und Weise des Managements des Unternehmens und die Qualität der Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten achten.
Gibt es nützliche digitale Anwendungen und Tools?
Ich empfehle die Website der Gesundheitsförderung Schweiz, die einen guten Überblick über ein systematisches Gesundheitsmanagement bietet (https://gesundheitsfoerderung.ch/betriebliches-gesundheitsmanagement.html). Es gibt auch eine weitere Website, die praktische Tipps und Tools zur Gesundheit am Arbeitsplatz für kleine Unternehmen im Dienstleistungssektor vermittelt (https://fuehrungslabor.ch/).
Und wie wird die psychische Gesundheit in Unternehmen im Jahr 2030 und darüber hinaus aussehen?
Ich hoffe, dass wir uns wirklich dafür interessieren werden. Die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz wird als eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit angesehen werden, da wir ein Drittel unseres Lebens dort verbringen.
Gegenwärtige Arbeit: selbständige Arbeitspsychologin im Unternehmen Expertise RH
Ausbildung:
2002: Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität von Neuenburg
2008: Zertifizierungsausbildung im Coaching
2011: Eidg. dipl. Erwachsenenbildnerin
2019: Akkreditierte Beraterin bei Gesundheitsförderung Schweiz.
Wichtigste berufliche Stationen:
2003: HR-Spezialist beim Bund (Deza)
2003–2005: Consultant in einer arbeitspsychologischen Praxis
2005–2016: Personalentwicklerin bei der Mobiliar und dann der Suva.
2013: Gründung ihrer Geschäftsstelle Expertise RH in Sitten