Ypsomed spricht von der Optimierung der Kommunikation zwischen Menschen mit Diabetes und Health Care Professionals – wie funktioniert das konkret und was bringt das den Menschen mit Diabetes?

Simon Michel: Wir entwickeln Lösungen für die Selbstbehandlung vieler verschiedener chronischer Erkrankungen. Im Bereich der Insulinpumpentherapie sind wir am weitesten fortgeschritten und stellen bereits heute Möglichkeiten zur Steigerung des Therapieerfolgs zur Verfügung. Mit unserer Mylife-App stehen den Anwenderinnen und Anwendern alle therapierelevanten Daten an einem Ort mit einem Blick zur Verfügung. Damit kann einerseits auf sehr einfache Art der sogenannte Mahlzeitenbolus berechnet werden. Anderseits können die Daten via Smartphone den Ärztinnen und Ärzten sowie Betreuenden über eine Cloud-Anbindung direkt zur Verfügung gestellt werden. So können zum Beispiel die Eltern von Typ-1-Kindern kontrollieren, ob ihr Kind auch in der Schule das nötige Insulin tatsächlich genommen hat oder nicht.

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Wie verhält es sich mit anderen Gesundheitsproblemen, unter denen die gleichen Menschen leiden, und den weiteren damit verbundenen Therapien?

Die Anwenderinnen und Anwender können die Daten, die unsere Systeme generieren, auch weiteren therapieunterstützenden Lösungen zur Verfügung stellen, zum Beispiel Apple Health. Man sammelt so auf effiziente Weise viele unterschiedliche Daten. Neben Blutzucker und Insulinmengen beispielsweise auch Daten zu Puls, Blutdruck, Körperwärme, Aussentemperatur, Bewegung und so weiter. Mit diesen Daten können weiterführende Gesundheits-Apps von Drittanbietern den Patientinnen und Patienten Empfehlungen geben, wie es ihnen besser gehen könnte. Die Apps fragen, ob sie ihre blutdrucksenkende Tablette am Morgen schon genommen haben. Ypsomed fokussiert sehr eng auf die Daten, die unsere Verabreichungsgeräte – Pens, Autoinjektoren und Insulinpumpen – sammeln. Also zum Beispiel Injektionsmenge und -zeitpunkt, ob die Injektion komplett durchgeführt worden ist, Temperatur des Medikamentes, bei Pumpen auch Veränderungen der Basalrate.

Es fallen Daten an: Wie weit und für welche Zwecke werden sie analysiert? Was bringt das den Health Care Professionals?

Für den Arzt, die betreuende Person und auch die Patientinnen und Patienten bedeutet die digitale Transformation vor allem Zugang zu verbesserten Informationen und dadurch bessere Therapieentscheide. Aus Rohdaten werden therapierelevante Informationen. Die Wertsteigerung findet in fünf Schritten statt. Erfassung – früher mussten Menschen mit Diabetes manuell ein Tagebuch führen. Heute passiert das automatisiert über Apps. Bereitstellung – der Patient muss nicht mehr in die Klinik gehen. Die Ärztin kann über kabellose Verbindungen jederzeit direkt zugreifen. Integration – man kann Daten aus verschiedenen Quellen zusammenführen und übergeordnete Muster erkennen. Empfehlung – auf Basis der integrierten Datengrundlage geben die Ärztin oder direkt eine Gesundheits-App Vorschläge für eine Therapieanpassung. Gerade bei chronischen Erkrankungen spielt das persönliche Verhalten – ohne Medikamentenabgabe – eine grosse Rolle. Intervention – der behandelnde Arzt oder ein intelligenter Algorithmus greift unterstützend in die Therapiehandlung ein und steigert so nachhaltig den Therapieerfolg. Die Daten gehören jederzeit den Patientinnen und Patienten. Sie entscheiden, ob sie der Ärztin oder dem Arzt die Daten für die Verbesserung ihrer Therapie zur Verfügung stellen wollen oder nicht.

Welche Effekte hat das auf das Gesundheitssystem?

Wir wissen, dass über 50 Prozent aller Medikamente ungenützt entsorgt werden und dass die langfristige Therapietreue bei vielen chronischen Erkrankungen schlecht ist. Weil wir als Menschen es vergessen, weil wir uns ausserhalb von zu Hause nicht spritzen wollen und so weiter. Wir müssen Menschen mit chronischen Erkrankungen also motivieren, eine gute Therapie zu machen, oder die Therapie sogar ganz automatisieren. Eine Steigerung der Therapietreue und damit des Therapieerfolgs von chronischen Krankheiten bedeutet also auch eine enorme Entlastung für das Gesundheitswesen. Bei Diabetes entstehen über 60 Prozent der Kosten bei der Behandlung von Spätfolgen, die bei schlechtem Therapiemanagement entstanden sind.

Wie weit lassen sich die hier gewonnenen Daten mit weiteren Gesundheitsdaten der gleichen Menschen kombinieren?

In den letzten 18 Monaten haben wir die hohe Bedeutung von Daten im Gesundheitssystem erlebt. Wir haben auch erlebt, dass die Anwendung digitaler Lösungen eine Herausforderung für die Gesellschaft ist. Viele Anspruchsgruppen müssen zusammenarbeiten und ein gemeinsames Verständnis finden. Bei chronischen Krankheiten sehen wir uns hier in der Pflicht, eine Vorreiterrolle einzunehmen und die Schaffung neuer Mechanismen für die Integration der Bedürfnisse verschiedener Anspruchsgruppen voranzutreiben. Wir sind hier aber erst am Beginn der interdisziplinären Reise.

Die Digitalisierung betrifft auch die Forschung und die Produktion bei Ihnen. Zur Forschung: Können Sie ein Beispiel nennen, wo und wie dort die Digitalisierung hineinspielt?

Wir arbeiten beim Thema Forschung bei klinischen Studien mit unseren Pharmapartnern sehr eng zusammen. Wir bieten mit Smart-Services-Lösungen an, die es erlauben, Injektionsdaten direkt bei den Studienteilnehmenden zu erheben und die Daten in Echtzeit über eine gesamte Population auszuwerten. Dadurch beschleunigen wir die Zulassung neuer, innovativer Medikamente deutlich.

Wie sieht nach 2030 die Interaktion zwischen den Beteiligten aus? Und was bedeutet das für Ihr Geschäftsmodell?

Aktuell haben über 70 Prozent aller Medikamente in Entwicklung eine flüssige Formulierung. Das heisst, die Verabreichung dieser Medikamente wird auch in Zukunft durch Injektion oder Infusion erfolgen. Das kommt daher, dass die Inhaltsstoffe neuer Medikamente, etwa im Bereich der Onkologie oder der Behandlung schwerer Autoimmunerkrankungen, hochkomplex sind. Aufgrund der alternden Bevölkerung und des zunehmenden Kostendrucks werden ausserdem Nachweise über die Therapiegüte und die Therapietreue unentbehrlich. Wir werden uns deshalb schrittweise weiterentwickeln – vom Anbieter von Medizintechnikgeräten hin zum Anbieter von Lösungen für Therapien.

Gesundheits-Apps: Die Technologien helfen, Trainingsleistungen zu messen und zu steigern und die Gesundheit noch gezielter zu fördern.

«Die Daten gehören den Patientinnen und Patienten. Sie entscheiden, ob sie sie zur Verfügung stellen.»

Der Vorreiter

Name: Simon Michel

Funktion: CEO (seit 2014), Ypsomed Holding, Burgdorf

Jahrgang: 1977

Wohnort: Solothurn

Familie: verheiratet, zwei Kinder

Ausbildung: Master in Wirtschaft mit Vertiefung Medien- und Kommunikationsmanagement, Universität St. Gallen