Kaum eine Branche spürt den raschen Wandel des Konsumentenverhaltens so direkt wie die Konsumgüterindustrie. Nachlassende Markentreue, der Reiz, neue Produkte zu probieren, und ein wachsendes Gesundheits- und Umweltbewusstsein bringen Hersteller in eine herausfordernde Situation. Produktstrategien müssen stärker und schneller denn je angepasst werden, die Produktentwicklung wird mit mehr Zwängen konfrontiert und muss dennoch flexibel und schnell auf Änderungen reagieren können.
Um dem schnell wechselnden Marktbedarf gerecht zu werden, muss die Fertigung neue Wege beschreiten; Individualisierung und der Einbezug neuer Technologien sind Mittel, um Produkte attraktiv zu gestalten. Die Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette ist der Schlüssel dazu, diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Im Markt zeichnen sich dabei einige wichtige Trends ab. Sie müssen bei der Gestaltung des stetigen Wandels eines Unternehmens berücksichtigt werden.
Das Einkaufsverhalten der Konsumenten ändert sich Kunden verlangen immer mehr Produkte, die individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten werden – natürlich ohne dass dabei zusätzliche Kosten für sie entstehen. Sie nutzen stärker in ihr Leben integrierte Vertriebsplattformenund lenken ihre Aufmerksamkeit auf neuartige Kommunikationskanäle. Der Einfluss von Social Media und Influencern bewegt Konsumenten heute schnell zur Änderung ihres Verhaltens und die Erwartung ist, dass diese Entscheidungen ohne grosse Umstände umgesetzt werden können. Hersteller müssen daher bei ihren Überlegungen komplett neue Bereiche in Betracht ziehen, inklusive Applikationen, die sich nahtlos in die digitale Umgebung der Konsumenten einfügen können und die sämtliche geforderten Details zu ihren Interessen zur Verfügung stellen.
Ein Trend ist die Ergänzung traditioneller Produkte mit mechatronischen Komponenten.
War es vor einiger Zeit noch ausreichend, Innovationen im Zeitrahmen von mehreren Monaten einzuführen, so stehen heute nur noch Wochen zur Verfügung, um mit den Änderungen im Markt Schritt halten zu können. Bereits heute gibt es Unternehmen, die ihre Innovationsgeschwindigkeit in Tagen messen und damit das Potenzial besitzen, Führungs- und Schlüsselpositionen schneller als ihre Konkurrenten besetzen zu können. Die Situation wird dadurch verschärft, dass es immer schwieriger wird, das Verhalten von Konsumenten vorherzusehen, kurzfristig verfügbare Gelegenheiten und Trends müssen schnell genutzt werden. Um die Kontrolle über dieMärkte zurückzuerlangen, ist es deswegen unabdingbar, dass Unternehmen sich massiv auf die Geschwindigkeit ihrer Produktentstehungsprozesse fokussieren.
Die geforderte Geschwindigkeit und die Anpassung an kundenspezifische Bedürfnisse verändern die Anforderungen an die Produktproduktion. Sie muss natürlich den Aufwand zur Umsetzung vonÄnderungen kleinhalten, nur so lassen sich die Kosten unter Kontrolle halten. Aber der bei weitem kritischste Faktor ist die durchgängige Handhabung vonGeschäftsprozessen und nahtlose Informationsbereitstellung; die immer noch den Alltag dominierenden Informationssilos müssen ausnahmslos beseitigt werden. Ohne diese Umstellung ist es nicht möglich, die Trennung von Produktfertigung und Produktentwicklung – und damit die vielen Ursachen von Zeitverlusten und Inkonsistenzen – zu vermeiden. Mit dieser Effizienzsteigerung können sowohl die Massenproduktion als auch die Handhabung kleinster Losgrössen beherrscht werden.
Ein wesentlicher Trend ist die heute erwartete Ergänzung traditioneller Produkte mit mechatronischen Komponenten, teilweise um tieferen Einblick in das Konsumentenverhalten zu erlangen, aber vor allem auch, um dem Bedarf der Kunden an Einblicke in Herkunft und Methodik und neue Servicedienstleistungen zu begegnen. Mit den zusätzlichen mechanischen Komponenten, Software und Elektronik steigert sich die Produktkomplexität beträchtlich. Riskant ist dabei auch, dass vielfach Disziplinen bedient werden müssen, die bisher meist nicht als vorhandene Kompetenz im Unternehmen zur Verfügung stehen. Diese Umgestaltung auf interdisziplinäre Prozesse muss zwingend die einzelnen Bereiche simultan bedienen; damit steigen die Anforderungen an die Bereitstellung von bewährten Methodenvorgaben, die Vermeidung von Redundanzen und die notwendige Einsicht in Abläufe.
Der digitale Zwilling ist das notwendige Instrument, mit dem sich das Potenzial zur Optimierung realisieren lässt.
Digitalisierung ist heute die richtige Antwort auf diese Trends. Dabei muss natürlich berücksichtigt werden, dass nur eine möglichst vollständige Abdeckung sämtlicher Informationen zu Produkt, Produktion und Performance das Potenzial der Digitalisierung erschliessen kann. Alle drei Bereiche tragen wesentlich zum virtuellen Abbild bei und nur gemeinsam erschliessen sie die Möglichkeit, jegliche Bedürfnisse an Information eines Unternehmens in allen Bereichen zu bedienen.
Eine gemeinsame, zukunftsorientierte Plattform für den digitalen Zwilling ist demnach das Kernelement einer Digitalisierungsstrategie. Informationen können zusammengeführt und in Relation gestellt werden, Prozesse können nahtlos gestaltet, kontrolliert und überwacht werden und die gewonnenen Einblicke in Verbesserungspotenziale lassen sich schnell und gezielt umsetzen. Der digitale Zwilling arbeitet dabei wie ein digitaler roter Faden, der sich durch alle Bereiche im Unternehmen zieht.
Durch den Wegfall unnötiger Korrekturschleifen und die Vermeidung von unproduktiven Aufwänden sowie durch die gezielte Parallelisierung von Abläufen lässt sich die Geschwindigkeit von Produktmarkteinführungen deutlich verbessern. Der digitale Zwilling ist dabei das notwendige Instrument, mit dem sich das Optimierungspotenzial sowohl für Effizienz als auch Flexibilität realisieren lässt. Aber nicht nur in Bezug auf diese Kenngrössen bietet diese Methodik Vorteile, ebenfalls lässt sich durch den Vergleich von Ist-Werten mit den im Zwilling hinterlegten Soll-Werten eine herausragende Produktqualität gewährleisten. Zudem sind Nachweispflichten leichter als heute zu realisieren und der Erfahrungsschatz eines Unternehmens lässt sich besser bei der Einführung neuer Produkte abrufen.
Um den Bestand eines Unternehmens im Markt zu sichern, ist daher eine umfassende Digitalisierungsstrategie keine Option, sondern ein probates und notwendiges Mittel, um sich im immer stärker verändernden Umfeld behaupten zu können.
Frank Brandau, Global Director, Consumer Products & Retail, Siemens Industry Software, Zürich.