Der Weckruf ist unüberhörbar. «Darauf zu warten, dass in einem Big Bang die digitale Transformation von Tourismusunternehmen mit der Hilfe eines Lösungsanbieters von aussen gelingt, ist ein Trugschluss», warnt NorbertHörburger vomInstitut für Tourismus und Freizeit der HTWChur. Bisher schaue der Tourismus als kleinstrukturierte Dienstleistungsbranche neidvoll auf die technologischen Entwicklungen in Produktion und Handel sowie auf das Innovationstempo, das die Big Five Google, Apple, Amazon, Facebook und Microsoft vorgeben. Die Digitalisierung aber halte gerade für jene kleinen Tourismusunternehmen, die sich als Zaungast fühlten, ein enormes Verbesserungsund Vernetzungspotenzial bereit.
Wie das aussehen könnte, analysiert Hörburger für die Bereiche Marketing and Sales, Buchungsverhalten und betriebliche Prozesse. «Am meisten fortgeschritten ist die technologische Entwicklung im digitalen Marketing and Sales, also in den Phasen rund um die Informationssuche und Reiseplanung vor der Buchung», stellt Hörburger fest. Entsprechend viele Mediaagenturen böten ihre Dienste für Webdesign, SEO, ContentProduktion, Onlineoder SocialMediaMarketing an. «Damit das Agenturbriefing für den Unternehmer aber stimmt oder er selbst die richtigen Schritte unternehmen kann, bedarf es einer genauen Kenntnis der anvisierten Zielgruppen», sagt der Tourismusexperte.
Grösseren Handlungsbedarf sieht Hörburger im Buchungsbereich. Da die Zahl der externen Systemprovider und grossen Portale überschaubar geblieben sei, seien für die Tourismusdienstleister hohe Abhängigkeiten entstanden. «Daraus kann man sich nur durch attraktive Direktbuchungsmöglichkeiten und zusätzliche Anreize für die Gäste lösen», stellt Hörburger fest.
Mit der Buchbarkeit aufmöglichst allen Kanälen und einem guten AngebotsPackaging seien auch die Anforderungen an die Vernetzung der internen und externen Systeme mit geeigneten Schnittstellen gewachsen. «Was in der Industrie als Industrial Data Space schon längst Standard ist, fehlt im Tourismus weitgehend. Die Branche kämpft vielerorts mit Insellösungen von Kleinstanbietern, die kaum weiterentwickelt und schlecht supportet werden. Eine Initiative zu einem einheitlichen Tourism Data Space (TDS) und mehr OpenSourceLösungen täten hier Not», bemängelt Hörburger.
Deutlich zu wenig Beachtung wird laut Hörburger auch der Optimierung der internen Prozesse durch die Vernetzung der Tourismusbetriebe beim Einkauf und beim Personaleinsatz geschenkt. Mit digitalen inputseitigen Kooperationen bei der Warenund Personalbewirtschaftung könnten enorme Einsparpotenziale ausgeschöpft und die Fixkostenbasis dauerhaft gesenkt werden, ohne dass die Servicequalität leide. «Im Gegenteil, dadurch entstehen Freiheitsgrade, die es erlauben, mehr Zeit für die persönliche Betreuung der Gäste und Kunden zu haben.»
«Digitalisierung der Schweizer Landwirtschaft – verpassen wir den Anschluss?» Das fragt sich auch Francis Egger, Leiter Wirtschaft, Bildung und Internationales beim Schweizer Bauernverband, in einem Standpunktkommentar. Digitalisierung der Landwirtschaft bedeute nicht nur neue Geräte wie Drohnen, Melk, Fütterungsund Putzroboter oder GPSgesteuerte, autonome Traktoren und Feldmaschinen. Es gehe auch um systemische Veränderung. «Diese neuen Technologien werden untereinander, aber auch mit Instrumenten für die Betriebsbewirtschaftung wie zum Beispiel Nährstoffbilanz, Futterund Fruchtfolgepläne und sogar mit der Buchhaltung verbunden sein», so Egger.
Diese Vernetzung werde sich nicht auf die Betriebe beschränken, sondern auch Produktionsmittelund Gerätelieferanten sowie die Käufer der landwirtschaftlichen Erzeugnisse einschliessen. In manchen Fällen reichten sie über Vermarktungsplattformen bis zum Endkunden. Egger sieht darin grosses Verbesserungspotenzial für die Landwirtschaft, aber auch Risiken. «Viele Familien könnten auf der Strecke bleiben und die unternehmerische Unabhängigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe könnte eingeschränkt werden», mahnt er (siehe Box).
Der Verbandsmann skizziert die BlockchainLandwirtschaft der Zukunft: Alle und alles sind mittels Datenströme mit allem verbunden – vomSamenkorn bis zum Betriebsergebnis der einzelnen Bauernhöfe. Und Francis Egger stellt die richtigen Forderungen: Es brauche Rahmenbedingungen, die der digitalen Entwicklung Raum liessen und gleichzeitig die Rechte der Akteure schützten.
Die Schweizer Landwirtschaft könnte den Anschluss verlieren.
Dazu zählt Egger insbesondere die Datenhoheit, die Sicherheit, den Schutz sowie die Transparenz über den Umfang und die Verwendung von Big Rural Data.
Tatsächlich sind derzeit zwei grössere, bisher unregulierteDatensammelprojekte operativ. Die Plattform ADA wird unter anderem von IPSuisse (Vereinigung integriert produzierender Bauern), von der ehemaligen Treuhandstelle Milch (TSM) und vomProduzentendachverband Agrosolution unterstützt. Das Projekt Barto wiederum tragen die LandiDachgenossenschaft Fenaco, die nationale Tierverkehrsdatenbank Identitas, die von den Kantonen getragene landwirtschaftliche Beratungszentrale Agridea sowie die in der Tierzucht und Tierhaltung tätigen Organisationen und Verbände.
Egger sieht vor allem den Bund in der Pflicht, auch mittels Investitionen die Komplementarität der beiden Programme herzustellen. Weil das bisher nicht geschehen ist, fürchtet Egger, dass die Schweizer Landwirtschaft international den digitalen Anschluss verlieren könnte. «Die deutsche wie auch die französische Regierung investieren bedeutende Summen in die Digitalisierung ihrer Landwirtschaften », hält Egger vom Schweizer Bauernverband kritisch fest. Es bestehe Handlungsbedarf, weil die durch die Digitalisierung erforderlichen Anpassungen angestossen und begleitet werden müssen. «Dem Bund fällt dabei eine zentrale Rolle zu, die jedoch über gute Absichten hinausgeht », so Egger. Die Dringlichkeit zeigt auch seine umgehende Forderung, eine privatöffentliche Taskforce aufzustellen.
Nutzen
Den grössten Nutzen versprechen sich laut Bauernverband viele Betriebsleiter durch eine Vereinfachung und Entlastung in der Administration. Digitale Managementplattformen sollen helfen, den Überblick über Ressourcen und Assets zu behalten und sie optimal einzusetzen. Ein Quervergleich mit anderen Betrieben hilft, die Stärken, aber auch das Verbesserungspotenzial des eigenen Betriebs schneller zu erkennen.
Gefahren
In einer Bestandsaufnahme von 2017 sieht der Bauernverband auch Risiken: Überadministration, Datenverluste, Abhängigkeit von Systemanbietern, der Attraktivitätsverlust von Familienbetrieben und der Verlust von Betrieben und Arbeitsplätzen.