Der Auftritt war ungewöhnlich, aber das Lucca Philharmonic Orchestra und Star-Tenor Andrea Bocelli hatten sich schnell an ihren neuen Chef gewöhnt. Der Auftritt des ersten selbstlernenden Robo-Dirigenten am 12. September 2017 im Teatro Verdi in Pisa gelang und machte global Schlagzeilen. Einzig eine Verbeugung vor dem Publikum war dem vom Technologiekonzern ABB konstruierten Roboter YuMi nichtmöglich.
Tech-Unternehmen
ABB ist in den Sparten Elektrifizierungsprodukte, Robotik und Antrieb, industrielle Automation sowie Stromnetze tätig. Letzteres für die Industrie sowie den Transport- und Infrastruktursektor.
Nachhaltig
Ein Schwerpunkt des Unternehmens mit knapp 150000 Angestellten in über hundert Ländern ist die Elektromobilität. ABB ist unter anderem Partner der FIA-Formel-E-Rennsportserie.
Straffung
Seit Anfang April fokussiert sich das Unternehmen neu auf die vier führenden Geschäftsbereiche Elektrifizierung, Industrieautomation, Antriebstechnik sowie Robotik und Fertigungsautomation.
«Unsere Stellung als zentrale Akteurin der Digitalisierungwollen wir beibehalten und ausbauen», erklärtABB Schweiz-Chef Robert Itschner den Anspruch seines Konzerns. Die Stellung gründe auf einer hohen Innovationsfähigkeit und entsprechend auf qualifizierten und engagierten Mitarbeitenden. Tatsächlich hat ABB erst Ende Februar in einem Strategie-Update seine Ambitionen als globaler Technologieführer für digitale Industrien bekräftigt. Dies in den vier neuen Geschäftsbereichen Elektrifizierung, Industrieautomation, Antriebstechnik sowie Robotik und Fertigungsautomation. Zusätzlichen Schub verspricht sich ABB von der neuen, globalen Software-Partnerschaft mit dem französischen Unternehmen Dassault Systèmes.
Die weltweit 147000 Angestellten von ABB kommen im Strategie-Update vom 28. Februar explizit nur in einem, aber in einem entscheidenden Satz vor. «Ich möchte unseren Mitarbeitenden weltweit für ihr herausragendes Engagement in dieser Zeit des Wandels danken», sagt ABB-CEO Ulrich Spiesshofer. Wir haben bei ABB Schweiz-Chef Robert Itschner und Christopher Ganz, Forschungs-Chef für Service- und Digitaltechnologien, nachgefragt, wie sie ihre Angestellten konkret durch diesen Wandel führen und wie die Digitalisierung das Verhältnis zu den Kunden geändert hat (siehe Interview unten).
«Ein genaues Verständnis der Wertschöpfungsketten, der Prozesse und der Bedürfnisse unserer Kunden ist entscheidend für den Erfolg digitalisierter Produkte», hält Schweiz-Chef Itschner fest. Das bedeute, immer aus Sicht des Kunden zu denken und zu verstehen, was dessen konkrete Herausforderungen seien. Tatsächlich betreibt ABB zu diesem Zweck sogenannte Kollaborationszentren wie zum Beispiel das sogenannte Co-Innovation Lab in Baden-Dättwil. Aus einer Kundenkollaboration mit der Firma Egger ist zum Beispiel der Smart Sensor für Pumpen entstanden. Er überwacht durch kontinuierliche Messung verschiedener Parameter den Zustand von Pumpen, stellt dem Betreiber laufend Daten und Analysen zur Verfügung und ermöglicht die zustandsbasierte Wartung, bevor allfällige Probleme und zusätzliche Reparaturkosten entstehen. Fazit ist, mit der digitalen Transformation ist der Kunde künftig nicht mehr König, sondern via Kundenkollaboration Partner.
Das ist ein Paradigmenwechsel, der vor allem für die Angestellten eine fundamentale Herausforderung darstellt. «Die Förderung und Weiterentwicklung der Mitarbeitenden hat bei ABB Priorität», erklärt Itschner. Kontinuierliches Lernen werde immer wichtiger, um agil und beschäftigungsfähig zu bleiben (siehe Seite 39 und 42). Lernfähigkeit und die Weiterentwicklung von Kompetenzen legten die Basis, um Veränderungen erfolgreich zu bewältigen und mit Zuversicht zu begegnen. Zu den konkreten Massnahmen bei ABB gehören unter anderem der regelmässige Austausch in den Teams und zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften sowie Weiterbildungskurse und Workshops wie das neue Pilotprojekt Learning Agility.
Auf Managementebene hat ABB in der Person von Guido Jouret seit 2016 einen Chief Digital Officer (CDO). Der Technologiekonzern gehört laut einer Studie von PWC damit zu dem guten Drittel aller Schweizer Unternehmen, die einen CDO haben. Jouret rapportiert direkt an CEO Ulrich Spiesshofer. Die Digitalteams des CDO arbeiten eng mit den Leitern der verschiedenen Geschäftsbereiche zusammen. «Ziel unserer digitalen Organisation über alle Geschäftsbereiche hinweg ist, sicherzustellen, dass der Konzern sein volles Potenzial im Zusammenhang mit der Digitalisierung ausschöpft», erklärt Forschungschef Christopher Ganz.
Grundvoraussetzung dafür ist allerdings wie für alle Unternehmen, dass ABB die besten Talente gewinnen kann. «Dafür werden wir uns weiterhin aktiv in der Beziehungspflege mit potenziellen Mitarbeitenden und im Hochschulmarketing engagieren», so Robert Itschner. Dabei hat ABB tatsächlich gute Karten: ABB gehört laut Umfragen wie etwa vom Employer- Branding-Spezialisten Universum weiterhin zu den attraktivsten Arbeitgebern der Schweiz.
Was sind die grössten Herausforderungen und Stolpersteine für ABB, um die eigenen Mitarbeitenden vomMehrwert der Digitalisierung zu überzeugen?
Robert Itschner: Unsere Mitarbeitenden gestalten die digitale Zukunft aktiv mit und realisieren somit Mehrwert für unsere Kunden. Zugleich wird die Digitalisierung in den kommenden Jahren in allen Branchen und auch innerhalb unseres Unternehmens fundamental und in zunehmendem Tempo die Art verändern, wie wir arbeiten. Es ist entsprechend wichtig, alle Mitarbeitenden auf die Reise der digitalen Transformation mitzunehmen.
Wie wichtig ist für die erfolgreiche Motivation die Kommunikation?
Eine offene, dialogbasierte Kommunikations- und Feedbackkultur ist generell eine zentrale Grundlage für Motivation, Engagement, Vertrauen sowie die Bereitschaft, Veränderungen mitzutragen. Wir haben daher stets frühzeitig, laufend und offen kommuniziert, wie sich die Digitalisierung auf die Geschäftstätigkeiten des Unternehmens auswirkt und wie sie Arbeitsprozesse und -inhalte sowie Anforderungen verändert.
Gibt es bei ABB im Zuge der Transformation eine neue Fehlerkultur?
Mit der Digitalisierung beschleunigen sich Innovations- und Entwicklungszyklen. Umdas erforderliche Tempo sicherzustellen, setzen wir auf agile Vorgehensweisen. Nicht umsonst gehört das Wertepaar Innovation und Schnelligkeit zu unseren zentralen Unternehmenswerten.
Was heisst das konkret?
Agiles Vorgehen kann etwa bedeuten, technische Lösungsansätze rasch in einer ersten Pilotinstallation zu überprüfen, um schnell Erfahrungen zu sammeln und die Ansätze auf dieser Grundlage weiterzuentwickeln. Dies setzt auch die Bereitschaft voraus, Ideen auszuprobieren und aus allfälligen negativen Erfahrungen oder Fehlern schnell zu lernen und die nötigen Verbesserungen abzuleiten.
Interview von Johannes J. Schraner