Sie heissen Twilio, Shopify, Tink oder Klarna und stehen im Schatten von Microsoft, Amazon und den grossen Kreditkartenfirmen. Twilio organisiert im Hintergrund die Text-, Voice- und Videokommunikation zwischen den Endkunden und Unternehmen wie Netflix oder Airbnb. Shopify steht hinter vielen Online-Auftritten kleinerer und mittelgrosser Unternehmen auch aus der Schweiz. Und Klarna ist mit der Neuerfindung der digitalen Ratenzahlungen in Geschäften so stark gewachsen, dass die schwedische Firma jetzt mehr wert ist als die Credit Suisse.
Willkommen in der Welt der zweitrangigen, aber nicht zweitklassigen Firmen. Sie haben die «Todeszone» überlebt: So bezeichnet man unter Risikokapitalgebern die Startups, auf welche die ganz grossen Tech-Unternehmen ein Auge werfen könnten, wenn sie ihnen zu gefährlich erscheinen. Whatsapp hatte 2014 ein solches Schicksal ereilt. Seit die Aktivitäten der ganz grossen Tech-Unternehmen weltweit und besonders stark in Europa von den Wettbewerbshütern aufmerksam verfolgt werden, überlegen es sich diese zweimal, ob und wen sie da übernehmen.
Wollen und können
Das schafft den Raum, in dem mittelgrosse Firmen entstehen und gedeihen. Sie profitieren von drei Faktoren: Zunächst konzentrieren sie sich auf etwas, was viele andere nicht so recht anpacken können oder möchten. Beispielsweise die ganzen Bezahlvorgänge in der digitalen Wirtschaft und das Organisieren der Geldtransfer-Verbindungen über standardisierte Schnittstellen. Firmen wie das stark wachsende Zürcher Startup Imburse Payments beispielsweise verbinden grosse Versicherungen mit unzähligen Banken und weiteren Bezahlunternehmen – mit nur einem Anschluss und einem Vertrag.
Twilio macht etwas sehr Ähnliches, einfach auf dem Gebiet der Kommunikation. Shopify organisiert für Firmen selbstständige Online-Auftritte, inklusive Bezahl- und Abwicklungsmöglichkeiten. Tink aus Schweden ist spezialisiert auf Finanzprodukte und ihre Handhabung – wer die Mobilbank N26 oder Paypal in Europa nutzt, ist damit automatisch auch Kunde von Tink. Und Klarna profitiert derzeit stark davon, dass die einen (Geschäfte) gerne sehr einfache Ratenzahlungen per App ermöglichen wollen (aber nicht können) und die anderen (die Banken) zwar sehr gerne ziemlich risikolose Kurzzeitkredite vergeben würden, aber das weder kommerziell noch technologisch hinbekommen.
Etliche zweitrangige Firmen sind deshalb im Finanzbereich zu wichtigen Faktoren geworden. Das US-Unternehmen Plaid beispielsweise ermöglicht erst die Dienstleistungen wie die Geldtransfers für das bekannte britische Fintech Wise (ehemals Transferwise). Oder die Online-Börse Robinhood, im Januar dieses Jahres über den Kleinanlegersturm auf die praktisch wertlosen Gamestop-Aktien bekannt geworden: Auch da steht Plaid im Hintergrund. Oder Coinbase, die an der Börse höher als die UBS gehandelte US-Firma, die gleichzeitig den grössten Handelsplatz für Bitcoin und Co. betreibt. Auch hier geht wenig ohne die diskreten Dienste von Plaid.
Nischen sind schöner
Etliche zweitrangige Firmen haben längerfristig vielversprechende Perspektiven. Denn sie betreiben in ihren Nischen attraktive Plattform-Geschäftsmodelle, womit sie Skalenvorteile von ihren Unternehmenskunden in das eigene Geschäftsmodell übertragen, ohne dass diesen so richtig klar wird, dass und wie sie dazu beitragen. Die Skalenvorteile bringen günstigere Preise für die Dienste, womit ein selbstverstärkender Kreislauf entsteht, der im Markt und hinter den Kulissen ähnliche Oligopole entstehen lässt wie bei den ganz grossen Tech-Firmen. Und über solche schwer kopierbaren Netzwerk-Effekte vergällen die zweitrangigen Firmen auch allfällige Übernahmen durch die ganz Grossen: Als Visa Plaid für über 5 Milliarden Dollar übernehmen wollte, griffen die Wettbewerbshüter ein.
Und etliche zweitrangige Firmen expandieren nach und nach in neue Geschäftsbereiche – und werden so zu Konkurrenten der grossen (Tech-)Firmen. Shopify ist im Vergleich zu Amazon oder Alibaba zwar weiterhin klein, aber das Unternehmen wächst viel stärker und steht nicht im Ruf, mit unsauberen Mitteln Lieferanten zu drangsalieren. Die Risikokapitalgeber von Klarna sehen Chancen, den billionenschweren Kreditkartenmarkt, den sich bis jetzt Mastercard, Visa und eine Handvoll weitere weltweit aufteilen, zu disrumpieren.
Offen und unter Analysten wie denen von Financial Technology Partners, Goldman Sachs und Morgan Stanley heiss diskutiert ist die Frage, ob die zweitrangigen Firmen zu den ganz Grossen wie Google, Amazon, Apple oder Facebook aufsteigen werden. Zwei Faktoren sprechen dagegen. Erstens gelten bis zum Beweis des Gegenteils auch hier die Gesetze der Unternehmensentwicklung: Ab einer bestimmten Grösse werden Firmen (zu) gross und (zu) träge. Und zweitens gibt es den latenten Druck der Aufsichtsbehörden, der gegenwärtig zu grosse Übernahmen fast ausschliesst. Die Todeszone ist damit zwar überwunden – aber so richtig gut geht es den zweitrangigen Firmen weiterhin nur, wenn sie in ihren Nischen bleiben und diese sorgfältig erhalten.