Meist werden Blockchains nur in Zusammenhang mit Kryptowährungen erwähnt. Welches Potenzial birgt die Blockchain-Technologie noch?
Sie wurde ursprünglich für die Überweisung der Kryptowährung Bitcoin entwickelt und Finanzdienstleistungen sind nach wie vor ein Hauptanwendungsfall für die Blockchain-Technologie. Das charakteristischste Merkmal der Blockchain ist jedoch die komplette Dezentralisierung. Die Blockchain ist auf ein Netzwerk von Computern – öffentlich oder innerhalb einer Organisation – verteilt; es gibt keine zentrale Behörde, die bestimmt, welche Transaktionen gültig sind und welche nicht. Zudem wird jede Transaktion dauerhaft aufgezeichnet, ist rückwirkend unveränderbar und gut verschlüsselt. Somit können digitale Informationen ohne zentrale Verwaltungsstelle unveränderbar und sicher abgespeichert und ausgetauscht werden, was zu einer ganzen Reihe von Innovationen geführt hat, wie zum Beispiel dezentralisierten Finanzplattformen, neuen Arten von
digitalen Vermögenswerten, «Smart Contract»-Anwendungen, digitalen Identitäten und vielem mehr.
Was muss man darunter verstehen, wenn es heisst: «Man muss sein Business auf die Blockchain bringen»?
Wie bei jeder neuen Technologie sollte ein Unternehmen die potenziellen Vorteile von Blockchains für seine internen Abläufe und allfällige neue Marktchancen prüfen. Allerdings wird die Blockchain- Technologie nicht die Antwort auf alle Probleme sein. Viele zentralisierte Softwarelösungen funktionieren gut. Das Ersetzen eines bewährten zentralisierten Prozesses durch eine Blockchain-Version wird des- halb nur eine begrenzte Kosteneffizienz erzielen. Der Return on Investment kann vor allem durch die Anwendung auf neue interne oder externe Prozesse maximiert werden, etwa durch die Tokenisierung der Daten auf einer Blockchain, damit neue Teilnehmende, beispielsweise Tochterunternehmen, Verkäufer, Wirtschaftsprüferinnen kontrolliert mit den Daten interagieren können.
Wie gehen Unternehmen hier vor?
Sobald das grundlegende Verständnis für die Technologie vorhanden ist, werden wir in der Regel gebeten, bei der Identifizierung potenzieller Anwendungsfälle zu helfen und die Interessengruppen innerhalb des Unternehmens zusammenzubringen, bevor wir nach Pilotprogrammen bei der Implementierung unterstützen. In einigen Fällen kann eine interne Blockchain angemessen sein, aber oft suchen Kundinnen und Kunden eine Partnerschaft mit spezialisierten Blockchain-Teams.
Welche Vorteile bietet die Blockchain?
Jeder von uns kann mit Blockchain seine eigenen Daten besitzen und kontrollieren, ohne auf die Kontrolle oder Genehmigung zentraler Behörde angewiesen zu sein. In der aktuellen Web-2.0-Ära, in der grosse, wertvolle Datensätze auf Servern zentralisierter Unternehmen liegen, gerade in sozialen Medien, ist das auf Blockchains basierende Web 3.0 eine attraktive alternative Vision des World Wide Web.
Welche Nachteile gibt es?
Der Zugang zur Blockchain ist nach wie vor mit einem gewissen Mass an Benutzerunfreundlichkeit verbunden. Blockchains müssen drei Faktoren ausbalancieren: die Anzahl der Transaktionen, die in einem Block verarbeitet werden können (Skalierbarkeit), wie die Sicherheit des Netzwerks aufrechterhalten werden kann und das Ausmass der Dezentralisierung. Bitcoin beispielsweise gilt als sehr sicher und dezentralisiert, ist aber in Bezug auf die Anzahl der Transaktionen pro Block relativ limitiert und langsam. Je nach Ausgestaltung dieser drei Faktoren sind verschiedene Blockchains für unter- schiedliche Zwecke besser geeignet.
Welche Branchen sind prädestiniert?
Generell wird die Blockchain-Technologie von allen Branchen, die eine zuverlässige Nachverfolgung ihrer Produkte benötigen, wirksam eingesetzt – sei es zur Überwachung von Lieferketten in der Pharmaindustrie oder dem Herkunftsnachweis von Luxusgütern. Dann bei den Finanzdienstleistern; da beobachten wir eine starke Zunahme von Blockchain- Lösungen in den Bereichen des Treasury und des Asset Managements sowie der Zahlungsabwicklung. Ein grosses Interesse besteht auch in der Kommunikationsbranche – zum Beispiel das Blockchain- basierte Metaverse als neuer (virtueller) Marktplatz.
Laut einer Studie des WEF werden 2025 mindestens 10 Prozent der weltweiten Vermögen auf Blockchains liegen. Halten Sie das für realistisch?
Aufgrund des zunehmenden Interesses und der zunehmenden Aktivität, die wir in diesem Bereich beobachten, kann ich mir gut vorstellen, dass in naher Zukunft ein erheblicher Teil des weltweiten Vermögens auf Blockchains abgebildet wird. Vermögenswerte auf Blockchains können zwei Dinge darstellen: einen rein digitalen Vermögenswert (ein Kryptowährungs- Token) oder eine digitale Darstellung eines realen Vermögenswerts (ein Token, der etwa eine Immobilie repräsentiert).
Wie schätzen Sie das Potenzial und die Entwicklung kommender Jahre ein?
Angesichts des wachsenden Interesses unserer Kundinnen und Kunden, der zunehmenden Regulierungsabsicht von digitalen Vermögenswerten durch Aufsichtsbehörden und der anhaltenden Risikokapitalinvestitionen in Blockchain- Projekte deutet alles darauf hin, dass die Blockchain-Technologie in allen Lebens- und Unternehmensbereichen weiter zunehmen wird. Das Zukunftspotenzial ist enorm.
Name: Crispin Lowe
Funktion: Senior Manager Tax&Legal KPMG Schweiz
Alter: 37
Familie: verheiratet, zwei Kinder, eine Katze
Ausbildung: SOAS, University of London (BA Japanese)
KPMG Schweiz
Die Wirtschaftsprüfungs- sowie Steuer- und Unternehmensberatungsgesellschaft mit Sitz in Zürich beschäftigt an elf Standorten rund 2000 Mitarbeitende.