Die generative künstliche Intelligenz (Gen KI) gilt nur als ein Beispiel, wie rasant sich neue Technologien weltweit verbreiten. Je nach Zählweise und Quelle dauerte es nur ein paar Tage, bis die ersten 100 Millionen Menschen Ende November 2022 Chat GPT von Open AI erstmals ausprobiert hatten. Generative KI schaffte laut den Analystinnen und Analysten von Morgan Stanley das, wofür man beim iPhone sieben Jahre gebraucht hatte.

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Und in diesem Tempo soll es weitergehen: Laut Frank Thelen, einem deutschen Unternehmer und Investor, begünstigen die Basistechnologien wie Cloud-Computing, KI, die immer besseren Chips und die Smartphones die immer raschere Einführung neuer Technologien. «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ein erstes Unicorn sehen, das von einer einzigen Person mit einer sehr guten Idee aufgebaut wurde», sagte Thelen im Juni an einer Fintech-Konferenz am Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) in Rüschlikon.


Hypes vergehen

Allerdings können rasche Boom-Phasen auch wieder vorbeigehen. «Hype-Zyklen sind heute die Norm, nicht die Ausnahme», heisst es vonseiten der Morgan-Stanley-Analysten. Viele User probierten in den vergangenen zwei Jahren die neuen KI-Features zwar einige Male aus – nach einigen Monaten fielen dann die Nutzungsraten wieder auf die Hälfte der Spitzenwerte. 

«KI und maschinelles Lernen gibt es schon seit Jahrzehnten», sagt Jan Schlüchter, Co-Leiter MAS Business Transformation und Programmleiter CAS Betriebswirtschaft an der Hochschule Luzern (HSLU). «Der eigentliche Durchbruch kommt oft, wenn eine kritische Masse erreicht wird – ein «Kipppunkt», an dem plötzlich viele auf den Zug aufspringen und die Technologie breit adaptiert wird. Dieser Moment ist schwer vorherzusehen, wie auch bei der generativen KI zu beobachten ist.» Hier sei besonders auffällig, dass retrospektiv betrachtet die schiere Menge an trainierten Daten zu neuen Anwendungsmöglichkeiten geführt habe. «Diese Anwendungen entstanden nicht über Nacht», sagt Schlüchter. «Es waren das Zusammenspiel mutiger Schritte – wie die Nutzung riesiger Datenmengen – und die technischen Fortschritte bei Speichern, Prozessoren und Datenleitungen, die den Durchbruch ermöglichten.» Es gehe nicht nur um die Algorithmen selbst, sondern um die gesamte Infrastruktur, die diese Algorithmen unterstütze und ihnen ermögliche, in der Praxis eingesetzt zu werden.


Software geht viel schneller

Die Geschwindigkeit, mit der sich neue Technologien verbreiten, hängt laut Schlüchter stark davon ab, ob sie technologiegetrieben oder marktorientiert sind. «Technologiegetriebene Innovationen, besonders im Hardware-Bereich, brauchen oft länger, um den Markt zu durchdringen», sagt Schlüchter. «Hier liegt das daran, dass die spezifischen Anwendungen und der Nutzen nicht sofort klar sind. Beispielsweise mussten Smartphones einige Jahre reifen, bis ihr Mehrwert für den Alltag der Menschen offensichtlich wurde.» Im Gegensatz dazu verbreiten sich marktorientierte Innovationen wie die digitalen Plattformen von Temu oder Shein viel schneller, oft in Tagen oder Wochen. «Diese Geschwindigkeit wird durch bestehende Ökosysteme und starke Netzwerkeffekte ermöglicht», erklärt Schlüchter. Digitale Angebote integrieren sich nahtlos in vorhandene Strukturen und nutzen bestehende Netzwerke, was ihre rasche Diffusion erleichtert.» Im B2B-Bereich dauere es je nach Branche und Angebot oft Monate bis Jahre. 

Eine grosse Verbreitung hat laut Schlüchter vielfach eine direkte positive Auswirkung auf den kommerziellen Erfolg. «Die entscheidende Frage dabei ist: Sind die Kunden (ob B2B, B2C oder C2C spielt keine Rolle) bereit, (mehr) Geld für die erbrachte Leistung zu bezahlen, oder sehen sie darin keinen Zusatznutzen und bezahlen daher auch nicht on top?», wendet der Experte ein. «So wird immer wieder propagiert, dass mit der nun unglaublichen Datenverfügbarkeit ein grösserer kommerzieller Erfolg erzielt wird. Google ist dies zum Beispiel gelungen, da direkt oder indirekt (über Anzeigen) für die Daten bezahlt wird.»

Firmen würden zahlreiche Möglichkeiten finden, generative KI zur Produktivitätssteigerung zu nutzen, zeigt sich Schlüchter zuversichtlich. Die Vorstellung, dass sie massive Reduktionen im Personalbestand ermöglicht, sei häufig überzogen. «Vielmehr werden Mitarbeitende in neuen Rollen gebraucht, die den technologischen Fortschritt vorantreiben», sagt Schlüchter. «Wer langfristig erfolgreich sein möchte, sollte auf eine gesamthafte Neugestaltung des Geschäftes und eine schrittweise Integration von generativer KI setzen.»