Chat GPT, Zoom, Dropbox oder Slack: Bei allen Unterschieden weisen diese beliebten Softwarelösungen eine Gemeinsamkeit auf: Sie wurden zuerst dem breiten Publikum zum Ausprobieren, Experimentieren und Spielen übergeben. Erst später kommt dann die Rechnung – wenn überhaupt. Und wo bleibt die Sales-Person? Die sieht man gar nicht mehr. 

«Product-Led Growth» oder kurz PLG heisst dieses Vorgehen. Es ist mit den eingangs erwähnten Firmen entstanden – und hat einige Elemente der Weindegustation übernommen. Hier steht das (Software-)Produkt im Vordergrund: User in Firmen sollen es gründlich ausprobieren, viele Verbesserungsvorschläge machen, das Produkt dann für sehr brauchbar befinden – und dann zu ihren Vorgesetzten gehen und sie ermuntern, den Vertrag für das Upgrade zur kaufbaren Firmenversion mit mehr Speicherplatz und zusätzlichen Features zu unterschreiben. Der Vertrieb erfolgt hier praktisch durch das Produkt selber, es basiert auf eigenen Erfahrungen und viralen Weiterempfehlungen.

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PLG funktioniert vorwiegend bei Applikationen und Apps und es bildete, lange bevor der Begriff geprägt wurde, auch die Grundlage für die Nutzung von iPhones im Firmenumfeld. Der damalige Marktführer Blackberry hatte immer mit der hohen Sicherheit der eigenen Lösungen geworben und auf die Unsicherheiten der anderen Smartphone-Anwendungen hingewiesen. Erst als die Chefs dann nach 2010 ihre Firmen-E-Mails über ihre iPhones bewirtschaften wollten, setzten sich diese durch – und Blackberry verschwand. 


Einfach und intuitiv

PLG ist zwar bei Software beliebt, es eignet sich aber nicht für alle Softwarelösungen: Diese müssen intuitiv verständlich und einfach bedienbar sein. Das Onboarding sollte ebenso einfach erfolgen und das Produkt sofort als sehr nützlich eingeschätzt werden. 

Bei konventioneller Firmensoftware ist das Gegenteil der Fall: Wenn hier neue Lösungen von SAP und Co. eingeführt werden, bringt das viele Firmen an die Grenzen. Solche Software wird konventionell über den Vertrieb der Hersteller verkauft. Die Sales-Leute arbeiten mit ihren Sales-Funnels und Leads, hier dominieren persönliche Beziehungen zu den Kunden. Dieses «Sales-Led Growth»-Vorgehen (SLG) arbeitet mit grossen Sales- und Marketing-Abteilungen, die zunächst versuchen, Aufmerksamkeit zu schaffen. Nach einem grossen erfolgreichen Abschluss knallen hier die Champagnerkorken. 

Spezialisiertes Personal schult dann tage-, manchmal wochenlang die User an der alles andere als intuitiv bedienbaren Firmensoftware. Verbesserungen werden über integrierte Feedback-Tools weitergegeben. Ob, wann und wie sie umgesetzt werden, erfahren die User nie. 


«Bottom up» versus «top down»

PLG bildet eine der oft übersehenen Innovationen im Verkaufsbereich. User-Aktivierung und -Retention bilden hier die kaum gefeierten Erfolgskriterien. Auch hier wird viel experimentiert: Ob und für welche Preise User bereit sind, Upgrades von den Basis- auf die Premium-Angebote zu bezahlen, muss in Tests ausprobiert werden.

Und PLG eignet sich nicht für alle Konstellationen: Ob und wie gut das Vorgehen funktioniert, hängt stark davon ab, ob man als Anbieter die Kultur und Gepflogenheiten einer Branche versteht. Bei stark hierarchisch aufgebauten Branchen ist es weitaus härter, neue Softwareprodukte «bottom up» zu empfehlen und Informatikzuständige zu überzeugen. Und man muss auch mit der Eitelkeit von Menschen umgehen: Ein «Invite» zu einer neuen Applikation schmeichelt den Usern weitaus mehr als das Gewähren eines «Access».