Kurzvideos schauen, entdecken, was gefällt, anklicken und kaufen: Damit wird das soziale Netzwerk auch zu einem E-Commerce-Unternehmer. Dieses «Social Commerce»-Geschäftsmodell hat das chinesische Unternehmen Temu bereits in Grossbritannien aufgebaut und damit den etablierten Plattformen wie Amazon Marktanteile abgenommen. Seither spekuliert man über weitere Markteintritte in europäischen Ländern wie beispielsweise in der Schweiz. 

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Sichtbar ist Temu bereits am Flughafen Zürich, wie Stefan Feldmann, Head von The Circle, im Juni an der «Swiss Council of Shopping Places»-Konferenz (SCSP) in Zürich berichtete. Täglich treffen hier eine halbe Million Temu-Sendungen ein – und weil diese Fracht mit dem letzten verfügbaren freien Platz transportiert wird, erreicht sie die Schweiz oft über kuriose Umwege.


Beobachten – und eventuell rasch reagieren

Ansonsten beobachtet man die Situation. «Aktuell haben wir nichts in diese Richtung geplant», sagt beispielsweise Tobias Heller, Sprecher bei Digitec Galaxus. «Wir beobachten die Entwicklung des Social Commerce aber mit grossem Interesse und prüfen regelmässig Optionen, wie wir unserer Kundschaft ein noch besseres Einkaufserlebnis ermöglichen können.» «Social Commerce im Sinne von Verkauf von Produkten direkt via Social-Media-Kanäle ist in der Schweiz nicht möglich», stellt Alexandra Scherrer, CEO des auf E-Commerce-Themen spezialisierten Beratungsunternehmens Carpathia mit Sitz in Winterthur ZH, fest. «Nachdem Tiktok die Europa-Pläne vorerst auf Eis gelegt hat, wird sich dies in absehbarer Zeit auch nicht ändern. Was wir aber beobachten: Die zunehmende Weiterentwicklung von Onlineshops mit Social-Media-Features. Ein gutes Beispiel dafür ist etwa Zalando mit den ‹Stories›.»

Bei der Competec-Gruppe sieht man das Thema weiter oben auf der Agenda. «Social Commerce funktioniert – und wird immer wichtiger», sagt Competec-Sprecher Daniel Rei. Sehen wir uns Wechat oder Douyin in China an: Beide sind Ökosysteme, die Userinnen weder für die Recherche nach Informationen noch für Restaurantbewertungen und auch nicht zum Spielen oder Urlaubbuchen, zum Einkaufen und Bezahlen verlassen müssen.» Und Douyin ist quasi die chinesische Schwester von Tiktok und stammt vom selben Entwickler. «Ob sich Tiktok hierzulande ebenfalls in Richtung einer solchen ‹Super-App› entwickelt, wissen wir nicht», so Rei. «Einen Grund zur Beunruhigung jedenfalls sähen wir derzeit nicht, wenn Tiktok auch in der Schweiz Social-Commerce-Funktionen anböte.»

Denn man bereitet sich hier laut Rei bereits vor. «Wir haben schon immer gern experimentiert mit Social Commerce, zuletzt etwa auf den Meta-Plattformen oder auf Pinterest, die Verkaufsfunktionen testen oder getestet haben.» Und rund 2,2 Millionen Schweizerinnen und Schweizer pro Monat nutzen gemäss eigenen Angaben Tiktok, also mache es Sinn, potenzielle Kundinnen und Kunden dort abzuholen, wo sie sich sowieso aufhalten. «Deshalb sind wir bei Brack.ch im Grundsatz offen, was den Test einer Einkaufs- respektive Checkout-Funktion direkt in Tiktok angeht.» 


Die Kunden und Kundinnen sind bereit

Ob man bei der Competec-Gruppe selber aktiv wird, hängt laut Rei zum einen davon ab, wann, respektive ob Tiktok diese Funktionen in die Schweiz bringen möchte – oder auf Basis künftiger Regulationsbegehren kann. Und zum anderen davon, unter welchen Bedingungen und zu welchen Konditionen Händler eingebunden werden. Denn die Bereitschaft der Kundschaft wäre vorhanden, wie eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) vor zwei Jahren ergeben hat: Ein Viertel der Befragten hatte angegeben, dass ihnen Youtube dabei hilft, Kaufentscheidungen zu treffen. Bei Personen unter 32 Jahren war das sogar ein Drittel. Youtube spielte hierbei eine viel grössere Rolle als beispielsweise Facebook oder Instagram. Das war noch vor der Verbreitungswelle von Tiktok sowie den integrierten Kauffunktionen über Handykameras.

Die Bereitschaft, tatsächlich auch zu kaufen, steigt kontinuierlich weiter, wie aus den aggregierten Umfragedaten von Statista hervorgeht. Bis 2027 soll sich der Umsatz gemäss Prognosen Richtung 2 Milliarden Franken gegenüber 2023 praktisch verdoppeln. 

Damit würde Social Commerce kumuliert bereits so viel Umsatz machen, dass es für einen Platz unter den Top fünf der Schweizer Retailhändler reicht. Und im E-Commerce selber wäre man dann bereits unter den Top drei.