Nach dem Boomjahr 2020 – gemäss Statista wurden in der Schweiz 502 000 Velos verkauft – muss sich die Branche wieder auf tiefere Verkaufszahlen einstellen: Was jetzt den Händler geliefert wurde, wurde vor einem Jahr bestellt. Und was jetzt von den Händlern bestellt wird, wird ebenfalls geliefert – aber ob dann die Nachfrage noch so hoch sein wird, ist offen.
Neben solchen Unsicherheiten gibt es in der Branche noch weitere Herausforderungen wie etwa neue Finanzierungsformen («Buy now, pay later», eine Art digitale Ratenzahlung), Abonnementmodelle, Direktverkauf (D2C) durch die Hersteller und neue Plattformmodelle wie beispielsweise jenes von Amazon. Der Erfolg dieser Plattformmodelle beruht auch auf den sogenannten «Schwungrad-Effekten»: Je mehr potenzielle Käuferinnen und Käufer auf der einen Seite sind, desto mehr Verkäufer melden sich auf der anderen Seite – und umgekehrt. Solche Prinzipien digitaler Plattformen will man jetzt mit dem Innovationsprojekt «Schweizer Velo Velolong» in den schweizerischen Velomarkt bringen.
Gut geplant ist halb gefahren
«Beim Velokauf handelt es sich um einen Plankauf», erklärt Stefan Nertinger, Professor am Kompetenzzentrum Strategie und Management des Instituts für Unternehmensführung der Ostschweizer Fachhochschule OST. Potenzielle Kundinnen und Kunden seien durch die Vielfalt an Typen und Modellen oftmals überfordert. «Der Kaufprozess ist aus diesem Grund langwierig und typischerweise durch auch viele digitale und stationäre Kontaktpunkte gekennzeichnet», so Stefan Nertinger weiter. «Das Label Schweizer Velo und das damit verbundene Ökosystem schafft Orientierung und signalisiert stets das klare Wertversprechen: die gute Entscheidung, basierend auf Swissness, Nachhaltigkeit, Qualität und Langlebigkeit.»
Das Wertversprechen werde von der Kauf- bis hin zur Nutzungsphase konsequent unter Einbezug unterschiedlicher Partner, insbesondere dem Fachhandel, umgesetzt und durch flankierende Instrumente wie beispielsweise die eingeschlossene Garantieverlängerung greifbar.
Beim Projekt zeigten sich einige Herausforderungen. «Schwierigkeiten ergeben sich durch den dezentralen Ansatz ohne Koordination durch einen zentralen, oftmals übermächtigen Orchestrator wie zum Beispiel Amazon», sagt Nertinger weiter. «Der hier vertretene Ansatz setzt auf Augenhöhe und Vertrauen zwischen den beteiligten Partnern.» Eine besondere Herausforderung war insbesondere die Coopetition zwischen den beiden Herstellern Tour de Suisse und Komenda (mit den Marken Ibex, Bergstrom und Cresta). «Aufgrund des grossen Vertrauens unter ihnen und der Tatsache, dass beide Unternehmen nach vergleichbaren Werten geführt werden, konnte diese Herausforderung sehr erfolgreich gemeistert werden», so Nertinger.
Treiber des Ansatzes sind zwei KMU, und für beide Velomanufakturen ist entscheidend, dass sich bestehende Lösungen und Instrumente kurz- bis mittelfristig amortisieren. «Mittelfristig sind wir weiteren Kooperationspartnern wie anderen Schweizer Velomanufakturen oder Anbietern von komplementären Produkten und Leistungen rund um das Velo offen», erklärt Stefan Nertinger. Die Idee und das Konzept werden jetzt mit viel Schwung und schrittweise ausgerollt. Nächster Meilenstein wird ein gemeinsames Finanzierungsprodukt sein – es soll voraussichtlich im ersten Quartal 2023 kommen.