Es ist ein Umbruch: «In den kommenden zehn Jahren werden wir in der Autoindustrie mehr Veränderungen erleben als in den vergangenen hundert Jahren», sagte Steve Greenfield, CEO der US-Firma Automotive Ventures, Anfang Januar während der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas. Während in der Regel die Elektrifizierung und Vernetzung der Fahrzeuge sowie die autonome Steuerung als die Bereiche bezeichnet werden, die im Mittelpunkt der Innovation stehen, wird laut Greenfield oft ein weiterer wichtiger Bereich übersehen: die spezialisierten Hersteller von Kleinserien.
Hier findet laut den Marktforschenden von Orion Market Research in den kommenden Jahren das grösste Wachstum statt: Bis 2028 rechnet man mit jährlichen Raten von über 7 Prozent. Wenn, was alle Monate passiert, Apple wieder einmal gerüchteweise den Einstieg in das Autogeschäft wagen sollte, dann am ehesten durch den Kauf eines spezialisierten Kontraktfahrzeugherstellers.
Vereinfachte Produktion
Der Bau von Kleinserien ist heute viel einfacher als noch vor wenigen Jahren. Ein wichtiger Grund sind Innovationen auf den Gebieten Entwicklungssoftware, Robotertechnik in den Montagehallen und die Umstellung auf E-Antriebe. Elektroantriebe bringen unter anderem eine Reduktion der beweglichen Verschleissteile um drei Viertel, was wiederum die Lieferketten massiv vereinfacht. Zudem lassen sich Kleinserien mit einer Kombination von überall verfügbaren Standardkomponenten und durch Computer berechneten Karosserien und Software zusammensetzen. Die Ausdifferenzierung einzelner Modelle erfolgt dann vor allem über die Software – und man spricht in der Branche deshalb auch vorwiegend von «softwaredefinierten Fahrzeugen».
E-Antriebe haben rund drei Viertel weniger bewegliche Verschleissteile.
Auch das Build-to-Order-Prinzip wird dadurch möglich: Die Hersteller bauen nicht mehr auf Vorrat und in den Aussen- und Innenfarben, von denen sie glauben, dass sie den Geschmack der Kundschaft am besten treffen, sondern die Kunden und Kundinnen bauen sich auf ihren Tablets und Notebooks ihre Wunschfahrzeuge individuell zusammen – und entsprechend wird das Auto danach hergestellt. Praktischerweise drehen sich dadurch auch die Geldströme: Anders als in der Branche üblich bekommt der Hersteller das Geld, bevor die erste Komponente bestellt und mit anderen zusammengesetzt wird. Praktischerweise erweitern auch die grossen Komponentenhersteller der Autobranche ihre Anteile an der Fertigung: Bremsen liefern sie nicht mehr in Form von Dutzenden von Einzelteilen, sondern in ganzen Systemen an – die dann komplett mit anderen grossen Systemteilen zusammengesetzt werden. Nicht ganz zufällig gleichen sich die Herstellungsprozesse bei Autos immer mehr denen von PC und Smartphones an.
Keine Garantie für Erfolg
Kontrakthersteller nutzen auf vielfältige Art und Weise solche Fortschritte und Vorteile. Magna Steyr aus Graz in Österreich ist eine in der Branche bekannte Adresse, die etliche Autos für so unterschiedliche Marken wie Mercedes-Benz, BMW, Aston Martin, Audi und Fiat entwickelt hat. Valmet aus Finnland steht hinter einzelnen Modellen von Mercedes-Benz, Porsche, Saab und Opel. Und auf den Luxusbereich hat sich Manifattura Automobili Torino (MAT) spezialisiert: Das erst neun Jahre alte Unternehmen, welches vom ehemaligen Pininfarina-Entwickler Paolo Garella gegründet worden war, baute beispielsweise für Lancia eine Kleinserie für das Modell Stratos. Basis war hier das F430-Chassis von Ferrari.
Wie auch in der Hightech-Branche clustern sich die Kleinseriespezialisten nicht ganz zufällig im lokalen Umfeld der grossen Hersteller. MAT-Entwickler haben in Turin heute fast die gleichen Arbeitswege wie ihre Kolleginnen bei Fiat. Und Bluetec nutzt ehemalige Fiat-Fabriken, ebenfalls in Turin.
Nicht alle Spezialisten bestehen länger als die Garantien auf die Fahrzeuge, die sie in Kleinserie gebaut haben. Und die heute kommerziell erfolgreichen Kleinseriehersteller sind oft das Ergebnis von vorangegangenen Pleiten. Sie profitieren von einer weiteren Entwicklung: In dem Ausmass, wie Software wichtiger wird, verliert die Karosserie an Bedeutung. Sodass Vorjahresmodelle sich von den aktuellen Modellen überwiegend nur noch in den Software-Features unterscheiden.