So hat man in den 1960er-Jahren gebaut, so in den 1970er-Jahren – und so baut man heute»: Wer an einer Architekturführung durch Zürichs Vororte und die Agglomeration teilnimmt, sieht die Erschliessung des Umlandes auf einen Blick. Wobei: Vieles, was vor einem halben Jahrhundert gebaut wurde, etwa Einfamilienhäuser mit grossem Umschwung, wird inzwischen verdichtet und durch dreistöckige Neubauten ersetzt. Diese widerspiegeln mit ihren bodentiefen Fenstern und den «lichtdurchfluteten Räumen» (Immobilienhändler-Speak) jeweils den Zeitgeist und den aktuellen Stand der Dinge. Über die Zukunft des Bauens und der Bauten wissen andere Bescheid. Beispielsweise Stefan Kurath, Architekt, Urbanist und Professor am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der ZHAW. Er leitet das Institut Urban Landscape zusammen mit Regula Iseli.
Wohnen ist auch Identität
«Das Thema Wohnen steht in engem Zusammenhang mit globalem Bevölkerungswachstum und gleichzeitig beschränkten Bodenressourcen», sagt Kurath. «Eine nachhaltige Entwicklung unserer gebauten Welt hat deshalb zukünftig weniger Nutzfläche pro Person und eine höhere Personendichte pro Quadratmeter zur Folge. Die Innenentwicklung wird sich auf das Wohnen auswirken. Es wird nicht mehr möglich sein, Haus für Haus in die Landschaft zu stellen.»
Das Bauen im Bestand werde in den Vordergrund rücken. «Dabei müssen zukünftige Bau- und Wohnungsformen innovativer gedacht werden», so Kurath weiter. Es brauche grössere Flexibilität in der Umnutzung. Weiter ändern sich auch Bedürfnisse innerhalb der Lebensphasen der Menschen, insbesondere im Alter. Denn vielen Menschen bereitet es Mühe, ihr gewohntes Umfeld zu verlassen. Schliesslich bilden biografische Bindungen zu einem Wohnumfeld Teilidentitäten im Menschen aus. Auch die sich verändernden Lebensweisen aufgrund von Adoleszenz, Gender, Scheidung, Patchworkfamilien, Verwittwung oder Einkommensschere wirken sich zunehmend auf das Wohnen aus.
Der CO₂-Ausstoss beim Bauen ist aktuell ein grosses Thema und hat in den letzten Jahren zu wichtigen Entwicklungen geführt.
Laut Kurath ist der CO₂-Ausstoss beim Bauen aktuell ein grosses Thema und hat in den letzten Jahren zu wichtigen Entwicklungen geführt. «Einerseits in der Material- und Konstruktionsentwicklung – hier stehen nachwachsende Baumaterialien wie Holz, Stroh, Hanf, Bambus, Schafwolle oder dann Baumaterialien mit weniger CO₂-Emissionen bei der Verwendung wie Lehm im Fokus.» Gleichzeitig versucht man, Baumaterialien mit hohen CO₂-Emissionen wie Beton und Stahl in der Herstellung zu optimieren und in der Verwendung zu minimieren. «Das führt zu hybriden Konstruktionen wie Holzbetonverbund, Holzlehmverbund, Zement-Hanf-Verbund und Carbon-Beton-Verbund», erklärt Kurath.
Verwendung altbewährter Materialien
«Anderseits geht der Trend Richtung Materialwiederverwendung (‹Re-Use›), damit graue Energie nicht vernichtet wird.» Grundsätzlich steht hier das Bauen im Bestand im Vordergrund. Also Aufstocken, Anbauen, Aufrüsten bestehender Strukturen. Gleichzeitig wird Bauteilwiederverwendung zum Thema. In der Forschung werden zurzeit Prozesse zur Katalogisierung von Bauteilen aus Rückbau, Zwischenlagerung, Bestellung, Lieferung, Montage inklusive der dazu notwendigen Infrastrukturen entwickelt. Dabei fehlt es laut Kurath in der Bauwirtschaft noch an grundlegenden Einrichtungen und Abläufen. «Im Sinne zirkulären Bauens wird gleichzeitig bei der Planung und Konstruktion daran gedacht, dass die unterschiedlichen Elemente einfach ausgebaut oder zurückgebaut werden können, also nicht verklebt oder vernagelt sind», so der Experte.
Wie beispielsweise das Bauen mit Holz. Vollholzkonstruktionen sind einfach rückbaubar und wiederwendbar. Und der Holzbau ist nichts Neues. «Die Holz- und Bauwirtschaft ist dafür bereits gerüstet», sagt Kurath. «Deshalb sieht man gerade in Architekturwettbewerben fast nur noch Holzbauten.» Das führt auch zu Herausforderungen. Wenn man Beton möglichst durch Holz ersetzen will, dann reicht das Holzvorkommen in der Schweiz nicht aus. «Holz global herbeizukarren, verschlechtert die CO₂-Bilanz», resümiert Kurath. «Man müsste folglich sehr viel mehr Wald aufforsten. Das macht nur Sinn auf Bodenflächen, die einfach zu bewirtschaften sind.»
Daten stehen im Zentrum, Umwelt weniger
Smart-Home-Technologien bilden vielerorts die Grundlage für das zukünftige Bauen. «Smart Homes erleichtern vor allem das Leben, weil sehr viele Abläufe automatisiert werden können», weiss Kurath. «Hinsichtlich Umwelt erhofft man sich durch die Datenvernetzung und Steuerung durch künstliche Intelligenz, dass vor allem Energieverbrauch reduziert werden kann.» Man wisse mittlerweile aber auch, dass Material/Ressourcenverbrauch für Installationen, der Stromverbrauch für den Betrieb sowie die dafür notwendigen Rechenzentren die Energiegewinne wieder vernichten. «Das Grundinteresse der Anbieter liegt hier denn auch vor allem an den Daten und weniger an Umweltfragen», so Kurath. «In der Architektur und im Städtebau gibt es sehr viele sehr gute Beispiele aus der Geschichte der letzten Jahrtausende des Wohnens, die ohne jegliche Technologien auskommen und sich mit einfachen Konstruktionen erbauen lassen.»
Ein weiteres kommendes Thema ist der Klimawandel. «Die Hitzebildung macht eine Klimaanpassung unserer Dörfer, Quartiere, Städte notwendig», so Kurath. «Das bedeutet, der Frischluft und der Durchlüftung der Stadträume ist Rechnung zu tragen, um Hitzeinseln zu reduzieren.» Für die Gebäude heisst dies, dass der Untergrund des Stadtbodens vor allem Raum für Wurzeln, Wasser und Leitungsführungen zur Verfügung stellen muss und nicht für unterirdische Bauten. «Unterirdische Bauten, die über den oberirdischen Fussabdruck des Gebäudes hinausragen, müssen vermieden werden», so Kurath. «Die Bauweisen und Raumkonzepte, die ohne Technologien kühlen, lüften, heizen, speichern, belichten, besonnen, beschatten, sind gleichzeitig sehr hitzeresistent.» Sie schaffen laut Kurath eine angenehme Atmosphäre im Gebäudeinnern. «Atrien, Hohlräume im Innern und ihre Kaminwirkungen helfen in der Nacht bei der Auskühlung und am Tag in Kombination mit Wasserverdunstung bei der Abkühlung.»