Was wünschen sich die jungen Europäerinnen und Europäer von der Europäischen Union? Eine Frage, der Timothy Garton Ash, Professor für Europastudien an der Universität Oxford, in seiner Studie «Young Europeans speak to EU: The state of youth opinion on Europe» nachging. Die Antworten machen deutlich, dass den Jungen sowohl Reisefreiheit, aber auch der Klimaschutz am Herzen liegen. Zudem zeigen die jungen Europäer:innen ein grosses Interesse an sozialen und beschäftigungspolitischen Fragen und setzen sich in hohem Masse für soziale Gleichheit ein. Für sie symbolisiert die EU Demokratie, selbst wenn diese Sichtweise in den vergangenen Jahren aufgrund diverser Ereignisse zu bröckeln scheint.
EU als «völliger Witz»
Via Facebook, Instagram und LinkedIn rief «Handelszeitung» ihre Community auf, ihre Meinung zu einzelnen Erkenntnissen der Studie zu äussern. Der erste Post befasste sich mit den persönlichen Vorteilen einer EU-Mitgliedschaft. Aus Sicht jungen Europäer:innen sind dies gemäss Studie vor allem die Mobilität und Reisefreiheit, aber auch das vielfältige Arbeits- und Bildungsangebot werden sehr geschätzt. «Diese Darstellung beweist die Unreife der EU-Jugend», lautete einer der ersten Kommentare auf die Studienresultate. «Die Jugend von heute hat keine Ahnung, was die EU für Schwachsinn macht», so ein weiterer Kommentar. Dieser zog sogar eine rege Diskussion nach sich, in der die unterschiedliche Wahrnehmung der Generationen thematisiert wurde: «Und die Alten wissen von diesem Schwachsinn oder wie? Deswegen sind wir ja in diesem Schlamassel. Die Jugend von heute ist kritischer als sie es auch schon war. Der Fokus ist nur am falschen Ort.», konterte ein User. «Die Alten sind einfach zu doof, die EU kritisch zu sehen, sorry», so ein weiterer Kommentar. Auf die eigentliche Frage der «Handelszeitung», was denn die User an der EU schätzen, kamen nur wenig optimistische Rückmeldungen: «Für mich ist die EU ein Witz und völliger Blödsinn, oder haben die in den letzten Jahren mal was Vernünftiges gemacht?» fragte ein Facebook-User in die Runde. «Was ich an der EU schätze? Gar nichts», so ein weiterer Kommentar.
Klimawandel stoppen – nur wie?
Obwohl junge Europäer:innen gerne reisen, haben der Klima- und der Umweltschutz für sie oberste Priorität. Geht es um Massnahmen, um den Klimawandel zu stoppen, so zeigt die Studie, dass junge Europäer:innen im Vergleich zu älteren Generationen eher bereit sind, persönliche Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Sie befürworten zudem eher starke Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, wie z. B. die Einschränkung der Autonutzung, weniger fliegen oder die Reduktion des Fleischkonsums.
Die Social-Media-Community der «Handelszeitung» reagierte auf den Post und die Frage, wie sie den Klimawandel stoppen will, gespalten. «Wieviel Framing wollt ihr», fragte ein User keck, «Bäume pflanzen?», ein anderer. «Wälzt es nur an die Jugend ab! Lächerlich... Als hätte man der Jugend von heute nicht schon genug angetan», regte jemand zum Nachdenken an. Andere befanden, dass der Klimawandel da gestoppt werden soll, wo es am einfachsten und am schnellsten geht: Bei den 400 Kohlekraftwerken weltweit. Nicht nur Europa, sondern die ganze Welt nimmt dieser Nutzer in die Pflicht: «Wir in Europa machen echt schon viel. Sollen die USA und China auch mal ihren Beitrag leisten.»
Einige User sehen die Schuld für den Klimawandel gar nicht beim Menschen: «Wir können den Klimawandel nicht stoppen, weil er auch nicht menschengemacht ist. Wir können uns nur anpassen», so ein Facebook-User. «Wann genau in der Erdgeschichte hat sich das Klima nicht mehr verändert? Es geht wie immer um mehr Geld und nicht das Klima!», stimmte ein zweiter in diese Überlegung mit ein. Beim Geld sehen auch weitere User die Ursache allen Übels: «Über 90 Prozent der Emissionen kommen von den Konzernen, welche zum WEF gehören und uns sagen wollen, dass wir die Umwelt retten müssen, indem wir Rechte an sie abgeben und mehr Steuern zahlen.»
Was wünschen sich die jungen Europäerinnen und Europäer von der EU? Genau dieser Frage ist Timothy Garton Ash gemeinsam mit einer Gruppe von Postgraduierten aus ganz Europa nachgegangen. Ihre Studie «Young Europeans speak to EU: The state of youth opinion on Europe» untersucht die gegenwärtige Einstellung junger Menschen zu Europa. Im Fokus stehen Themen wie Reisefreiheit, Klimawandel, Demokratie und die Rolle Europas in der Welt. Mehr dazu hier.
Autokratie statt Demokratie
Junge Europäerinnen und Europäer schätzen gemäss Studie die Europäische Union, weil sie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit innerhalb und ausserhalb ihrer Grenzen vertritt. Dennoch scheinen sie immer häufiger daran zu zweifeln, dass die EU diese Gründungswerte aufrecht zu erhalten vermag. Entsprechend ist der Prozentsatz der jungen Europäer:innen, die die EU mit Demokratie assoziieren, seit 2018 kontinuierlich gesunken.
«Symbolisiert die EU für Sie Demokratie?», wollte die «Handelszeitung» von ihrer Community wissen. Die Antwort liess nicht lange auf sich warten: «Die EU ist alles andere als eine Demokratie. Sie ist ein autokratisches System mit Bürokraten und Technokraten im Zentrum in Brüssel, das eine immer grösser werdende extraktive Monsterinstitution aufbaut, die früher oder später grossen Schaden anrichten wird», skizzierte ein Instagram-User. Ein ziemlich schlechtes Zeugnis für die Europäische Union. Gute Noten erhält hingegen die Schweiz: «Die Schweiz verkörpert Demokratie. Nirgendwo sonst gibt es die direkte Demokratie. Sowohl auf Ebene der Gemeinden, der Kantone und des Bundes.»
«Let Europe arise. Die nächste Generation übernimmt in herausfordernden Zeiten. Welches Europa wollen die Millennials jetzt?» lautet das diesjährige Hauptthema der Gesprächs- und Ideenplattform Europa Forum. Als Höhepunkt der Jahresaktivitäten findet am 23. und 24. November 2022 das Annual Meeting im KKL Luzern statt.
Zu den namhaften Speakerinnen und Speakern zählen Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Deutschlands früherer Aussenminister Sigmar Gabriel, Bundespräsident a.D. Christian Wulff, Historiker und Publizist Timothy Garton Ash, Schriftstellerin Nora Bossong, Chefin Sicherheitspolitik des VBS Pälvi Pulli, Alena Buyx und Franca Lehfeldt. Sichern Sie sich jetzt Ihr Ticket.